Die Königin der Instrumente

Von Bach bis Avicii: Wie die Orgel auf YouTube und TikTok begeistert

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Autor/in
David Kirchgeßner
David Kirchgeßner ist Redakteur bei SWR Aktuell in Rheinland-Pfalz.

Von wegen angestaubtes Kircheninstrument: Mit fettem Orgel-Sound begeistern junge Musikerinnen und Musiker in den Sozialen Medien ihre Fans. Und das nicht nur mit Coverversionen.

Es ist wahrscheinlich DER Orgel-Hit schlechthin: Toccata und Fuge in d-Moll (BWV 565) von Johann Sebastian Bach. Mit über 10 Millionen Aufrufen ist die YouTube-Version des niederländischen Organisten Gert van Hoef (30) ein eindrückliches Beispiel dafür, dass man mit Orgel-Content Erfolge auf Social Media einfahren kann.

J.S. Bach -Toccata & Fugue in D-minor BWV 565 - Stephanuskerk Hasselt

Bei seiner Aufführung von Bachs Orgel-Klassiker entsteht ein epischer Klangteppich mit Frequenzen, die auch über Kopfhörer oder Boxen die Luft ordentlich zum Schwingen bringen – Musik, die sich spüren lässt, das kann so fulminant nur eine Orgel. Und dafür braucht es gar kein großes Orchester oder elektronische Synthesizer.

#organtok – Orgelcontent auf Social Media

One for the list of ‘pieces you never knew could organ’ #organ #organtok #pipeorgan #drdre #still #royalalberthall #musician #music #organist #request

Doch nicht nur mit den naheliegenden Klassikern aus der traditionellen Orgelliteratur lassen sich ordentlich Views einsammeln. Wenn Organistin Anna Lapwood in die Tasten greift, nimmt sie auch immer wieder Videos für TikTok auf. Die 29-Jährige ist Großbritanniens bekannteste Organistin und spielt regelmäßig auf den legendären 9.999 Pfeifen der Orgel in der Royal Albert Hall in London.

Anna Lapwood - Davy Jones (From "Pirates of the Caribbean: Dead Man's Chest")

Über Social Media ein neues Publikum erreichen

Auf TikTok hat Anna Lapwood mehr als 779.000 Follower, bei Instagram sind es 496.000. Ihre Orgel-Reels gehen regelmäßig viral und erreichen Millionen junger Menschen. Medien bezeichnen Lapwood daher auch als „Taylor Swift der klassischen Musik“.

Ihr Ziel: Über Social Media junge Menschen erreichen und die Begeisterung für klassische Musik wecken – und sie irgendwann auch zu Konzerten zu locken.

Lange sei sie selbst auf klassische Musik festgelegt gewesen – bis zu einem gemeinsamen Konzert mit dem DJ und Produzenten Bonobo.

Lapwood sagt: „Vielleicht war ich sogar ein bisschen versnobt. Dann kam das Bonobo-Konzert, und ich habe angefangen zu weinen. Es war so bewegend, und ich habe erkannt, dass auch das großartige Musik ist. Mein Kopf explodierte, und ich dachte: ‚Wow, es gibt unendliche Möglichkeiten!‘ Das hat wirklich meine Augen geöffnet, und ich wusste, dass ich mehr davon will.“

Bonobo & Anna Lapwood perform Otomo live at the Royal Albert Hall

Coverversionen auf der Orgel – muss das sein?

Dass auch elektronische Musik im Orgelsound noch mal eine ganz andere Dimenson bekommt, zeigen diverse Coverversionen. Beispielsweise des verstorbenen schwedischen DJs Avicii:

The nights - Avicii (Orgel Cover)

Auf dem YouTube-Kanal „Wir sind da“ gibt es eine ganze Playlist mit Coverversionen aus verschiedenen Genres. Da wird dann auch mal der kontroverse Ballermann-Hit „Layla“ von DJ Robin und Schürze auf der Kirchenorgel interpretiert.

