Mit der Komposition seiner Streichquartette etablierte Joseph Haydn diese Gattung fest im Olymp der klassischen Musik. Im sechsten und letzten der sogenannten „Erdödy-Quartette“ ging er zusätzlich ganz besondere Experimente ein.
Unser SWR2 Musikstück der Woche interpretiert das Chiaroscuro Quartett. Der Mitschnitt entstand im Dezember 2018 auf Schloss Waldthausen in Budenheim.
Experimentalstudio „Streichquartett“
Die vorletzte Serie an Streichquartetten, die Joseph Haydn vor 1798 komponierte, widmete er dem ungarischen Grafen Joseph Georg von Erdödy. Bis heute tragen sie sehr bekannte Namen: Das „Quintenquartett“ an zweiter Stelle beispielsweise ist nach dem musikalisch äußerst innovativen Einsatz dieses Grundintervalls benannt. Oder das „Friedhofsquartett“, dessen ausgedehntes Largo noch heute manchmal bei Beerdigungen erklingt. Am berühmtesten ist aber sicherlich das dritte Werk, das sogenannte „Kaiserquartett“. In dessen zweitem Satz wird die Melodie der heutigen deutschen Nationalhymne variiert.
Ein Quartett ohne Namen
Was eine solche Namenswahl angeht, bei Haydns Werken übrigens eine sehr beliebte Praxis, ist es um das letzte Stück im „Erdödy“-Zyklus ungewöhnlich still. Warum?
Wie seine Vorgänger besteht auch dieses Quartett aus vier Sätzen. Doch schon der Kopfsatz wirkt äußerst ungewöhnlich. Denn sein Hauptthema ist merkwürdig kleingliedrig: Schon nach acht kurzen Takten setzt die erste Wiederholung ein. Handelt es sich bei diesen absteigenden Linien überhaupt um ein echtes „Thema“? Oder sind es eher gereihte, durch Pausen voneinander abgesetzte Harmoniefolgen? Aus den wenigen Noten jedenfalls entwickeln sich gekonnte, Haydn-typische Variationen, die dann noch in einem kompakten Allegro-Fugato münden.
Der zweite Satz trägt die Bezeichnung „Fantasia“. Offenbar ist das ein Hinweis auf besondere Kühnheiten der Komposition, auch auf einige „Regelverstöße“ nach damaligen Vorstellungen, die hier durchaus vorkommen. Formal handelt es sich zwar um ein Adagio im Dreiertakt, doch dürfte es in der Musik der Haydn-Zeit wohl kaum ein Stück gegeben haben, das harmonisch eine derartige Unruhe aufwies wie dieser Satz.
CD-Tipp Das Chiaroscuro Quartet setzt Haydns Streichquartette in neues Licht
Von seiner besten Seite präsentiert sich das in London beheimatete Chiaroscuro Quartet mit einer Neueinspielung von Joseph Haydns Streichquartetten op. 76 Nr. 1-3. Das Ensemble, das sich der historischen Aufführungspraxis verpflichtet fühlt, lässt es im Forte richtig krachen und hat ein Piano, als spielte es auf einem einzigen Bogenhaar. Es artikuliert so anmutig, filigran und virtuos, dass man den Bogen regelrecht tanzen sieht und hat einen Klang, so leuchtend, licht und klar, dass sich ihn SWR2-Musikredakteurin Dorothea Bossert schöner kaum vorstellen kann.
Podcast mit freien Musiker*innen Das Gottesauer Ensemble mit Kammermusik von Haydn
Das Repertoire für Oboenquartett „lässt zu wünschen übrig“ findet Oboist Georg Siebert aus Karlsruhe. Groß war also seine Freude, als er auf diese besondere Bearbeitung eines Haydn-Streichquartetts aus dem 18. Jahrhundert gestoßen ist: Ein Hofmusiker des Fürsten von Fürstenberg arrangierte es damals für Oboe und Streichtrio.