Psychologie

Warum haben wir das Gefühl, Influencer wirklich zu kennen?

Stand
Autor/in
Marie Sinde | Sprecher: Gábor Paál

Gefühl von Nähe durch regelmäßige Medien-Kontakte und lockere Atmosphäre

In den 1950ern haben sich Menschen bereits eine ganz ähnliche Frage gestellt. Ihnen ging es dabei allerdings noch nicht um Influencer, wie wir sie heute kennen, sondern um Fernsehstars. Denn damals gab es immer mehr Menschen, die einen Fernseher hatten. In den Fernsehshows standen vor allem einzelne Personen im Mittelpunkt. Das waren zum Beispiel Moderatorinnen und Moderatoren in einer Talkshow. Oder auch fiktive Personen in Filmen. Und damals hat man schon festgestellt: Die Menschen vor dem Fernseher hatten das Gefühl, eine Beziehung mit den prominenten oder fiktiven Personen zu haben. Die Zuschauenden fühlten sich durch den regelmäßigen Kontakt und die vermittelte lockere Atmosphäre den Prominenten so nahe, als ob sie wirklich miteinander befreundet wären.

"Parasoziale Interaktion": Phänomen bereits seit den 1950ern bekannt

Diese Erkenntnis formulierten 1956 zwei Amerikaner – Donald Horton und R. Richard Wohl. Sie nannten den Effekt "parasoziale Interaktion". Diese Studie ist bis heute die Grundlage für das Erforschen solcher Beziehungen. Besonders spannend war die Erkenntnis auch deshalb, weil eigentlich angenommen wurde, dass Zuschauer sich sehr stark mit den Figuren aus dem Fernsehen identifizieren, sich also an ihre Stelle denken. Das ist aber weniger der Fall als angenommen. Sie verhalten sich eher so, als seien diese Figuren reale Freundinnen und Freunde.

Gefühlte Nähe, ausgelöst durch Bindungshormon Oxytocin, bleibt eine Illusion

Und so ist es auch heute mit Influencern. Auch zu denen bauen viele Menschen eine "parasoziale Beziehung" auf. Ein wichtiger Unterschied zu Beziehungen mit realen Freundinnen und Freunden ist, dass die Interaktion meist nicht wechselseitig ist. Die gefühlte Nähe ist eine Illusion. Doch die Hormone, die diese Gefühle auslösen, sind ganz real. Das sogenannte Bindungshormon Oxytocin wird bei persönlichen Kontakten zwischen Menschen freigesetzt und sorgt für ein Gefühl von Bindung und Vertrauen. Dieses Oxytocin wird auch bei parasozialen Beziehungen und Interaktionen freigesetzt.

Was die Fernsehstars früher machten, um das Gefühl von Intimität aufkommen zu lassen, machen auch die Influencer heute: Ihre Sprache, die lockere Haltung und ihre Spontanität wirken wie in einer privaten Unterhaltung.

Influencer und Fan: Social Media ermöglicht wechselseitige Beziehungen

Was sich jedoch seit den 1950ern geändert hat: Durch die sozialen Medien kann manchmal aus einer einseitigen Beziehung auch eine wechselseitige werden. In Kommentaren unter YouTube-Videos, TikToks oder Posts auf Instagram schreiben die Fans mit ihren Idolen. Aber häufig bleibt ein solcher Kommentar auch unbeantwortet. Dass Influencer häufig sehr private Einblicke in ihren Alltag geben – oder es zumindest vorgeben – spielt beim Aufbau von parasozialen Beziehungen auch eine wichtige Rolle. Allerdings sollte klar sein: Sobald wir Medien nutzen, interagieren wir parasozial mit den Influencern, Fernsehstars und fiktiven Figuren.

Beziehung ohne Verpflichtungen

Ob daraus eine parasoziale Beziehung entsteht, hängt auch von der Persönlichkeit derer ab, die die Medien nutzen. Man hat herausgefunden: Menschen, die eher introvertiert sind oder weniger reale soziale Kontakte haben, neigen eher zu parasozialen Beziehungen. Solche Beziehungen haben nämlich einen Vorteil: Es sind Beziehungen ohne Verpflichtungen. Man hat das Gefühl, "Freunde" zu haben, ohne dass es mit irgendeiner Verantwortung verbunden wäre. Gleichzeitig ist der Influencer ein scheinbar verlässlicher Beziehungspartner in einer Welt voller Veränderungen und vermittelt so ein Stück Stabilität. Darum ist eine parasoziale Beziehung für alle Menschen relevant, egal wie alt sie sind. Doch besonders interessant sind diese Beziehungen für Menschen, die Orientierung in einer unsicheren Phase suchen, also zum Beispiel für Jugendliche in der Pubertät.

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