Alte Eltern ist ein Thema, mit dem früher oder später die meisten von uns konfrontiert werden. Volker Kitz schildert sehr persönlich den Alltag mit seinem dementen Vater und hat damit einen wertvollen Begleiter für erwachsene Kinder geschrieben, die vor demselben Problem stehen.
Volker Kitz hat ein wichtiges Buch geschrieben über eine Frage, der wir uns erst stellen, wenn wir durch die Umstände dazu gezwungen werden: Was sollen wir tun, wenn unsere Eltern nicht mehr für sich selbst sorgen können? Sein Vater ist Ende siebzig, als er eines Tages nicht begreift, wie man einen Schlüssel im Schloss dreht und eine Kaffeemaschine bedient. Die Diagnose „Demenz“ stellt die beiden Söhne vor eine Herausforderung.
Was ist Erinnerung, wenn das Gedächtnis nicht mehr funktioniert?
Volker Kitz versucht zunächst, einen rationalen Zugang zu der schwer begreiflichen Veränderung des Vaters zu finden. Besessen sucht er medizinische, soziologische und psychologische Erklärungen. Er fragt sich: Was ist Erinnerung, wenn das Gedächtnis nicht mehr funktioniert?
Der Vater bekommt bei einer Fußball-Reportage leuchtende Augen, die Familienbilder aber sagen ihm nichts. Die Gedächtnisforschung hat herausgefunden, dass wir nur acht bis zehn Tage eines Jahres im Gedächtnis behalten. Die unzähligen einander ähnlichen Erlebnisse, die keine Emotionen hervorrufen, werden aussortiert. Volker Kitz findet und zitiert eine Menge Literatur über Erinnern und Vergessen, was ihm selbst aber nicht hilft.
Der Vergleich zum Vorher macht die Dinge unerträglich
Als das Leben alleine im Haus für den Vater unmöglich wird, findet Volker für ihn in Berlin in der Nähe seiner eigenen Wohnung ein Pflegeheim. Zwischen den beiden besteht eine große Verbundenheit, aber das wird jetzt zum Problem: Der Sohn kann das Irreversible der Krankheit nicht akzeptieren. Im Heim kontrolliert er die Pflegerinnen, zählt die Tabletten nach, lässt sich Protokolle der sozialen Aktivitäten des Vaters ausdrucken. Unter allen Umständen will er zurück ins Altvertraute. Irgendwann jedoch begreift er: „Es ist der Vergleich zum Vorher, der die Dinge unerträglich macht.“
Volker Kitz ist Jahrgang 1975 und hat mit seinem Buch das Problem einer ganzen Generation beschrieben. Er zitiert Prognosen, nach denen sich mit steigender Lebenserwartung die Zahl der an Demenz Erkrankten alle zwanzig Jahre verdoppelt und fragt sich, ob auch er eines Tages dazugehören wird.
Demenz der Eltern nimmt auch den Kindern viel Selbstbestimmung
Volker Kitz hat mit dem Schreiben begonnen, als der Vater noch lebte. Es sind die persönlichen und unmittelbaren Beschreibungen des Alltags mit einem dementen Vater, die das Buch so wertvoll machen. Gerade weil Volker Kitz keine Lösung kennt und keine Ratschläge anzubieten hat, dürfte dieses Buch für viele Menschen ein Begleiter werden in einer Situation, auf die man sich emotional nicht vorbereiten kann.
Leben Mutter macht mich fertig - Wenn Eltern altern
Seniorenassistenz kann Hilfe und Mediation bieten, wenn es zu Konflikten zwischen alten Eltern und den erwachsenen Kindern kommt.
Audioserie Alte weiße Männer? Begegnungen mit meinen unbekannten Nachbarn
Eine Serie über das Aufeinandertreffen von Menschen, die sich sonst kaum begegnen. Jung und Alt, Frau und Mann, unterschiedliche Welten. Von Natalie Putsche
Buchkritik Katrin Seyfert – Lückenleben
Ein ehrlicher, kluger und emotionaler Erfahrungsbericht einer Mittfünfzigerin, die ihren Mann an Alzheimer verlor.
Eine Rezension von Brigitte Neumann
Buchkritik David Wagner - Der vergessliche Riese
War da was? In seinem neuen Buch bietet David Wagner die ungewöhnlich freundliche Darstellung einer Demenz-Erkrankung, die auch das Erzählverfahren bestimmt. Der „vergessliche Riese“ ist zugleich eine Symbolfigur der alten Bundesrepublik.
Rowohlt Verlag
ISBN: 978-3498073855
272 Seiten
22 Euro
Buchkritik Young-ha Kim - Aufzeichnungen eines Serienmörders
In jungen Jahren war er ein Serienmörder. Jetzt aber hat Byongsu Kim Alzheimer, und sein Kurzzeitgedächtnis lässt ihn langsam im Stich. Um seine Gedanken zu ordnen, macht er sich Aufzeichnungen. Aber kann man dem alten Mann und seinen Notizen wirklich glauben? Ein außergewöhnlicher Thriller aus Korea.In jungen Jahren war er ein Serienmörder. Jetzt aber hat Byongsu Kim Alzheimer, und sein Kurzzeitgedächtnis lässt ihn langsam im Stich. Um seine Gedanken zu ordnen, macht er sich Aufzeichnungen. Aber kann man dem alten Mann und seinen Notizen wirklich glauben? Ein außergewöhnlicher Thriller aus Korea. Rezension von Katharina Borchardt. Aus dem Koreanischen von Inwon Park. Cass-Verlag ISBN 978-3-944751-22-1 152 Seiten 20 Euro
Gespräch Helgard Haug – All right. Good night.
„All right. Good night” – mit diesen Worten verabschiedete sich der Pilot des Flugs MH370 am 8. März 2014 aus dem malaysischen Luftraum. Danach verschwand die Maschine vom Radar. Offenbar machte sie eine starke Kehrtwende, streifte die Luftgebiete mehrerer Länder nur noch peripher und hielt dann auf den Indischen Ozean zu. Das Flugzeug wurde bis heute nicht gefunden.
Die Theatermacherin Helgard Haug vom Dokumentartheater „Rimini Protokoll“ erzählt das Verschwinden des Flugzeugs – mit immerhin 239 Menschen an Bord – parallel zum zunehmenden Verschwinden ihres eigenen Vaters in der Demenz. Sie erinnert sich an frühere Erlebnisse und an aktuelle Besuche, und sie lässt ihren Vater, der viel über sich niedergeschrieben hat, auch selbst zu Wort kommen.
„All right. Good night“ war zunächst ein Theaterstück, wurde dann ein Hörspiel und hat jetzt in die sehr intime Form eines Buches gefunden. Darüber spricht SWR2-Literaturredakteurin Katharina Borchardt mit der Autorin Helgard Haug.
Rowohlt Verlag, 160 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-498-00378-4