Bislang ist sie vor allem durch romantische Gefilde gereist – mit Solowerken von Schubert und Liszt und Konzerten von Chopin und Rachmaninow. Jetzt hat die georgisch-französische Pianistin Khatia Buniatishvili ein Album mit Sonaten und Konzerten von Mozart herausgebracht.
Mysteriöses Piano
Nur zwei seiner 27 Klavierkonzerte hat Mozart in einer Moll-Tonart komponiert, darunter das Konzert Nr. 20 im dramatischen „Don Giovanni“-d-Moll. Geheimnisvoll raunend eröffnet die Academy of St. Martin in the Fields den ersten Satz, bis dann nach rund zwei Minuten das Klavier einsetzt, leise und melancholisch.
Was für ein mysteriöses Piano. Suchend und fragend. Wo bin ich? Was mache ich hier? Die anschließenden zarten Aufschwünge in die hohe Tonlage wirken wie ein vorsichtiges Funkeln.
Doch Khatia Buniatishvili spielt diese drei hohen Töne nicht etwa gleich laut und monochrom, sondern sie reduziert am Ende die Lautstärke – als würde der kurze Blitz von Selbstbewusstsein sofort wieder in Frage gestellt. Bin ich hier wirklich richtig?
Dirigentin und Solistin gleichzeitig
Khatia Buniatishvili hat für dieses Album eine Doppelrolle angenommen: Sie dirigiert und übernimmt den Solopart am Klavier. Das erklärt vielleicht, warum das Orchester der Adademy so wunderbar kammermusikalisch spielt: die Linien der Holzbläser, ihre kleinen Akzente, dazu der Schmelz der Streicher – überzeugend!
Das Klavier hat sich längst ins Geschehen eingefunden und entwickelt einen dramatisch-intensiven Tonfall. Doch das Rauschen geht bei Buniatishvili nicht auf Kosten von Klarheit.
Dann der zweite Satz: eine Romanze. Khatia Buniatishvili spielt das sehr innig, wie ein Lied ohne Worte. Der Triller: eine zarte Berührung in Tönen. Doch diese Idylle ist nur eine vorübergehende Erscheinung. Denn im Mittelteil des Satzes warten erneut Abgründe. Wie hier die Holzbläser mit dem Klavier in Dialog treten und wechselseitig aufeinander reagieren – das ist bis ins kleinste Detail genau ausgelotet.
Große Mozart-Interpretin
Sie merken es längst: Ich bin von dieser Aufnahme, jedes Mal, wenn ich sie bislang gehört habe, wieder neu angetan. Zugegeben: auch weil sie mich ein wenig überrascht hat. Nicht jeder Pianist, nicht jede Pianistin, die sich bei Chopin und Liszt auskennt, ist automatisch ein großer Mozart-Spieler. Und Buniatishvili ist eine große Mozart-Interpretin!
Das zeigt diese Aufnahme eindrucksvoll. Allein die wenigen Takte zu Beginn des Rondo-Satzes: zweimal ein kurzer, nach oben schießender Lauf. Bei Buniatishvili klingt das ungemein nervös, aufregend, hungrig. Wie ein Dominoeffekt unter Stecknadel-Köpfen.
Wie Khatia Buniatishvili permanent die Dynamik ändert und dadurch kleinste Phrasen formt, wie sie mit Haupt- und Nebenstimmen umgeht – und gleichzeitig das Orchester präzise eingestellt hat – das bietet Grund genug zum Staunen. Kaum geht raunend die eine Phrase zu Ende, schon beginnt springinsfeld-keck die nächste.
Diese Aufnahme muss man hören
Das zweite große Werk auf diesem Album ist das A-Dur-Konzert KV 488. Ich spare mir hier ein Beispiel, denn ich möchte Sie neugierig machen: Hören Sie diese Aufnahme! Sie werden es nicht bereuen.
Stattdessen ein kurzer Schwenk zum dritten Stück. Khatia Buniatishvili stellt die C-Dur-Sonate fast wie eine Zugabe ans Ende. Ausgerechnet die vermeintlich leichteste aller Mozart-Sonaten hat sie ausgewählt, die „Sonata facile“.
Vom dem berühmten Pianisten Arthur Schnabel stammt das oft strapazierte Bonmot über Mozarts Sonaten: „Für Kinder zu leicht – aber für Erwachsene zu schwer“. Eins ist klar: für Khatia Buniatishvili ist Mozart nicht zu schwer.
Fortsetzung dringend erwünscht!
Kurze Akkorde, die klingen wie auf einem Hammerflügel, dazu glasperlenartige Läufe – Buniatishvili spielt diese Sonate mit großer Klarheit und mit einer aufregenden Binnenspannung.
Ein wirklich rundum beglückendes Mozart-Album – mit einem winzigen Nachteil: nach 68 Minuten ist leider alles vorbei. Fortsetzung dringend erwünscht!
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