Es ist wahrscheinlich DER Orgel-Hit schlechthin: Toccata und Fuge in d-Moll (BWV 565) von Johann Sebastian Bach. Mit über 10 Millionen Aufrufen ist die YouTube-Version des niederländischen Organisten Gert van Hoef (30) ein eindrückliches Beispiel dafür, dass man mit Orgel-Content Erfolge auf Social Media einfahren kann.
Bei seiner Aufführung von Bachs Orgel-Klassiker entsteht ein epischer Klangteppich mit Frequenzen, die auch über Kopfhörer oder Boxen die Luft ordentlich zum Schwingen bringen – Musik, die sich spüren lässt, das kann so fulminant nur eine Orgel. Und dafür braucht es gar kein großes Orchester oder elektronische Synthesizer.
Wie wurde die Orgel zum Kircheninstrument?
#organtok – Orgelcontent auf Social Media
Doch nicht nur mit den naheliegenden Klassikern aus der traditionellen Orgelliteratur lassen sich ordentlich Views einsammeln. Wenn Organistin Anna Lapwood in die Tasten greift, nimmt sie auch immer wieder Videos für TikTok auf. Die 29-Jährige ist Großbritanniens bekannteste Organistin und spielt regelmäßig auf den legendären 9.999 Pfeifen der Orgel in der Royal Albert Hall in London.
Über Social Media ein neues Publikum erreichen
Auf TikTok hat Anna Lapwood mehr als 779.000 Follower, bei Instagram sind es 496.000. Ihre Orgel-Reels gehen regelmäßig viral und erreichen Millionen junger Menschen. Medien bezeichnen Lapwood daher auch als „Taylor Swift der klassischen Musik“.
Ihr Ziel: Über Social Media junge Menschen erreichen und die Begeisterung für klassische Musik wecken – und sie irgendwann auch zu Konzerten zu locken.
Lange sei sie selbst auf klassische Musik festgelegt gewesen – bis zu einem gemeinsamen Konzert mit dem DJ und Produzenten Bonobo.
Lapwood sagt: „Vielleicht war ich sogar ein bisschen versnobt. Dann kam das Bonobo-Konzert, und ich habe angefangen zu weinen. Es war so bewegend, und ich habe erkannt, dass auch das großartige Musik ist. Mein Kopf explodierte, und ich dachte: ‚Wow, es gibt unendliche Möglichkeiten!‘ Das hat wirklich meine Augen geöffnet, und ich wusste, dass ich mehr davon will.“
Coverversionen auf der Orgel – muss das sein?
Dass auch elektronische Musik im Orgelsound noch mal eine ganz andere Dimenson bekommt, zeigen diverse Coverversionen. Beispielsweise des verstorbenen schwedischen DJs Avicii:
Auf dem YouTube-Kanal „Wir sind da“ gibt es eine ganze Playlist mit Coverversionen aus verschiedenen Genres. Da wird dann auch mal der kontroverse Ballermann-Hit „Layla“ von DJ Robin und Schürze auf der Kirchenorgel interpretiert.
Jetzt kann man solche Covers und Crossover-Versionen mögen oder nicht. Dass die Orgel außerdem nicht nur im Gospel oder Soul, sondern auch auf der Rockbühne ihren Platz hat, weiß man spätestens seit den Hammondorgel-Soli von John Lord bei Deep Purple.
Einblicke ins Innenleben der Orgel
Die Begeisterung für verschiede Orgeltypen transportiert der YouTuber Fraser Gartshore. Der deutsch-schottische Organist und Chorleiter nimmt seine Besucher mit in immer neue Kirchen – und zu deren Orgeln. Dabei gibt es Einblicke in die Technik und Geschichte dieser oft für den jeweiligen Kirchenraum sonderangefertigten Instrumente.
Einer der Vorreiter für Orgel-Content aus dem deutschsprachigen Raum ist der Kirchenmusiker Ludwig Martin Jeschke – auf YouTube bekannt als „Lingualpfeife“. Mit seiner Version des Kirchenliedklassikers „Großer Gott wir loben dich“ hat er über die Jahre immerhin 1,4 Millionen Aufrufe eingesammelt.
Ausgezeichneter Orgel-Nachwuchs
Um Spitzen-Nachwuchs an den Tasten braucht man sich im Südwesten offenbar nicht sorgen. So gilt der Mainzer Orgelstudent Jan Liebermann als absolutes Ausnahmetalent auf dem Sprung in die Weltklasse – ausgezeichnet mit internationalen Preisen.
Während die meisten Organisten bei ihren Auftritten Noten vor sich haben, spielt der 19-Jährige in der Regel vollkommen ohne. So kann er alle sechs Triosonaten von Bach auswendig spielen – das hat so noch niemand vor ihm gezeigt.
Aber auch noch jüngere Talente begeistern sich für das Instrument – wie Laurens Lutz aus Tübingen:
Erfolg in und trotz Nische
Was im echten Leben Menschen für die Orgel begeistert, funktioniert auch auf Social Media. Die Erfolgszutaten: Voller Körpereinsatz der Musikerinnen und Musiker, die schiere Größe und Opulenz vieler Orgeln sowie epische Klänge mit Schwingungen und Vibrationen wie sie kein anderes Instrument hervorbringt – gepaart mit ein wenig Humor, Vielseitigkeit und überraschenden Coverversionen.
Die Orgel ist längst kein Instrument mehr, das nur in einem sakralen oder klassischen Kontext funktioniert. Auch in den sozialen Medien und dank junger, talentierter Musikerinnen und Musiker bleibt die Orgel auch 2024 das, was sie schon immer ist: Die Königin der Instrumente.