Die russische Geigerin Alina Ibragimova hat einen Hang zu Gesamtaufnahmen. Das von Ibragimova 2005 gegründete Chiaroscuro Quartet durchschreitet zurzeit die Streichquartette von Joseph Haydn. Die neueste Haydn-Aufnahme mit den ersten drei der so genannten „Russischen Quartette“ op. 33 lohnt das Zuhören unbedingt.
Wichtig, doch zart und poetisch
Im zweiten Satz des zweiten der Haydn-Streichquartette op. 33 geht es derb zu. Die Geigerin Alina Ibragimova schleift die Töne wuchtig an wie eine Dorfmusikantin, die hier obendrein manchmal fast ein wenig beschwipst wirkt. Dennoch bleibt ihr Ton immer zart und poetisch.
Was das Chiaroscuro Quartet auf seinen historischen Instrumenten, auf Darmsaiten und mit alten Bögen hier an klanglicher Raffinesse, an Nuancen der Tonformung und ganz besonders an Piano-Kultur bietet, ist nicht zu übertreffen. Die Ohren schwelgen.
Und dann kommt natürlich noch der namensgebende Witz des Streichquartetts, das auf Englisch „The Joke“ genannt wird! Treffen sich vier Streicher und spielen den Finalsatz von Haydns Streichquartett op. 33 Nr. 2, einen leichtfüßig servierten, tänzerischen Presto-Ohrwurm im Charakter einer Gigue.
Als der Schluss naht, durchbricht plötzlich ein Adagio die quirlige Munterkeit. Generalpausen folgen. Haydn hat seine eigene Musik in kleine Teilchen zerschnippelt. Und wo, bitteschön, ist hier der Schluss?
Komponist mit Gespür zur Selbstvermarktung
Haydns Täuschungsmanöver beweist, dass dieses op. 33 tatsächlich „auf eine ganz neue, besondere Art“ komponiert wurde – so jedenfalls hat der Komponist den Zyklus damals geschickt selbst vermarktet.
Im dritten Werk des Zyklus, dem so genannten „Vogelquartett“: pochende C-Dur-Akkorde von zweiter Geige, Bratsche und Cello. Darüber tiriliert die Primaria. Harmonisch gibt es überraschende Wendungen. Ähnliches ist im zweiten von Mozarts Preußischen Quartetten op. 59 zu hören. Da hat sich Mozart eifrig bei Haydn bedient.
Scherzi statt Menuetten
Haydns Quartette op. 33 heißen nicht nur „Russische Quartette“, weil sie dem späteren Zaren Paul gewidmet sind, sondern tragen auch den Namen „Scherzoquartette“, weil Haydn hier erstmals die Menuette durch Scherzi ersetzte, ein Vorbild für Beethoven.
Gleiches gilt für Haydns Lust an dynamischen Kontrasten. Die Kunst der feinen klanglichen Abtönung, die das Chiaroscuro Quartet hier präsentiert, macht richtig Lust auf mehr.
Das Chiaroscuro Quartet und Haydn
CD-Tipp Das Chiaroscuro Quartet setzt Haydns Streichquartette in neues Licht
Von seiner besten Seite präsentiert sich das in London beheimatete Chiaroscuro Quartet mit einer Neueinspielung von Joseph Haydns Streichquartetten op. 76 Nr. 1-3. Das Ensemble, das sich der historischen Aufführungspraxis verpflichtet fühlt, lässt es im Forte richtig krachen und hat ein Piano, als spielte es auf einem einzigen Bogenhaar. Es artikuliert so anmutig, filigran und virtuos, dass man den Bogen regelrecht tanzen sieht und hat einen Klang, so leuchtend, licht und klar, dass sich ihn SWR2-Musikredakteurin Dorothea Bossert schöner kaum vorstellen kann.
CD-Tipp von Eleonore Büning Das Chiaroscuro Quartet spielt Haydns Streichquartette Nr. 78 - 80
Das Chiaroscuro Quartet hat die Streichquartette Nr. 78 - 80 von Joseph Haydn eingespielt. Die meisten seiner Kammermusiken hatte Haydn exklusiv für die Fürstenfamilie Eszterhazy komponiert. Seinen vorletzten Streichquartettzyklus erwarb Graf Joseph Erdödy aus Pressburg, anno 1797, für den Spottpreis von 100 Dukaten. Er konnte sich dafür die Stücke zwei Jahre lang allein vorspielen lassen. Hoffentlich hören jetzt ein paar mehr Leute zu. „Es lohnt sich“, sagt Eleonore Büning.
Musikstück der Woche Das Chiaroscuro Quartett spielt Joseph Haydn: Streichquartett Es-Dur op. 76 Nr. 6
Die Form des Streichquartetts ist in diesem Werk nur die Hülle für sehr gewagtes musikalisches Experimentieren, und mit der Komposition seiner Streichquartette op. 76 etablierte Joseph Haydn diese Gattung fest im Olymp der klassischen Musik.
Haydn-Streichquartette im SWR2 Musikstück der Woche
Musikstück der Woche Das Escher String Quartet spielt Joseph Haydns Streichquartett Nr. 35
Joseph Haydns 35. Streichquartett gehört zu seinen sogenannten "Sonnenquartetten". In Vollendung führt er hier vor, wie man vier Stimmen absolut gleichberechtigt behandelt. Damit setzt er eine Messlatte für alle Komponisten nach ihm.