Buchkritik

René Aguigah – James Baldwin. Der Zeuge

Stand
Autor/in
Alexander Wasner

James Baldwin, Schriftsteller und Bürgerrechtler, wird in Deutschland rund um seinen 100. Geburtstag am 2. August neu entdeckt. Unter anderem mit einem Porträt von René Aguigah, der sich dem Werk und dem Menschen in einem umfangreichen Buchporträt nähert.

Der Ort, in den ich hineinpasse, wird nicht existieren, bis ich ihn schaffe.

Ein Satz von James Baldwin. Seine Zitate trenden in den sozialen Medien, Madonna ist Fan, es gibt Kinofilme über ihn – und trotzdem:  Man muss James Baldwin auch heute noch vielen Menschen vorstellen, gerade in Deutschland. Dabei war er eine wirklich wichtige Figur der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung.

1924 in den ärmlichen New Yorker Stadtteil Harlem geboren. Sein Stiefvater, ein Baptistenprediger, ungeheuer streng und selten da. Seine Mutter neunmal, also eigentlich immer schwanger. Es ist die Zeit der strengsten Rassentrennung, des Antikommunismus, der Homophobie.  

Ein Realist mit klarer politischer Haltung 

James Baldwin begann früh mit dem Schreiben von Rezensionen mit Ende 20. Dann der erste, vielbeachtete Roman mit dem programmatischen Titel: „Von dieser Welt“. In Filmdokumenten merkt man ihm die Herkunft bis heute an: Seine intensive Art zu reden, seine Überzeugungskraft, sein Appell an sein Gegenüber, seine Anrufung der Liebe als universaler Kraft.

Unscharfe Sonntagsreden hielt er nie – er war jemand, der tatsächlich Wärme und Genauigkeit miteinander verbinden konnte – und dabei noch Platz hatte, um aus der Analyse heraus eine klare politische Haltung zu entwickeln.

René Aguigah ist Leiter des Literaturressorts im Deutschlandfunk. Er hat das Leben Baldwins und sein Werk in einem Buch zusammen gedacht. Sein Baldwin-Porträt schreibt Aguigah entlang des Werks, an den Romanen und Essays entlang, vom frühen Bericht „Von dieser Welt“ (der sich in drei Wochen 250.000 Mal verkaufte) über die bisexuelle Liebesgeschichte „Giovannis Zimmer“ hin zu „Ein anderes Land“ oder „Beale Street Blues“.

Baldwins Literatur ist immer nah an seinem eigenen Leben. Und sie ist vor allem nah an der Wirklichkeit. Baldwins Realismus ist keine Behauptung – er lässt seine Figuren tatsächlich mit ihren Widersprüchen leben.  

Baldwin, meint Aguigah, 

wechselte zwischen zwei unterschiedlichen Modi der Wahrnehmung, des Sprechens, der Arbeit: ein Modus der Entschiedenheit, ein Modus der Ambivalenz.

Baldwin war ein Wanderer zwischen den Welten 

James Baldwin war immer ein Wanderer zwischen den Welten. Schwarz und Schwul, Schriftsteller und Aktivist. Als Schriftsteller auch noch zerrissen zwischen Essays und Romanen. Und als Schwarzer spürte er in Amerika und Europa gleichermaßen eine Art von Unzugehörigkeit. Diese Zwischenstellung ist so etwas wie ein zentrales Motiv.  

In dem beeindruckenden Buchporträt bezeichnet Aguigah Baldwin als einen “Zeugen”. Denn im Zeugen verbinden sich die Gegensätze. 

Bezogen auf die Aufgabe an der Schreibmaschine betont die Zeugenschaft, dass es dem Schreiben nicht um Kunst um der Kunst willen, sondern um etwas in der Welt geht. Bezogen auf den politischen Protest rückt sich der selbsternannte Zeuge ein wenig an den Rand der Arena: Er war dabei, aber nicht im Zentrum; er lief mit, aber mit dem Notizbuch in der Hand.

Damit ist auch ein bisschen erklärt, warum James Baldwin fast 40 Jahre nach seinem Tod so eine Bekanntheit erlangt in Deutschland? Er macht uns verständlich, was wir lange geahnt haben: Nämlich, wie die weiße Dominanzgesellschaft große Teile der Gesellschaft außen vor lässt. Baldwin meinte:  

 Die Welt ist nicht mehr weiß, und sie wird nie mehr weiß sein

James Baldwin ist unser Zeitgenosse 

Die Blackpower-Bewegung fremdelte mit Baldwins Queerness und die schwule Bewegung mit seiner Hautfarbe. Die Stars im politischen Kampf wurden in den 50er Jahren Martin Luther King und Malcolm X – die sich beide auf die Politik festlegten und keine Romane schrieben.

James Baldwin ging nach Paris, glaubte, in Europa besser leben zu können. Man muss ihn trotzdem als dritte große Figur der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung dazu zählen. Am Anfang seiner Biographie steht der Satz:  

 James Baldwin ist unser Zeitgenosse.

Das glaubt man, wenn man Baldwins Romane gelesen hat, und man versteht es nach diesem Buch noch sehr viel besser. 

Literatur von James Baldwin

Buchkritik James Baldwin – Ich weiß, wovon ich spreche

In dem Band „Ich weiß, wovon ich spreche“, das sieben zwischen 1961 bis 1984 entstandene Gespräche enthält, kann man James Baldwin in eigenen Worten kennenlernen.
Rezension von Ulrich Rüdenauer

SWR Kultur am Abend SWR Kultur

Gespräch James Baldwin – Wie lange, sag mir, ist der Zug schon fort

„Wie lange, sag mir, ist der Zug schon fort“ ist Miriam Mandelkows vierte Baldwin Romanübersetzung. Trotzdem gibt es keine Baldwin-Routine, sagt sie, der Autor überrasche sie noch immer. Vor allem, wie kraftvoll er über Liebe und Sex schreibt, begeistert sie.
Im Lesenswert Gespräch spricht Miriam Mandelkow über Baldwins rhythmische Sprache und darüber, was sie anders machen muss, als die Übersetzer der 60er Jahre.

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Alexander Wasner