100. Todestag Giacomo Puccini

Zwischen Eifersucht und großer Liebe: Warum wir die Frauen in Puccinis Opern lieben

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Sebastian Kiefl
Sebastian Kiefl

Vor 100 Jahren starb Giacomo Puccini, doch seine Opern leben bis heute fort auf den Bühnen in aller Welt. Auch beim zehnten Besuch von „Tosca“ sitzt man gebannt an der Kante des Sitzes im Opernsaal. Neben Puccinis Musik, die ungebrochen fasziniert, bewegen uns nach wie vor die dramatischen Frauenfiguren, die er in großen Arien zum Leben erweckte.

Puccinis Opern: Jederzeit beliebt

Der Rückblick der deutschen Opernhäuser zur Spielzeit 2022/23 beweist: Puccini muss sich wahrlich nicht vor Verdi oder Mozart verstecken. Ganz im Gegenteil: In der Anzahl der Aufführungen liegt „Madama Butterfly“ deutschlandweit auf Platz 5, „La bohème“ macht den achten Platz und auch „Tosca“ schafft es noch in die Top 10. In den Jahren zuvor war die das römische Politdrama sogar noch unter den Top 3.

Da stellt man sich die Frage: Was also bewegt uns so sehr an diesen Opern? Warum gehen uns die Geschichten von Puccinis Heldinnen so nahe, auch wenn man schon im Vorfeld schon weiß, dass man beim Zuhören eher mit ihnen leiden wird. Ein Erklärungsversuch mit Blick auf fünf der polpulärsten Leading Ladies von Puccini:

Musikstunde Giacomo Puccini – Der letzte Großmeister der Oper (1–5)

Er ist einer der größten Opernkomponisten aller Zeiten: Giacomo Puccini. Das sagen die einen. Anderen, kritischen Geistern gilt er als sentimentaler Kitschier.

Musikstunde SWR Kultur

Floria Tosca: Eifersüchtige, Verzweifelte, Mörderin

In kürzester Zeit schafft es Puccini üblicherweise, dass man mit den Figuren seiner Opern mitfiebert. Bei Tosca ist es aber vielleicht erst im zweiten Akt soweit. Im ersten zeigt sich die römische Sängerin von ihrer eifersüchtigen Seite: das Gemälde der Maria Magdalena, an dem ihr Geliebter Cavaradossi arbeitet, ist zu schön. Er soll es abändern. Die Eifersucht war übrigens auch im privaten Leben Puccinis ein ständiges Thema.

Polizeichef Scarpia – im Nebenjob Tyrann – will die Eifersucht der hübschen Tosca für sich nutzen und versucht sie so zu gegen ihren Geliebten auszuspielen, der einem politischen Gefangenen bei der Flucht half. Schließlich versucht er sie zum Sex zu zwingen. Nur so kann sie Cavaradossi vor dem Tod bewahren.

Anja Harteros als Tosca und Ludovic Tezier als Scarpia bei den Salzburger Festspielen 2018.
Flehen, betteln oder Bestechung: Nichts scheint Scarpia (hinten) umzustimmen. Einzig und allein die Eroberung von Toscas Körper bringt den Polizeichef dazu, Cavaradossi freizulassen. Tosca (auf dem Boden) ist am Rande der Verzweiflung. Im Bild: Produktion der Salzburger Festspiele 2018 mit Anja Harteros und Ludovic Tézier.

Die Eifersüchtige verwandelt sich in eine Furie: Tosca schreit und fleht, doch Scarpia ergötzt sich nur an ihrem Zorn auf, während die Trommeln im Hintergrund bereits Cavaradossis Erschießungskommando ankündigen. Langsam verstummen sie und die gebrochene Tosca fragt sich: Nur für Kunst und die Liebe lebte sie, war stets fromm, doch wo bleibt ihr Gott in dieser schmerzerfüllten Stunde?

Ihre Arie „Vissi d'arte“ singt Tosca am absoluten Tiefpunkt, sie ist buchstäblich am Boden, nichts ist mehr übrig von ihrem Kampfeswillen.

Maria Callas sings "Vissi d'arte" (from Puccini: Tosca) – Paris, 1958

Ein Messer auf Scarpias Schreibtisch erweckt schließlich Toscas Kampfgeist zu neuem Leben: Sie rammt ihrem Peiniger das Messer ins Herz und verhöhnt ihn: Am Blut soll er ersticken. Ein Happy End für die Belladonna? Leider nein. Zwar wurde ihr und Cavaradossi Freiheit versprochen, doch die Scheinhinrichtung entpuppt sich als letzte List Scarpias. Cavaradossi fällt den Kugeln zum Opfer, Tosca nimmt ihr Schicksal in die eigene Hand und springt von der Engelsburg in den Tod.

