Buchkritik

Teresa Präauer – Kochen im falschen Jahrhundert

Stand
Autor/in
Stephanie Metzger

Ein Abendessen im realen Leben städtischer Mittvierziger, das so ganz anders verläuft als es Kochbücher in Hochglanz heute inszenieren: In „Kochen im falschen Jahrhundert“ nimmt Teresa Präauer ein Milieu analytisch und ätzend in den Blick. Der Autorin gelingt ein unterhaltsames und entlarvendes Kammerspiel zwischen Selbstsuche und Selbstdarstellung am Herd.

Teresa Präauer:
Es gibt ja so diesen Satz philosophisch, psychologisch: Erwachsen geworden zu sein, heißt Gastgeber, Gastgeberin sein zu können und nicht mehr Gast zu sein. Und so steckt auch in diesem Einladen, in diesem Speisen zubereiten, da steckt ja so viel an Aufwachsen, an Erinnerung, aber auch an Vorstellungen, die wir uns über unser eigenes Leben machen. Und manchmal hakt es halt und passt nicht so zusammen und es sieht eben nicht aus wie im Kochbuch…

…sondern fühlt sich an wie „Kochen im falschen Jahrhundert“. Bei Teresa Präauers Protagonistin hakt es gewaltig. Und es sieht überhaupt nicht aus wie im Kochbuch, wo heutzutage Gelassenheit, Weltoffenheit und Toleranz so üppig von den Löffeln tropfen. In der Mitte ihres Lebens angekommen, will diese Protagonistin endlich erwachsen werden, Verantwortung übernehmen, Gastgeberin sein. Und erlebt bei ihrer Einladung zum Abendessen doch vor allem das Ringen mit überkommen geglaubten Weiblichkeitsmustern, den Spagat zwischen offenem Haus als Nukleus eines größeren Friedens und spießigem Biedermeier. Und, dass Essen und Kochen vor allem auch eines sind: Ausdruck dessen, wer man ist:

Essen war ab da auch das, ja, Geschmack, Wissen, Erfahrung, Abgrenzung, Distinktion. Oder war es das immer schon gewesen, nur eben weniger bewusst? (aus: Kochen im falschen Jahrhundert)

Weil dieser Gastgeberin so vieles bewusst wird – oder schwant, denn vielleicht stellt sie sich diesen Abend auch nur vor – lässt Teresa Präauer ihn drei Mal beginnen. Drei Mal der Empfang der Freunde in der frisch bezogenen Altbauwohnung, die Kartons noch nicht alle ausgepackt. Drei Mal die Verhandlung des Gastgeberpaars um Schuhe ausziehen oder anbehalten. Die Verspätung wahlweise verteilt auf das geladene Ehepaar oder „den Schweizer“. Das Menu des Abends – neben Quiche Lorraine, viel Alkohol und Eis am Stiel: Gespräche über die Utopielosigkeit der jungen Generation, über politisch korrektes Sprechen und die Diskrepanz zwischen Reden und Handeln. Dazu Jazz aus der gemeinsam kuratierten Playlist. Denn…

…Jazz und Kochen passten einfach gut zusammen.

Distanziert, verliebt ins Detail, fast protokollarisch erzählt Präauer von städtischen Akademikern, die um Individualität genauso bemüht sind wie um Zugehörigkeit zu einer Community. Das Mittel der Wahl: Foodporn auf Facebook und Instagram. Ein so kühles wie entlarvendes Szenario um Selbstverständnis, Selbstdarstellung und Selbsttäuschung, in dem ein Salzstreuer zum Statement wird.

An den Gegenständen haftete der Selbstentwurf, die Einbindung in die Gesellschaft. Die Familienverhältnisse, das Sich-Lossagen und das Erinnern und Nicht-Loskommen. Die Ablehnung von Rollen und die Suche nach anderen Rollen. (aus: Kochen im falschen Jahrhundert)

Teresa Präauer:
Was mir bei Bourdieu so gefällt ist ja diese feinen Unterschiede, also benutze ich ein Salzfass aus Büffelhorn oder benutze ich das finnische Design. Und in diesen feinen Unterschieden steckt dann so etwas wie ja auch so eine Art von Konfliktpotential oder unterschwellig nicht ausgesprochene Konflikte.

Potential zu speist Präauer mit dem Auftritt zweier Amerikaner in den Roman. Erotische Anziehungen verschieben sich und lassen den Abend flirrender werden, die Sprache opulenter. Gerade in den Kapiteln, die den Essensverlauf immer wieder unterbrechen und in denen sich ein Du an exotische Genüsse erinnert, an das Kitzeln einer Artischocke in Rom, an das Glibbern der ersten Austern in Seattle, an gebackenen Fisch in Kopenhagen. Wo die weitere Dramaturgie des Abends hart am Klischee vorbei schrammt, weil die Autorin genau mit diesem spielt, gewinnen die reflektierenden Sequenzen an Intensität und Sinnlichkeit.

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Teresa Präauer:
…es ist ein literarischer Stil, den ich mir für dieses Buch auch umgeschnallt oder angelegt habe, der sich auch damit beschäftigt, mit so lukullischen Abendbeschreibungen … und dass sich Paare treffen. Allein das Wort Ehepaar ist eigentlich fast so einem Genre zuzuordnen. Und ich spiele auch mit diesem Genre „Abendessen“ und „Ehepaar“ usw.

Kammerspiele alla Yasmina Reza und die protokollarische Parataxe eines Peter Weiß sind die Inspirationsquellen der Autorin. Und mit diesem Rezept gelingt ihr ein so unterhaltsamer wie ätzender Blick auf ein Milieu, gefangen im Zwischenraum von Vorstellung und Realität. Den eigenen Wurzeln verhaftet und zugleich mit dem Wunsch erfüllt, sich von diesen zu befreien. Wären da nicht die Dinge und ihre Geschichten:

Wo der einzelne Mensch sich vielleicht frei fühlte von diesen Zuschreibungen, wo er die Herkunft, einem Versprechen von Autonomie und Gestaltungsmöglichkeiten anhängend, gleichsam überwunden hatte, da trugen die Dinge, und mit ihnen der gute und der schlechte Geschmack, wie eine viel zu späte Erinnerung die Geschichte von Aufstieg und Fall mit sich. Eigentlich konnte nur der Crémant einen über den Schmerz dieser Einsicht hinwegtrösten. (aus: Kochen im falschen Jahrhundert)

„Kochen im falschen Jahrhundert“ ist manchmal Trost wie dieses Glas Crémant. Weil ein Spiegel, in dem sich der eine oder andere wiedererkennen kann, aber nicht muss. Denn die analytischen Beobachtungen dieses empfehlenswerten Romans und die Artistik des Stils halten einen auf Abstand. Was nicht Verlust ist, sondern literarischer Ausdruck für eine Gegenwart, in der sich Menschen wie durch einen Insta-Filter immer ein stückweit fremd bleiben.

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