Der 1995 gestorbene US-Amerikaner Ross Thomas ist einer der großen Krimi-Autoren des 20. Jahrhunderts. Nun ist in der hervorragenden Werk-Ausgabe des Alexander-Verlags sein umfangreichster Roman erschienen: In „Die Narren sind auf unserer Seite“ soll ein Wahlkampf in einer Kleinstadt beeinflusst werden. Parallelen in die Gegenwart sind klar zu erkennen.
Der US-amerikanische Politthriller-Autor Ross Thomas ist bekannt für seine sorgsam verwickelten, kaum zusammenzufassenden Plots. Sein längster Roman „Die Narren sind auf unserer Seite“ ist keine Ausnahme.
Im Mittelpunkt steht Lucifer Dye. Er ist – sein Name lässt es vermuten – ein etwas zwielichtiger Typ. Gerade erst wurde er von einem halbstaatlichen US-amerikanischen Geheimdienst namens Sektion 2 aus der Haft in Hongkong herausgekauft und gezwungen, seine Arbeit für Sektion 2 einzustellen.
Dubiose Berater und Einflussnahme
Da erhält er von dem dubiosen Berater Victor Orcutt ein Angebot: In der fiktiven mittelgroßen Stadt Swankerton – irgendwo zwischen Mobile, Alabama und Galveston, Texas – kündigt sich ein wirtschaftlicher Boom an. Deshalb wollen gewisse Geschäftsleute den anstehenden örtlichen Wahlkampf zu ihren Gunsten beeinflussen.
„Die Narren sind auf unserer Seite“ ist im US-amerikanischen Original bereits 1970 erschienen, dennoch lassen sich mühelos Parallelen in die Gegenwart ziehen: Gentrifizierung, Verödung der Innenstädte, Rassismus und Bestechlichkeit haben ein „Klima der Apathie“ erzeugt – und damit ideale Voraussetzungen, um Menschen und Wahlkämpfe zu korrumpieren.
Gierige Politiker, korrupte Cops
Gierige Politiker und Cops arbeiten mit dem organisierten Verbrechen zusammen, um sich zu bereichern. Keine Seite ist besser als die andere.
Diese Ununterscheidbarkeit von Politik und Verbrechen ist ein wesentliches Merkmal des Werks von Ross Thomas, das seit 2005 in einer editorischen Großleistung im Alexander Verlag neu herausgegeben wird.
Der 1926 in Oklahoma geborene Ross Thomas erzählt, wie sich globale Zusammenhänge bis in Kleinstädte auswirken – und seine 25 Romane bestechen mit politischem Scharfsinn, stets nah an der Realität, aber eben doch Literatur.
Sechster Roman von Ross Thomas
„Die Narren sind auf unserer Seite“ ist sein sechster Roman, auf Deutsch erstmals 1972 in einer verstümmelten Übersetzung im Ullstein Verlag erschienen. 144 Seiten lang. Die Neuübersetzung von Julian Haefs und Gisbert Haefs hat nun 580 Seiten und damit Originallänge.
Eine Besonderheit dieses Romans: Der Protagonist Lucifer Dye erhält eine ausführliche Hintergrundgeschichte, in der der japanische Bombenangriff auf Shanghai 1937 wie der Angriff auf Pearl Harbour 1941 zentrale Rollen spielen.
Hochkomische Dialoge
Sie sorgt für mehr Verwicklungen, mehr Plot, mehr Personen – unterläuft aber auch Ross Thomas‘ perfekte Erzählökonomie der späteren Romane. Dafür entwickelt sich inmitten typischer Ross-Thomas-Machenschaften und bissiger, hochkomischer, tiefsinniger Dialoge die Charakterstudie eines verlorenen Mannes, der sich von der Menschheit entfernt hat.
Mittlerweile sind 24 der 25 Romane von Ross Thomas in der Werkausgabe erschienen. Darunter ist kein schlechter. Auch „Die Narren sind auf unserer Seite“ ist ein vielschichtiger, hochinteressanter Politthriller, ein Stück Editions- und Werkgeschichte.
Es ist Zeit, Ross Thomas endlich zu entdecken. Er ist einer der besten US-amerikanischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Fangen Sie direkt an. Am besten mit Band 1.
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