ARD Oper Giacomo Puccini: „Tosca“ aus der Bayerischen Staatsoper München

Für die Sängerin Floria Tosca kommt es am Ende einem inneren Erdrutsch gleich, dass ihr Geliebter Cavaradossi tot ist. Und keineswegs, wie sie geglaubt hat, nach einer Schein-Exekution mit ihr fliehen kann. Die Frau, die den Polizeichef Scarpia zuvor in Notwehr niedergestochen hat, liefert uns mitten im mittleren Akt von Puccinis Reißer in ihrer berühmten Arie "Vissi d'arte" Bilder aus den verschlossenen Herzkammern ihrer Seele. Immense Klangfülle muss sich da entfalten. Bei aller Demütigung lässt sich Tosca ihre Würde nicht nehmen. Die Neuproduktion der Bayerischen Staatsoper ist ein Beitrag zum Puccini-Jahr 2024.

Mimì: Der Atem stockt bis zum letzten Moment

Würde man „Tosca“ und „La bohème“ direkt nacheinander sehen, könnte der Kontrast zwischen den Hauptfiguren nicht größer sein: Tosca stürzt sich dramatisch in die Tiefe, doch Mimì dürfte kaum noch die vielen Stufen der Engelsburg erklimmen können.

Die junge Frau ist sehr krank. Als ihr auf der Treppe zu ihrer Wohnung die Kerze ausgeht, sie klopft bei ihrem Nachbarn, dem mittellosen Dichter Rodolfo. Zitternd steht sie in der Tür und wartet, dass Rodolfo ihr die Kerze anzündet. Doch dann geht ihr Schlüssel verloren. Bei der Suche berührt Rodolfo zunächst das kalte Händchen der schönen Fremden, dann berühren sich die Herzen. Der Poet und das Mädchen stellen sich einander vor.

La Bohème: “Sì, mi chiamano Mimì”

„Sì. Mi chiamano Mimì“, singt sie und erzählt von sich: Sie sei Blumenstickerin, bete viel zu Gott und sonst sei sie fürchterlich allein. Schwach und gebrechlich ist Mimì, eine „Femme fragile“ wie sie im Buche steht.

Wer hier bei Puccini auf Genesung und Happy End hofft, wird – wie so oft bei seinen Opern – bitter enttäuscht. Rodolfo und seine Freunde verkaufen Hab und Gut, um Mimì Medizin zu besorgen, doch vergeblich: Am Ende gewinnt die Schwindsucht den Kampf und Mimì im Kreise der Bohemiens.

Giselle Allen als Mimi, Alex Vicens als Rodolfo und Kate Valentine als Musetta bei einer Aufführung von La Boheme im Wales Millennium Centre, Cardiff.
Bis zulöetzt hegt Rodolfo Hoffnung, dass seine Mimì stark genug ist, doch die Tuberkulose ist stärker. „Mimì! Mimì! Mimì!“ ruft er in Verzweiflung über ihren leblosen Körper gebeugt, bevor der Vorhang fällt. Im Bild: Produktion des Wales Millennium Centre Cardiff mit Giselle Allen (Mimi), Alex Vicens (Rodolfo) und Kate Valentine (Musetta).

Manon Lescauts: Dem Neid verfallen, mit dem Tode bezahlt

Eine entkräftete Frau, die nach ihrem Tod in den Armen ihres Geliebten liegt – bei Puccini kein Einzelfall! Auch bei „Manon Lescaut “ wird einem ein Wechselbad der Gefühle geboten.

Es ist zwar Liebe auf den ersten Blick zwischen Manon und dem Chevalier Des Grieux, doch Manon liebt eben auch die schönen Dinge. Da verlässt sie den armen Ritter und genießt den Luxus, den ihr der Generalschatzmeister bieten kann. Des Grieux schafft es zwar, Manon wieder für sich zu gewinnen, doch zieht das Paar nun die Rache des Schatzmeisters auf sich. Der erhebt Anklage und Manon wird in die Strafkolonie nach Louisiana verbannt.

Sonya Yoncheva "Sola, perduta, abbandonata" Manon Lescaut (2019)

Des Grieux weicht auch in der Neuen Welt nicht von Manons Seite und beiden gelingt die Flucht in die Wüste. Als das Wasser knapp wird und der Geliebte sich auf die Suche nach Flüssigem begibt, beklagt die geschwächte Manon ihr Leid in „Sola, perduta, abbandonata“. Dass ihr der Tod kurz bevorsteht, ist Manon allzu sehr bewusst.