Jetzt kann man solche Covers und Crossover-Versionen mögen oder nicht. Dass die Orgel außerdem nicht nur im Gospel oder Soul, sondern auch auf der Rockbühne ihren Platz hat, weiß man spätestens seit den Hammondorgel-Soli von John Lord bei Deep Purple.

Einblicke ins Innenleben der Orgel

Die Begeisterung für verschiede Orgeltypen transportiert der YouTuber Fraser Gartshore. Der deutsch-schottische Organist und Chorleiter nimmt seine Besucher mit in immer neue Kirchen – und zu deren Orgeln. Dabei gibt es Einblicke in die Technik und Geschichte dieser oft für den jeweiligen Kirchenraum sonderangefertigten Instrumente.

Orgel
Was sind schon Wind und Wetter für die Königin der Instrumente? Das müssen sich die Unternehmer-Brüder Spreckels gedacht haben, als sie 1914 den Bau dieser Freiluft-Orgel stifteten. Bild in Detailansicht öffnen
Die größte Freiluftorgel der Welt.
Die Orgel wurde für die im Jahr 1915 stattfindende Panama-California-Ausstellung im Balboa Park, San Diego gebaut. Bis heute ist sie die größte Freiluft-Orgel der Welt und erfreut sich bei Konzerten großer Beliebtheit. Bild in Detailansicht öffnen
Orgel
Apropos groß: Die größte Orgel der Welt steht auch in den USA, allerdings am anderen Ende des Landes, im Boardwalk Hall, Atlantic City. Diese 150 Tonnen schwere „Königin" mit über 300 Registern, 33.000 Pfeifen und sieben Manualen hat es ins Guinessbuch der Rekorde geschafft. Bild in Detailansicht öffnen
Die größte Orgel der Welt
Ihre volle Pracht ist aber meistens hinter einer Wand versteckt und gehört wird sie seit Jahren kaum. Im Jahr 1944 wurde sie durch einen Hurrikan schwer beschädigt und ist bis heute nicht mehr ganz funktionsfähig. Bild in Detailansicht öffnen
Ludwig Ruckdeschel, Domorganist, steht vor der Orgel im Dom St. Stephan.
Die größte Orgel in Deutschland steht übrigens im Passauer Dom St. Stephan. Sie besteht aus fünf unterschiedlichen Teilorgeln, hat knapp 18.000 Pfeifen und 230 Register. Sie wird derzeit wegen Schimmelbefall und anderer Schäden saniert. Bild in Detailansicht öffnen
Orgel
Von Stalaktiten und Stalagmiten umgeben, steht diese Orgel in der eindrucksvollen Kulisse der Luray Höhlen unter der Erde von Virginia, USA. Bild in Detailansicht öffnen
ORgel
Die „Great Stalacpipe Organ" hat nur 37 „Pfeifen" – oder eher Steine, denn der Klang kommt tatsächlich von 37 der herabhängenden Stalaktiten. Diese hat der Erfinder Leland W. Sprinkle Mitte der 1950er Jahre sorgfältig ausgesucht und auf die entsprechenden Tonhöhen zurechtgeschliffen. Bild in Detailansicht öffnen
Orgel
Einige Orgeln sind auf Rädern unterwegs: Hier spielt der US-amerikanische Organist Cameron Carpenter vor einem Seniorenheim in Berlin-Spandau. Die elektronische Orgel wurde auf einem LKW montiert. So konnte Carpenter zu Beginn der Corona-Pandemie seine „Konzerte vor den Fenstern der Stadt" in Berlin geben. Bild in Detailansicht öffnen
Orgel
Andere Orgeln können sogar schweben! Auch wenn dieses Instrument der Firma Laukhoff stolze 17 Tonnen wiegt, kann es mithilfe von zwölf Luftkissen 10 Millimeter hoch zum Schweben gebracht werden. So kann die Konzertorgel des syrischen Nationaltheaters in Damaskus bewegt und versetzt werden. Bild in Detailansicht öffnen
Orgelbausatz aus Papier
Etwas leichter dürfte diese Papierorgel für den Schreibtisch sein. Sie besteht - wie der Name schon sagt – komplett aus Papier und kann aus 190 Teilen zusammengebaut werden. Die Luft kommt aus einem großen Luftballon, der je eine Spieldauer von 30-45 Sekunden ermöglicht. Wolfram Kampffmeyer, der Bausätze für dreidimensionale Papierfiguren produziert, realisierte dieses Projekt 2019 mithilfe von Crowdfunding. Wer also ein neues Hobby für den nächsten Lockdown braucht... Bild in Detailansicht öffnen
Orgel
Der IT-Verein Toolbox aus Markdorf in Baden-Württemberg baute 2015 eine Floppy-Orgel. Die Daten des E-Pianos werden als Steuersignale an die Floppy-Disks weitergeleitet. Jede Floppy ist auf eine bestimmte Tonhöhe eingestellt. Bild in Detailansicht öffnen
Die Welt-Windorgel am Boulevard in Vlissingen in den Niederlanden besteht aus großen Bambusrohren, durch die der Wind pfeift. In Europa gibt es nur drei dieser Orgeln.
Auf einem Bunker in Vlissingen in den Niederlanden steht eine der wenigen Windorgeln weltweit. Sie ist aus Bambus gebaut und wird allein durch den Wind betrieben. Bild in Detailansicht öffnen
Orgel
Nicht weit von der deutschen Grenze befindet sich in der Festung Kufstein in den österreichischen Alpen die „Heldenorgel". Das Besondere an dieser Freiluft- Orgel: Ihre Pfeifen stehen im Turm der Festung, der Spieltisch ist 90 Meter davon entfernt. Durch diese Lage kann die Orgel je nach Windverhältnissen in einer Entfernung von bis zu zehn Kilometern, auch im benachbarten Bayern, gehört werden. Bild in Detailansicht öffnen

