In seinem neuen Roman „Am Götterbaum“ setzt Hans Pleschinski dem beinahe vergessenen Literatur-Nobelpreisträger Paul Heyse und der Stadt München ein Denkmal.
Literatur-Nobelpreisträger Heyse hinterließ in München zahlreiche literarische Spuren
Paul Heyse ist ein fast vergessener Dichter. Dabei war der 1830 in Berlin geborene und 1914 in München gestorbene Heyse der erste belletristische deutsche Schriftsteller, der mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. Das war im Jahr 1910.
Heyse lebte seit 1854 in München und hat in der Stadt zahlreiche literarische Spuren hinterlassen. Doch erinnert an ihn derzeit lediglich eine nach ihm benannte triste Unterführung am Münchener Hauptbahnhof.
Das könnte sich nun ändern, denn der Schriftsteller Hans Pleschinski hat Heyse in den Mittelpunkt seines neuen Romans „Am Götterbaum“ gestellt.
Drei unterschiedliche Protagonistinnen stehen im Fokus der Erzählung
Drei Frauen treffen sich an einem windigen Abend, um vom Münchener Marienplatz aus zu einer Ortsbegehung aufzubrechen. Bei den drei Frauen handelt es sich um die Stadträtin Antonia Silberstein, die Schriftstellerin Ortrud Vandervelt und um Therese Flößer, eine Angestellte der Münchener Stadtbibliothek Monacensia.
Ihr Ziel ist die so genannte Heyse-Villa, ein herrschaftliches Gebäude, 1874 erbaut und ab diesem Zeitpunkt bis zu Paul Heyses Tod ein Treffpunkt der literarischen Gesellschaft der Stadt. Heute ist die Villa nach diversen Streitereien und juristischen Auseinandersetzungen in Privatbesitz.
Der Stadträtin geht es um Prestige, Pleschinski um das Werk Heyses
Stadträtin Silberstein steht kurz vor ihrer Pensionierung. Sie hat, auch, um sich und ihrem politischen Wirken ein bleibendes Denkmal zu setzen, hochfliegende Pläne in Bezug auf die Heyse-Villa:
Es geht ihr also um Geld, um Prestige, um München. Hans Pleschinski geht es aber vor allem darum, das Werk des Dichters Heyse zum Glänzen zu bringen.
Heyse sah sich selbst in der ästhetischen Nachfolge Goethes
Und darum, Heyses Rang ins Bewusstsein der Gegenwart zu rufen. „Ich bin ein Mann des 19. Jahrhunderts“, so zitiert Pleschinski Heyse. In der Tat sah dieser sich selbst in der ästhetischen Nachfolge Goethes.
Paul Heyse wurde von König Maximilian II. für ein fürstliches Gehalt nach München gelockt und erkannte schnell die Vorzüge der Stadt.
Verschiedene Perspektiven auf Heyse werden deutlich
Heyse wurde zum gehobenen Unterhaltungsdichter des Großbürgertums, der den hedonistischen Lebensmodus der Stadt ebenso aufsaugte wie er die demokratische Kraft der Bierkultur feierte. Paul Heyse war ein ungemein produktiver und vielseitiger Schriftsteller, der Lyrik, Prosa und Dramen schrieb.
Hans Pleschinski lässt seine drei Protagonistinnen durch München flanieren, und jeder der Figuren hat er eine bestimmte Rolle, eine bestimmte Perspektive auf den Nobelpreisträger zugewiesen.
Pleschinski hat einen scharfen Blick für die Stadt München
Während Stadträtin Silberstein eher den verwaltungstechnischen und kulturpolitischen Aspekt des von ihr geplanten Heyse-Zentrums im Blick hat, ergeht die Bibliothekarin Flößer sich in schwärmerischen Heyse-Zitaten.
Hans Pleschinski ist ein im besten Sinne altmodischer Autor, der ein hin und wieder etwas umständlich anmutendes, aber tatsächlich ausgesprochen schönes Deutsch schreibt.