Schließlich kommt jede Hilfe zu spät, in den Armen von Des Grieux stirbt Manon. Ein Leben zwischen von Liebe, Neid und Gier findet sein tragisches Ende.

Der Tenor Aleksandrs Antonenko (Chevalier Des Grieux), links und die US Sopranistin Sondra Radvanovski (Manon Lescaut) bei einer Aufführung von Manon Lescaut in Leipzig.
In ihrer letzten Arie beklagt Manon ihre Einsamkeit. In der Einöde wird sie bewusstlos und stirb entkräftigt in den Armen von Des Grieux. Bild: Aufführung in Leipzig mit Aleksandrs Antonenko (Des Grieux) und Sondra Radvanovski (Manon).

Cio Cio San: Bis dass der Tod uns scheidet

Ganz anders läuft es bei „Madama Butterfly“, denn hier nimmt sich die Protagonistin aus freien Stücken das Leben.

Die Japanerin Cio Cio San, genannt Butterfly, will die Hoffnung auf ihre große Liebe nie aufgeben. Mit 16 Jahren heiratet sie einen amerikanischen Offizier und schwört für ihn sogar den japanischen Göttern ab. Doch der Offizier von Übersee sieht die Ehe in Fernost als keine wirkliche Verbindung. In der Heimat heiratet er erneut. Unterdessen bringt Cio Cio San seinen Sohn zur Welt.

Cio Cio San weiß davon nichts. Im Gegenteil: Voller Hoffnung erwartet sie seine Rückkehr: „Un bel di, vedremo“, singt sie – eines schönen Tages werden wir uns wiedersehen. Sehnsüchtig erwartet sie den Tag, an dem die weißen Segel wieder am Horizont erscheinen und das Schiff ihres Geliebten wieder anlegt.

Doch wer bei Puccini auf Hoffnung setzt, muss mit zerstörten Hoffnungen klarkommen, auch in „Madama Butterfly“. Zwar kommt ihr Offizier zurück, doch mit ihm seine neue Frau. Nachdem er vom gemeinsamen Kind erfahren hat, beschließt er, es mit seiner zweiten Ehefrau großziehen zu wollen.

Die Schmach ist zu viel für Butterfly. Sie nimmt sich mit dem Dolch das Leben und gibt damit den Sohn für das neue Leben bei der neuen Mutter frei.

Valeria Sepe als Cio Cio San und Anna Maria Chiuri als Suzuki beim Puccini-Festival 2024 in Torre del Lago.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, mag sich Butterfly gedacht haben, während sie sich in der Arie „Un bel di, vedremo“ nach ihrem Marineoffizier sehnt. In einem weißen Kriegsschiff soll er kommen, ihren Namen rufen, es duftet herrlich nach Verbene. Doch es kommt alles ganz anders. Bild: Valeria Sepe und Anna Maria Chiuri beim Puccini-Festival 2024 in Torre del Lago.

Lauretta: Was Väter nicht alles für ihre Tochter tun

Selbstmord bleibt auch ein Thema bei Puccinis „Gianni Schicchi“. Hier droht Lauretta ihrem Vater nämlich mit selbigem in „O mio babbino caro“.

Montserrat Caballé - O mio babbino caro

Man kann ihren Schmerz nachvollziehen, schließlich geht es, wie so oft bei Puccini, um das einzig Wahre: die ganz große Liebe. Lauretta kommt im Gegensatz zu ihrem Geliebten nicht aus noblen Verhältnissen. Eine Heirat scheint also ausgeschlossen und Lauretta ist bereit, sich in den nächstbesten Fluss zu werfen.

Doch eine Lösung findet sich unverhofft: Ihr Vater soll sich auf das Totenbett des soeben verstorbenen Buoso Donati legen und ihr einen Teil von dessen enormem Reichtum vermachen. Der Notar weiß schließlich noch nichts vom Toten.

Probenfoto aus der Salzburger Inszenierung von "Il trittico" (2022): Misha Kiria (Gianni Schicchi), Asmik Grigorian (Lauretta) und Alexey Neklyudov (Rinuccio)
Trautes Familienglück steht ins Haus: Um die Ehe zwischen Lauretta und Rinuccio ermöglichen zu können, muss Gianni Schicchi den Todgeweihten spielen. Bild: Inszenierung der Salzburger Festspiele 2022 mit Misha Kiria, Asmik Grigorian und Alexey Neklyudov.

Die Worte der Tochter scheinen zu wirken und Gianni Schicchi vermacht sich in der Rolle des Donati einen Großteil von dessen Reichtum. Er war schließlich auch dessen bester Freund. Der Hochzeit zwischen Töchterlein und Geliebtem steht nichts mehr im Wege. Ein Happy End, na endlich!

Highlights zum Puccini-Jubiläum

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