Als Margarita Cozzolani 13 Jahre alt war, schlossen sich die Tore des inzwischen zerstörten Klosters St. Radegonda hinter ihr, von dem man im nahegelegenen Mailand lange erzählte, dass der Kreuzgang regelmäßig vom umherspukenden Geist eines lebendig begrabenen Mädchens heimgesucht werde. Ob Chiara Margarita dem Geist je begegnet ist, ist nicht überliefert. Allerdings wurde St. Radegonda auch durch sie später in einem sehr viel schöneren Sinn überregional bekannt.
Nach dem Tod des Vaters ins Kloster
Margarita Cozzolani wurde im November 1602 in eine ausgesprochen reiche Familie Mailands geboren. Noch während ihrer Kindheit verstarb ihr Vater. Sie verzichtete jedoch, damals für junge Frauen üblich, zugunsten ihrer Brüder auf jegliche Erbansprüche. Stattdessen handelte ihr Onkel für sie und ihre Schwester die nötige Mitgift zum Eintritt ins Kloster St. Radegonda aus.
Das Kloster war weit in ganz Norditalien bekannt für die prachtvolle Musik innerhalb seiner Mauern. Die Benediktinerinnen galten damals als die besten Sängerinnen Italiens und traten vor höchsten Gästen des Mailänder Senats auf. Chiara Margarita wurde dabei als Äbtissin die weibliche Hauptfigur eines innerkirchlichen Streits um Konkurrenz, Eifersucht und männliches Dominanzstreben.
Klangpracht vor Gericht
Dem Mailänder Erzbischof war die musikalische Pracht des Frauenklosters ein Dorn im Auge. Der konservative Hardliner wollte die mehrstimmige Musik aus dem Gottesdienst verbannen. Äbtissin Chiara Margarita musste sich sogar mehrfach vor Gericht verteidigen, weil sie die bischöflichen Verbote in ihrem Konvent übertreten hatte. Ihre Kompositionen sind in drei Sammlungen überliefert, die zwischen 1642 und 1650 gedruckt wurden.
Das SWR2 Musikstück der Woche ist Cozzolanis Vertonung des Psalms, der mit den Worten des betenden Königs David anhebt: „Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich hinlegen werde deine Feinde als Schemel deiner Füße.“
Vokalensemble The Present: Alte trifft Neue Musik
Das Konzept des solistischen Vokalensembles The Present aus Berlin ist es, Alte und Neue Musik miteinander zu verschränken, um sowohl die eine als auch die andere neu hörbar zu machen und unerwartete Verbindungen zum Klingen zu bringen. Das Ensemble gründete sich anlässlich der Schwetzinger SWR Festspiele 2017 für eine Uraufführung.
Begleitet wurden die Sopranistinnen Hanna Herfurtner und Olivia Stahn, die Altistinnen Bernadette Beckermann und Amélie Saadia, die Tenöre Benjamin Glaubitz und Tim Karweick und die Bässe Florian Götz und Felix Schwandtke am 17. Mai 2022 in Schwetzingen von der Gambistin Juliane Laake, dem Lautenisten Lee Santana und der Organistin und Cembalistin Mira Lange.
SWR2 Musikstunde Alte Musik – neu gedacht (1-5)
Komponistinnen und Komponisten haben sich immer auf Vorbilder berufen. Nicht selten haben sie aber auch Neuverarbeitungsfabriken aufgemacht. Ist das eine Anmaßung oder brauchen Meisterwerke ein zeitgerechtes Upgrade? Palestrina wird im 19. Jahrhundert auf den Schild gehoben. Um 1900 lösen romantische Bearbeitungen mittelalterlicher Minnelieder einen regelrechten Mittelalterboom aus. Und im 20. Jahrhundert feiern in Deutschland bürgerliche Singgemeinden eine Erneuerung der deutschen Musik mit alter Kirchenmusik des 14. und 15. Jahrhunderts. (SWR 2021)