Existenzkrisen und Memes

Warum die Gen Z Franz Kafka auf Social Media feiert

Stand
Autor/in
Helen Roth
Porträt von SWR Redakteurin Helen Roth

Das Kafka-Jahr neigt sich dem Ende zu, doch Kafka selbst bleibt im Gespräch: Der Jahrhundertautor ist bei der Jugend beliebter denn je. Kafkas Absurdität trifft den digitalen Zeitgeist, sein literarisches Werk boomt bei der Gen Z. Seine Existenzkrisen leben in Memes und viralen Trends weiter.

Am 3. Juni jährte sich der Todestag des Schriftstellers und gebürtigen Pragers zum hundertsten Mal. Doch nicht nur Literaturhäuser und renommierte Kulturinstitutionen lassen den Jahrhundertautor hochleben. Die Gen Z hat den einst als eher sperrig geltenden Literaten neu für sich entdeckt. Seine Reflexionen über die Absurdität des Seins verarbeitet sie humorvoll in Memes und Reels auf Social Media.

Social-Media-Beitrag auf Instagram von swrkultur

TikTok-Hashtag #Kafka hat über 137 Millionen Aufrufe

Dass der Jurist und Versicherungsangestellte einmal zum TikTok-Star avancieren würde, hätte er selbst vermutlich am allerwenigsten gedacht – wurde doch der Großteil seines Werks erst nach seinem Tod von seinem Freund Max Brod veröffentlicht. Und das gegen Kafkas ausdrücklichen Willen.

Der Autor selbst hielt seine Werke nicht für gut genug, um sie der Öffentlichkeit zu präsentieren. Seine Selbstzweifel waren zu groß, sein Vertrauen in sein schriftstellerisches Vermögen zu gering. Paradox und tragisch zugleich – zählt Kafka doch heute zweifelsohne zu den bedeutendsten Vertretern der Prager deutschen Literatur und der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts überhaupt.

Franz Kafka
Kafkas Werk zieht noch heute viele Menschen in seinen Bann, weil es zentrale Fragen des menschlichen Seins behandelt.

Nicht zuletzt liegt das an seinen zeitlosen, universellen Themen, die Menschen – insbesondere junge Menschen – immer wieder beschäftigen. Die Suche nach dem Sinn, der Kampf mit Autoritäten und der Wunsch nach Zugehörigkeit: All das sind Fragen, die vor allem in jungen Jahren prägen – und heute die Gen Z umtreiben.

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Gen Z – Die wahren Digital Natives

Laut der Einteilung der Unternehmens- und Strategieberatung McKinsey & Company gehören zur Gen Z Menschen, die zwischen 1995 und 2010 geboren wurden. Seit frühester Jugend sind sie mit dem Internet und sozialen Netzwerken vertraut. Sie sammeln und teilen dort Gefühle, Meinungen und Informationen. Sie verbinden Offline-Erfahrungen nahtlos mit der virtuellen Welt.

Gen Z Reisende in New York
Digitale Medien haben – je nach Alter – bereits in der frühen Kindheit das Denken der Gen Z beeinflusst. Im Gegensatz zur Generation Y, die Technologien wie das World Wide Web, Smartphones und Tablet-Computer oft erst in ihrer späten Jugend kennengelernt hat, verfügt die Gen Z über einen intuitiven Umgang mit digitalen Medien und ist auf diesem Gebiet meist überlegen.

In der Regel geschieht dies in den Medien in verknappter Form. Auf Social Media funktionieren kurze, prägnante Sätze, ansprechende Bilder und kurze Reels. Das ließe sich leicht als triviales Spiel mit Oberflächlichkeiten abtun – und manchmal ist es das auch. Aber längst nicht immer. Wer glaubt, TikTok drehe sich nur um skurrile Tänze oder süße Kätzchen, liegt falsch.

Kafka-Euphorie auf Instagram und TikTok

Tatsächlich lässt sich dort – neben vielen anderen Kulturthemen – auch eine jugendliche Kafka-Euphorie beobachten. Die neu entfachte Liebe zum Autor und seinem Werk beschränkt sich nicht auf den deutschsprachigen Raum. Weltweit greifen Jugendliche Kafkas Sätze, Themen und Stimmungen auf und adaptieren sie in Memes und anderen digitalen Formaten.

Das liegt unter anderem an Kafkas dichter, schnörkelloser Sprache, die dennoch vieldeutig bleibt. Unter Reels und Posts mit Kafka-Zitaten, die zum Nachdenken über die eigene Existenz anregen, finden sich tausende Kommentare. Viele erkennen in Kafkas Weltsicht ihre eigene wieder, fühlen sich verstanden und – noch wichtiger – zugehörig.

