Buchkritik

Robert Macfarlane – Alte Wege

Stand
Autor/in
Andrea Gnam

Den Kopf voll Literatur begeht der in Cambridge lehrende Literaturprofessor Robert Macfarlane alte Routen. Seine Wege führen ihn vorwiegend entlang der Küsten Englands und Schottlands, er nächtigt ihm Freien und kennt Flora und Fauna. Die Landschaft verändert sich auf Schritt und Tritt und führt ihn sowohl in die Vergangenheit des Landes als auch zu sich selbst.

Kann man, so man auf alten Pfaden in Schottland, England oder anderswo unterwegs ist, beim Gehen auf Gedanken kommen, welche nur in einer ganz bestimmten Gegend möglich sind? Jeder Mensch verfügt über erinnerte Landschaften, in die er gedanklich immer wieder zurückkehrt. Gibt es Orte an denen wir „spürbar anders denken und fühlen?“ 

Robert Macfarlane, ausdauernder Wanderer und intimer Kenner der Reiseliteratur voriger Jahrhunderte, stellt sich diese Frage. Sie hat auch schon einen seiner Vorgänger umgetrieben, den Schriftsteller Edward Thomas, auf dessen Wegen Macfarlane oft unterwegs ist.  

Schreiben und Gehen 

Die beiden verbindet nicht nur die Lust, alte Pfade und ihre Geschichte zu erkunden, sondern auch die Freude Botanik, Mineralien und Erdgeschichte so kenntnisreich wie poetisch vor dem Auge des Lesers zu entfalten: 

Der Schnee war dicht überzogen mit den Spuren von Vögeln und Tieren – ein Archiv Hunderter Wegstrecken, aufgezeichnet seit dem Ende des jüngsten Schneefalls. (…) Auf der schrägen Feldfläche vertiefte das Mondlicht die näher gelegenen Abdrücke noch, sodass sie wie gefüllte Tintenfässer wirkten. Zu all diesen Spuren fügte ich noch meine hinzu 

schreibt Macfarlane. Schreiben und Gehen – diese Verbindung treibt Macfarlane an. Beide Wörter haben zumindest im Englischen eine gemeinsame Wurzel. Der Wanderer findet temporäre Begleitung oder besucht gezielt Ortskundige, manch einer seiner Gesprächspartner sammelt systematisch, was er am Wegesrand findet.  

Natur kann heilen, aber auch, wie Macfarlane schreibt „brutal schweigen und durch ihre Gleichgültigkeit erschüttern“, oft sind depressive Menschen wie Edward Thomas manische Wanderer. Je älter Macfarlane wird, desto weniger interessiert es ihn, unerforschtes Land zu betreten und desto spannender wird es für ihn, Pfaden zu folgen, die vor langer Zeit von unseren Vorfahren hinterlassen wurden. 

Orientierung ohne Instrumente 

Bereits dreitausend Jahre vor dem römischen Wegenetz orientierte man sich auf See mit Hilfe des Polarsterns, am Zug der Vögel oder an Wolken, die Land anzeigen. Das Wissen über den Küstenverlauf wird in Erzählungen und über Lieder weitergegeben. Gefährliche Wege durch das Watt wurden oft phantasievoll markiert, so der „Broomway“ in Essex.

Besenstiele sind in den Boden gerammt, an denen ein Stein festgebunden ist. Der Wanderer nimmt den Stein und führt ihn an der sechzig Meter langen Schnur bis zum nächsten Stecken bei sich. Hat er sich verlaufen, findet er anhand der Schnur wieder zurück. Auf alten Pfaden zu wandern, bedeutet also immer auch eine Zeitreise: 

Der Pfad lockt das Auge, das äußere wie das innere. Der Kopf kann nicht umhin, dieser Linie über das Land zu folgen – nicht nur voran durch den Raum, sondern auch zurück durch die Zeit, hinein in die Geschichte des Weges und all derer, die ihn genutzt haben.

Historische Fußwege sind in England vom Wegerecht geschützt und werden durch Benutzung erhalten: Im neunzehnten Jahrhundert hingen Sicheln am Rand von Trampelpfaden, die Benutzer schnitten die überhängenden Äste auf dem Weg ab und hingen die Sichel am Ende des Pfades wieder auf. Alte Pfade sind oft ehemalige Viehtriften, so zogen die Siedler in den USA auf den Spuren der Bisons gen Westen und auch Spanien kann ein riesiges Wegenetz ehemaliger Viehpfade aufweisen. 

MacFarlanes Buch, in all seiner Schönheit der Beschreibungen rauher und für den Ungeübten unwegsamer Landschaften, ist ein Lesegenuss, gerade auch für diejenigen die kaum selbst wandern, aber Landschaftsbeschreibungen lieben. Es weckt ebenso die Lust aufs Schauen wie auf Literatur. 

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