Er kommt aus Uruguay, ist 38 Jahre alt, Komponist, aber auch Gitarrist mit viel Affinität zum Tango. Vladimir Guicheff Bogacz hat in Montevideo studiert, wo er heute auch als Professor Komposition unterrichtet, außerdem aber auch in Deutschland, vor allem bei Johannes Schöllhorn und Brigitta Muntendorf. Nun ist eine Porträt-CD mit seiner Musik erschienen: Es ist eine CD voller Überraschungen und voller sehr nahbarer Neuer Musik, findet SWR2-Kritikerin Susanne Benda.
Trügerische Naturidylle
Die ersten Töne erinnern an einen schrägen Vogel. Man hört Wiederholungen hoher Töne und Gleitbewegungen. Immer wieder ertönt die Vogelstimme, leise antworten repetierte Töne von Klavier und Woodblock. „Vos, seguime“, übersetzt: „Folge mir!“ heißt das erste Stück auf einer CD, die den Komponisten Vladimir Guicheff Bogacz porträtiert.
Der Aufforderung folgt man gerne, denn das Stück zieht einen in die Klänge hinein. Es hat einen eigenen Sog. Aber Vorsicht! Wer dachte, hier ginge es um eine musikalisch imitierte Naturidylle, der wird ziemlich rasch eines Besseren belehrt.
Ton-Jongleur
Der Vogel vorhin war natürlich nur eine verkleidete Violine, die zu einem Klaviertrio gehört. Dieses Ensemble bleibt aber nicht ungestört. Der Schlagzeuger am Holzblock ist Teil eines zweiten Trios, das sich ganz langsam einschleicht in das Stück. Eine Tuba tupft sanfte Töne unter feine Geigentremoli und unter knarzende Klänge des Cellobogens.
Und so sehr der Perkussionist den Specht auch weiterhin hämmern lässt: Neben die Naturidylle tritt jetzt die Kunst. Immer wieder nimmt Vladimir Guicheff Bogacz die Klänge auseinander, kombiniert oder färbt sie neu, fügt mikrotonale Schwebungen hinzu, lässt den Schlagzeuger mit unterschiedlicher Dämpfung und diversen Schlaggeräten experimentieren.
Der Komponist führt Instrumente so lange parallel, bis die Klänge sich kaum mehr voneinander unterscheiden, jongliert mit Kontrasten in Dynamik, Artikulation und Registern. Ein launisches Spiel, das die Musizierenden des Ensembles Musikfabrik kunstvoll mitspielen.
Gesprenge Genregrenzen
Der Uruguayer Guicheff Bogacz ist Gitarrist und sagt von sich, dass er Instrumente immer erst berühren und mit seinem eigenen Körper spüren muss, um für sie schreiben zu können. Tatsächlich hat das spielerische Ausprobieren, von dem alle seine Werke leben, immer etwas sehr Direktes, Körperliches.
Für Dramaturgie hat Vladimir Guicheff Bogacz ein gutes Gespür. Auch wenn er immer wieder alle Genregrenzen sprengt, nimmt er die Zuhörenden an die Hand – und ebenso die Musizierenden, die deshalb auch mit hörbarer Freude bei der Sache sind. Wer diesem Komponisten aufmerksam zuhört, darf sich vor allem zweier Dinge sicher sein: erstens, dass hier überhaupt nichts sicher ist; und zweitens, dass das Ungewisse richtig viel Spaß macht.