Stones with messages, placing stones on Jewish graves is an old Jewish custom
An Franz Kafkas Grab auf dem Neuen Jüdischen Friedhof legen Menschen Botschaften auf Steinen nieder. Wie in der digitalen Welt ist auch dort die Intention klar: „Wir werden dich nicht vergessen.“

Kafkas Werk in einer Welt multipler Krisen

Verknappt formuliert wächst die Gen Z im Krisenmodus auf: Pandemie, Krieg, Klimawandel – vielschichtige Bedrohungen, die verständlicherweise ein Gefühl der Hilflosigkeit hervorrufen. Wie soll man als kleines Individuum mit diesen globalen Krisen umgehen oder sie gar lösen?

Zieht man diesen Aspekt in Betracht, wird schnell klar, warum Kafkas „Verwandlung“ besonders bei jungen Menschen beliebt ist. Mit der Figur des Gregor Samsa, der eines Morgens plötzlich als riesiger Käfer in seinem Bett aufwacht, können sich viele identifizieren.

Im Jüdischen Museum Berlin eröffnet die Ausstellung "Access Kafka"
Die 1912 entstandene Erzählung „Die Verwandlung“ ist besonders beliebt bei der Gen Z.

Isoliert durch die Pandemie in ihren Kinder- und Jugendzimmern erlebte die Gen Z eine zunehmende Entfremdung von ihrer Umwelt. Der Kontakt über Teams und Zoom konnte das Gefühl der Isolation nicht mildern. Denn in dieser Zeit geht man normalerweise aus, lernt neue Menschen kennen und erprobt sich in sozialen Gefügen.

Kafkas Prozess: Ein düsterer Blick auf die Bürokratie

Nicht nur Gregor Samsa wird auf TikTok zu einer zentralen Identifikationsfigur. Auch mit der Situation von Protagonist K. aus Kafkas Romanfragment „Der Prozess“ können sich junge Menschen in den sozialen Netzwerken stark identifizieren. Wie K. kämpfen sie gegen eine undurchschaubaren und absurde Bürokratie an.

Prozess nach Franz Kafka am Maxim-Gorki-Theater in Berlin
In einem Mix aus Tragik und Komik kämpft Protagonist K. mit den absurden Formalien der Bürokratie. Einen Ausweg scheint es nicht zu geben, stattdessen zieht sich die Schlinge immer weiter zu.

Bei der heutigen digitalen Bürokratie und modernen Kontrollsystemen scheitert der Zugang nicht selten bereits an einem vergessenen oder fehlenden Passwort. Ein realer Kontakt zu Menschen auf dem Amt? Immer häufiger Fehlanzeige. Stattdessen breitet sich auch hier ein Gefühl der Isolation aus. Man denke erneut an die Pandemie und die unsägliche Diskussion um die Corona-Hilfen für Studierende.

Literatur und Memes: Bildung oder Unterhaltung?

Und nun. Schmälert die meist humorvolle Adaption Kafkas auf TikTok seinen literarischen Wert? Schmückt sich die junge Generation lediglich mit existenzialistischen Kafka-Zitaten, einem Hauch von unbestimmtem Grauen und düsterer Attitüde? Ist Kafka nur ein stimmungsvolles Accessoire zur Selbstvermarktung auf Social Media?

Franz Kafka
Im Zuge des Kafka-Jahres werden auch in Prag eine Reihe an Souveniers zu Kafka angeboten. Er avanciert in gewisser Weise zum Pop-Star.

Die Buchverkaufszahlen sprechen eine andere Sprache. Mit dem viralen Trend auf TikTok lässt sich beobachten, dass Kafkas Werke wieder häufiger gekauft werden. Inspiriert durch die leicht zugänglichen Memes fühlen sich viele junge Menschen erst ermutigt, sich undurchsichtigen Werken wie „Der Prozess“ oder „Die Verwandlung“ zu stellen.

Prozess nach Franz Kafka am Maxim-Gorki-Theater in Berlin
Bühnenadaptionen von Kafka, wie hier am Berliner Maxim-Gorki-Theater, zielen meist auch auf eine starke Bildsprache ab.

Daneben freuen sich auch die Bibliotheken. Zuletzt beobachten auch sie, dass Kafkas Werke deutlich häufiger ausgeliehen werden. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung, denn wer einmal den Weg in die Bibliothek gefunden hat, kommt meist auch wieder und entdeckt andere Autorinnen und Autoren.

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