Buchkritik

Aldous Huxley – Along the Road. Aufzeichnungen eines Reisenden

Stand
Autor/in
Wolfgang Schneider

Erstmals auf Deutsch: Aldous Huxleys geistreiches Reisebuch aus dem Jahr 1925. Hier erfährt man, weshalb Touristen oft ein unschönes Bild abgeben, wo das schönste Bild der Welt zu finden ist, welches Buch man unbedingt auf Reisen braucht und warum die Welt ein gewaltiges Freizeitproblem bekommt.

Aldous Huxley ist weltberühmt durch eine Reise ins Jahr 2540. Aus dem dann weltumspannenden Rundum-Wohlfühl-Totalitarismus berichtet sein Roman „Schöne neue Welt“. Huxley ist aber auch viel in der alten Welt, bevorzugt Italien, gereist.

Daraus resultierte sein Buch „Along the Road“ – kein Reisebericht üblicher Art, sondern eine zwischen Ernst und Witz changierende Sammlung von Essays zu vielfältigen Reise-Themen.

„Warum nicht lieber zuhause bleiben“ lautet der Titel des ersten Stücks. In Wahrheit würden die meisten Reisenden nicht gern reisen, so Huxleys Befund. Deshalb gäben sie unterwegs auch kein erfreuliches Bild ab:

Touristen sind im Allgemeinen ein recht trübseliger Haufen. Ich habe schon bei Beerdigungen fröhlichere Gesichter gesehen als auf dem Markusplatz.

Warum aber wird dann so viel gereist? Weil es dazugehört, weil es alle tun, weil es Sozialprestige bringt. Und so werden die Mythen des Reisens ein ums andere Mal nachgesprochen, etwa: „Paris ist einfach wunderbar.“

Schwitzende Wandervögel

Neben den Touristen aus Konvention gebe es aber noch jene wahren Reisenden, die dem Unterwegssein wie einem Laster frönen. Huxley zählt sich natürlich selbst dazu, wobei er am liebsten bequem im eigenen Auto reist, mit seiner Frau am Steuer.

Mit Spott blickt er auf die damals trendige Bewegung der Wandervögel, zumeist schwitzende Deutsche, an denen er entspannt vorbeifährt. Zu Fuß latschen ist seine Sache nicht. 

Die Liebe zur Natur und zum Landleben ist für ihn eine Erfindung jener Menschen, die in unwirtlichen, kühlen, verregneten Gegenden leben müssen, insbesondere der Engländer also, die diese Passion parallel zur Industrialisierung entwickelten:

Es sollte niemanden überraschen, dass die Menschen, die ihre Städte als Erste durch Krach und Dreck unbewohnbar gemacht haben, auch die ersten waren, die ihre Liebe zur Natur entdeckten.

Ein wichtiges Thema ist die richtige Reiselektüre. Huxley schmäht den Baedecker. Stattdessen hat er überall einen handlichen Dünndruckband der „Encyklopädia Britannica“ dabei, egal welcher Buchstabe. Die kurzen, abgeschlossenen Einträge seien genau das Richtige für den kleinen Lektürehappen unterwegs.

Beim Stöbern in diesem Angebot phantastisch unterschiedlicher Fakten, die der Zufall des Alphabets zusammenführt, fröne ich meinem geistigen Laster. Ein Band der „Encyclopädia“ ist wie das Gehirn eines gebildeten Wahnsinnigen – voll mit richtigen Ideen, zwischen denen es aber keine Verbindung gibt.

Das schönste Bild der Welt

Mehrere Essays widmet Huxley einzelnen seiner Reisen, etwa in italienische Bergorte abseits der Touristenströme. Auffallend ist dabei, dass er Landschaften mit dem Blick eines Malers wahrnimmt und sie oft mit berühmten Kunstwerken vergleicht. Im Rathaus des toskanischen Städtchens Borgo Sansepolcro stößt er auf das, wie er schreibt, „schönste Bild der Welt“.

Es ist Piero della Francescas Fresko „Die Auferstehung Christi“ mit einem athletischen Jesus. Huxleys Schwärmerei hatte außergewöhnliche Wirkung: Weil er diesen Text gelesen hatte, verzichtete im Zweiten Weltkrieg ein britischer Artillerieoffizier auf den Beschuss des umkämpften Ortes.

In Siena dagegen triumphiert nicht die gebildete Beschaulichkeit, sondern der Sport – Huxley beschreibt eines der berühmtesten Pferderennen der Welt. Beim Palio rasen die Jockeys auf dem sandbestreuten Pflaster des Hauptplatzes der Stadt im Dreieck, und die gefährlichsten Hausecken sind mit Matratzen gepolstert.

Die Fahrradfahrer von Amsterdam

Diese skurrile und geistreiche Reportage ist ein Höhepunkt des Buches, ebenso Huxleys pointierter Essay über die geometrischen Niederlande. In Amsterdam irritieren ihn die „korpulenten Kurtisanen“ in den Fenstern und die hunderttausend Fahrradfahrer:

Vierjährige Kinder transportieren Dreijährige auf der Lenkstange. Mütter strampeln fröhlich mit schlafenden Säuglingen hinten im Korb auf dem Gepäckträger dahin. Botenjungen finden nichts dabei, zwei Kubikmeter große Pakete auf dem Fahrrad zu transportieren.

Zum Reisen gehören die Begegnungen mit Menschen. Größere Geselligkeit ist Huxley jedoch verhasst. Denn er weiß, er macht da keine gute Figur:

Ich glänze nicht in Gesellschaft, ja, ich schimmere nicht einmal. Unterbelichtet zu sein und es auch noch zu wissen, ist demütigend.  

Wenn Huxley dann die Details seiner gesellschaftlichen Inkompetenz aufzählt, schimmert und strahlt immerhin sein Talent zu gewitzten, selbstironischen Formulierungen, die in Willi Winklers frischer Übersetzung gut zur Geltung kommen.

Das Freizeitproblem

Von dem Autor, der wenige Jahre später „Schöne neue Welt“ geschrieben hat, ist in „Along the Road“ allerdings nur wenig zu spüren – abgesehen vom letzten Essay über Arbeit und Freizeit, der die Zukunft im Zeichen von Automatisierung und „synthetischen Lebensmitteln“ beschwört.

Die Verkürzung der Arbeitszeit werde neue Probleme bringen: die Zunahme von nervösen Beschwerden wie Langeweile, Übellaunigkeit, Unruhe oder Verliebtheit. Schöne neue Welt, die dagegen vorsorgt mit Glücksdrogen und Spaßkultur. Denn…

…bei den meisten wird der Kopf erst beschäftigt, wenn es gar nicht mehr anders geht. (…) Für einen Großteil der Menschen endet die intellektuelle Entwicklung bereits in der Kindheit, das weitere Leben durchschreiten sie mit den intellektuellen Fähigkeiten von Fünfzehnjährigen.

„Along the Road“ ist eine Lektüre für Leser ab sechzehn, amüsant, anregend, mit ein paar Längen bei den Kunstbetrachtungen. Manche Seiten überblättert man, um andere dafür zweimal zu lesen. Im Ernst: Dass es bisher nie eine deutsche Ausgabe dieses charmanten Buches über das Reisen gab, ist beinahe ein Witz.

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Wolfgang Schneider