Durch den Krieg gegen die Ukraine sind viele Musikerinnen und Musiker nach Deutschland geflüchtet. Gerade am 24. August, dem ukrainischen Nationalfeiertag, blicken sie zurück in Richtung Heimat. Ein musikalisches Symbol der Hoffnung ist dabei auch die Nationalhymne. Ihr Titel: „Noch ist die Ukraine nicht gestorben“.
„Ще не вмерла Україна“ – „Noch ist die Ukraine nicht gestorben“. Das ist der Titel der ukrainischen Nationalhymne. Und auch wenn der Text aus dem 19. Jahrhundert stammt, ist dieser Satz heute so aktuell wie selten zuvor.
Die Ursprünge der ukrainischen Nationalhymne
Im 19. Jahrhundert existiert keine souveräne Ukraine. Das Land, auf dem die Menschen Ukrainisch sprechen, ist aufgeteilt zwischen dem russischen Imperium und dem Kaiserreich Österreich-Ungarn. Doch junge Intellektuelle lehnen sich auf. Inspiriert von den Nationalbewegungen, die zu dieser Zeit in ganz Europa entstehen, schreibt der Dichter Pawlo Tschubinskij im Jahr 1862 ein Gedicht über seine Heimat. Der Titel: „Noch ist die Ukraine nicht gestorben“.
Tschubinskij, der in Sankt Petersburg lebt, wird von der russischen Polizei für die Veröffentlichung des Gedichtes bestraft. Ihm wird Verrat am Russischen Reich vorgeworfen. Sieben Jahre verbringt er in der Verbannung im Norden Russlands. In der österreichisch verwalteten Ukraine, die intellektuell weitaus freier ist, wird der Komponist Michajlo Werbitzky darauf aufmerksam und komponiert eine Melodie zum Text.
1865 wird die Hymne zum ersten Mal aufgeführt, auf einem Konzert zu Ehren des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko. Auch er war ein Opfer zaristischer Repression geworden und war vier Jahre zuvor verstorben. Die Melodie und der Gesang von Tschubinskij und Werbitzky, die an diesem Abend zum ersten Mal erklingen, bleiben den Menschen in der Ukraine im Ohr.
Neue Hymne unter sowjetischer Führung
Die Geschichte der Ukraine bleibt geprägt von blutigen Episoden: 1917 ziehen die deutschen Truppen nach jahrelangem Kampf im Ersten Weltkrieg aus Kiew ab. Das entstehende Machtvakuum füllt die erste ukrainische Republik. Das gab es seit Katharina der Großen nicht mehr. Wieder erklingt die Hymne „Noch ist die Ukraine nicht gestorben“.
Die junge Republik lebt nur kurz. Bereits in den 1920er-Jahren wird die Ukraine wiederum von sowjetischen Truppen besetzt, von Moskau wird eine Sattelitenregierung installiert. Ukrainische Freiheit? Das gibt es laut Moskau nicht, so bekommt die Ukrainische Sowjetrepublik auch eine neue Hymne. Das klingt etwas pompös, etwas glorifizierend und etwas – sowjetisch.
Die Nationalhyme spendet Hoffnung
Nach der Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991 kehrt man zur alten Hymne aus dem 19. Jahrhundert zurück. Die beiden Autoren Werbiitzkij und Tschubanskij hätte es sicher stolz gemacht. Beide haben eine unabhängige Ukraine nie erlebt. Heute spendet die Hymne Ukrainern und Ukrainerinnen in aller Welt Hoffnung, denn, der Titel verheißt: „Noch ist die Ukraine nicht gestorben.“
„Ich finde, dass diese Musik in der Zeit des Krieges für uns immer eine Erinnerung daran ist, wofür wir jeden Tag kämpfen und wofür wir jeden Tag arbeiten“, sagt Dariia Holiatina. Die junge Frau aus Odessa ist Masterstudentin für Chorleitung an der Musikhochschule Freiburg. Sie organisiert im Breisgau auch ukrainische Chorprojekte mit Studierenden und Interessierten.
Die Bedeutung, die die Hymne durch den russischen Angriffskrieg bekommen hat, fasst Holiatina folgendermaßen zusammen: „Als Musikerin kämpfe ich für jede kleine Möglichkeit, mein Land zu repräsentieren und meine Musik zu zeigen. Diese Hymne ist genau der Grund und genau die Erinnerung, wofür wir kämpfen. Wir kämpfen für die Ukraine, wir kämpfen für unser Land.“
Beiträge über Hymnen
Mehr über die Musik im ukrainisch-russischen Krieg
Album-Tipp Streichquartette von Boris Lyatoshynsky mit dem Quatuor Tchalik
Manchmal hat Zeitgeschichte erstaunliche Nebeneffekte. Erst durch den brutalen Angriffskrieg der russischen Truppen auf die Ukraine ist im Westen das Bewusstsein erwacht, dass es auch eine originäre ukrainische Kultur gibt. Zu den ukrainischen Komponisten, die bei uns gerade „entdeckt“ werden, gehört der 1895 in Schytomyr geborene Boris Lyatoshynsky. Das junge französische Quatuor Tchalik, das 2018 den Internationalen Mozartwettbewerb in Salzburg gewann, stellt auf seiner jüngsten CD zwei Lyatoshynsky-Quartette vor und koppelt sie mit Ravel. Für Susanne Stähr eine Entdeckung.