Joseph Haydns 35. Streichquartett gehört zu seinen sogenannten "Sonnenquartetten". In Vollendung führt er hier vor, wie man vier Stimmen absolut gleichberechtigt behandelt. Damit setzt er eine Messlatte für alle Komponisten nach ihm.
Musikalischer Forschergeist in Heidelberg
Streichquartette sind die Labore der Musikgeschichte. Hier probieren die Komponisten neue Ideen aus, tüfteln an Formen und experimentieren mit zukunftsträchtigen Klangsprachen.
Die Uni-Stadt Heidelberg mit ihren vielen wissensdurstigen und forscherlustigen Bewohnern eignet sich deshalb ideal für ein Streichquartett-Fest. Jedes Jahr veranstaltet der „Heidelberger Frühling“ dieses Festival im Festival. Junge und etablierte Quartette treffen hier zusammen mit einem Publikum voller Entdeckerlust, und gemeinsam nimmt man die Werke und ihre verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten unter die Lupe. In den Konzertpausen laden Tische und Sitzecken zu Gesprächen zwischen Musiker*innen und Publikum ein – ein schöner und quirliger Austausch!
Laborleiter Haydn
Joseph Haydn hat zeitgleich mit Luigi Boccherini das Streichquartett als musikalische Gattung „erfunden“ und damit die Musikgeschichte ordentlich aufgemischt. Seine sechs Quartette opus 20 von 1772 tragen den Beinamen „Sonnenquartette“ – er stammt nicht von Haydn selbst, sondern geht zurück auf eine zeitgenössische Notenausgabe, auf deren Titelblatt eine Sonne abgebildet ist.
„Von dieser Nummer an erscheint Haydn in seiner ganzen Größe als Quartett-Komponist“, liest man in einem zeitgenössischen Musiklexikon. In Vollendung führt Haydn hier vor, wie man vier Stimmen absolut gleichberechtigt behandelt; diese „Diskurs-Kultur“ wird eines der wesentlichen Kennzeichen der Quartett-Komposition; Haydn setzt hier die Messlatte für alle Komponisten nach ihm.
Das f-Moll-Quartett: Schauer und Idylle
„Unser“ Musikstück-Quartett steht in dieser Sammlung an vorletzter Stelle. Tonartlich ist es denkbar weit vom Sonnencover entfernt: seine Tonart f-Moll steht traditionell fürs Finster-Schattige, für Tragisches, Trauriges und die Grenzbereiche zwischen Leben und Tod. Davon macht Haydn in diesem Quartett reichlich Gebrauch.
Natürlich reizt der Abgrund aber auch immer zu einem Schwenk ins helle Sonnenlicht. Den macht Haydn im langsamen Satz (Adagio), der in der Hirtentonart F-Dur steht und das Bild einer idyllischen Gegenwelt zeichnet. Nonchalant sind hier verschiedene Formen und Techniken miteinander kombiniert: Liedform, Variationenform und Ideen aus der Architektur einer klassischen Sonate.
Der Knaller zum Schluss: eine explosiv-dichte Fuge
Am Ende steht eine Fuge mit zwei Themen: drei Minuten ausgesprochen verdichtete Musik, in denen Haydn zeigt, was er in Sachen Kontrapunkt „drauf“ hat. Kunstvoll sind die Themen und Begleitfiguren ineinander verschachtelt.
Das markante erste Fugenthema mit seinen barocken Wurzeln wird übrigens Wolfgang Amadeus Mozart später in seinem Requiem aufgreifen. Ganz am Ende, nach einem längeren Abschnitt im Piano: zwei knallige archaische Schlussakkorde, nach denen man als Publikum einfach klatschen muss: Experiment geglückt!
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Musikstück der Woche mit dem Schumann Quartett Joseph Haydn: Streichquartett Es-Dur op. 33 Nr. 2
Kein Witz: dieses Quartett hat den Beinamen „The Joke“ – wegen seiner unerwarteten, witzigen Wendungen im Finale. Unser Mitschnitt stammt von den Schwetzinger SWR Festspielen, das Schumann Quartett spielte dort am 21. Mai 2016.