Einer der Vorreiter für Orgel-Content aus dem deutschsprachigen Raum ist der Kirchenmusiker Ludwig Martin Jeschke – auf YouTube bekannt als „Lingualpfeife“. Mit seiner Version des Kirchenliedklassikers „Großer Gott wir loben dich“ hat er über die Jahre immerhin 1,4 Millionen Aufrufe eingesammelt.

Ausgezeichneter Orgel-Nachwuchs

Um Spitzen-Nachwuchs an den Tasten braucht man sich im Südwesten offenbar nicht sorgen. So gilt der Mainzer Orgelstudent Jan Liebermann als absolutes Ausnahmetalent auf dem Sprung in die Weltklasse – ausgezeichnet mit internationalen Preisen.

Während die meisten Organisten bei ihren Auftritten Noten vor sich haben, spielt der 19-Jährige in der Regel vollkommen ohne. So kann er alle sechs Triosonaten von Bach auswendig spielen – das hat so noch niemand vor ihm gezeigt.

Aber auch noch jüngere Talente begeistern sich für das Instrument – wie Laurens Lutz aus Tübingen:

Erfolg in und trotz Nische

Was im echten Leben Menschen für die Orgel begeistert, funktioniert auch auf Social Media. Die Erfolgszutaten: Voller Körpereinsatz der Musikerinnen und Musiker, die schiere Größe und Opulenz vieler Orgeln sowie epische Klänge mit Schwingungen und Vibrationen wie sie kein anderes Instrument hervorbringt – gepaart mit ein wenig Humor, Vielseitigkeit und überraschenden Coverversionen.

Die Orgel ist längst kein Instrument mehr, das nur in einem sakralen oder klassischen Kontext funktioniert. Auch in den sozialen Medien und dank junger, talentierter Musikerinnen und Musiker bleibt die Orgel auch 2024 das, was sie schon immer ist: Die Königin der Instrumente.

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