In den starken Momenten von „Am Götterbaum“ verbindet sich Pleschinskis Sprache mit den Heyse-Zitaten zu einem stimmungsvollen literarischen Sound. Hinzu kommt, dass Pleschinski einen scharfen Blick für die Stadt, für Alltagsszenen, für die Gebäude und deren historischen Bedeutungswandel hat.
Schriftstellerin Vandervelt fungiert als satirischer Seitenhieb auf den Literaturbetrieb der Gegenwart
Als Kontrapunkt zu der Heyse-Begeisterung fungiert die Schriftstellerin Ortrud Vandervelt. Sie ist als satirischer Seitenhieb auf den Literaturbetrieb der Gegenwart angelegt – so wie Pleschinski ihn betrachtet.
Vandervelt predigt die größtmögliche Unverständlichkeit von Literatur. Ihre Bücher, zuletzt der Roman „Stuckaturen der Emotion“, sind so gut wie unverkäuflich.
Die Ästhetik Heyses ist Vandervelt fremd
Trotzdem oder deswegen wird sie von staatlichen Kulturinstitutionen auf Lesereisen durch die Welt geschickt. Vandervelt ist die Karikatur der auf Unsinnlichkeit getrimmten Gegenwartsautorin, die selbstredend auch mit der Ästhetik Heyses rein gar nichts anzufangen weiß:
Hin und wieder wirkt Pleschinskis Roman statisch, seine Dialoge hölzern
Ein Vorwurf, den man gegen „Am Götterbaum“ formulieren könnte, wäre der, dass Pleschinski seine Figuren als reine Transporteure von Meinungen und ästhetischen Haltungen fungieren lässt.
Das lässt den Roman hin und wieder statisch und die Dialoge hölzern wirken. Das ändert sich auch kaum, als an der Heyse-Villa selbst der Germanist und Heyse-Experte Harald Bradford und sein schwuler chinesischer Lebenspartner Deng Long zu dem Frauen-Trio hinzustoßen.
Überraschende Wendungen zeichnen den zweiten Teil des Romans aus
Andererseits aber gelingen Pleschinski im zweiten Teil des Romans immer wieder überraschende Wendungen. In einem glänzenden Kapitel beispielsweise unternimmt Pleschinski eine Rückblende ins Jahr 1906.
Paul Heyse, 76 Jahre alt, befindet sich in seinem Zweitwohnsitz am Gardasee, empfängt dort den einflussreichen Verleger Adolf von Kröner und zieht nebenbei bei seiner Frau über einen neuen Stern am deutschen Dichterhimmel her: über Thomas Mann.
In Heyses Werk gibt es Themen, die bis in unsere Zeit reichen
Dass Heyse vier Jahre später im Alter von 80 Jahren den Literatur-Nobelpreis erhalten sollte, ist eine ironische Volte der Literaturgeschichte.
Pleschinski setzt darüber hinaus Aspekte von Heyses Werk noch einmal in den Kontext späterer historischer Ungeheuerlichkeiten, Stichworte: Sterbehilfe und Euthanasie.
Beides thematisierte Heyse bereits in seinem 1888 uraufgeführten Drama „Die schwerste Pflicht“. Vielleicht war Heyse dann eben doch nicht nur ein Mann des 19. Jahrhunderts.
Literarhistorische Bildung kann Brücken in die Gegenwart schlagen
Nach diversen Mühen und Umständen gelangt das Münchener Quintett bei seiner Ortsbegehung dann tatsächlich auf das Grundstück der Heyse-Villa und erlebt dort eine Überraschung, die an dieser Stelle nicht verraten wird.
Festzuhalten gilt, dass Hans Pleschinski mit „Am Götterbaum“ einen weiteren Schriftsteller-Roman geschrieben hat, der beweist, dass literarhistorische Bildung Brücken in die Gegenwart schlagen kann.
Und dass es sich nicht ausschließt, Literatur ernstzunehmen und dabei trotzdem unterhaltsam zu sein.