SWR2 lesenswert Kritik

Emilia Roig – Das Ende der Ehe. Für eine Revolution der Liebe

Stand
Autor/in
Judith Reinbold

Viele feministische Debatten in Politik und Medien drehen sich derzeit um die ungleiche Verteilung von Care-Arbeit, eingeschränkte Karrierechancen oder Lohnunterschiede. Die Gründerin des Center for Intersecitonal Justice, Emilia Roig, meint: Eine der Hauptursachen solcher Geschlechterungerechtigkeiten ist die Art und Weise, wie Liebesbeziehungen organisiert sind – zum Beispiel in der Ehe. In „Das Ende der Ehe. Für eine Revolution der Liebe" fordert sie dazu auf, die tradierten Vorstellungen von Geschlecht, Sexualität und Liebe völlig neu zu denken, um patriarchale Strukturen zu überwinden.

In unserer Gesellschaft werden Menschen aus ganz unterschiedlichen Gründen benachteiligt. Nachdem die Autorin Emilia Roig in „Why we matter“ Systeme rassistischer Diskriminierung untersuchte, widmet sie sich in „Das Ende der Ehe“ der Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. 

Dabei behandelt sie zunächst einige Kernthemen der feministischen Debatte, zum Beispiel die ungerechte Verteilung der Care-Arbeit und die finanzielle Benachteiligung von Frauen. Sie zeigt, wie gesellschaftliche und politische Strukturen Frauen unter Druck setzen und zum Beispiel auch non-binären Personen bestimmte Lebensweisen aufzwingen.

Emilia Roig schildert dies meist anhand eigener Erfahrungen. Gelegentlich zieht sie auch Werke anderer Autorinnen heran, etwa von Monique Wittig oder Eva Illouz. Insgesamt mangelt es dem Sachbuch allerdings an theoretischem Fundament. So verhandelt die Autorin oft ihre persönliche Wahrnehmung als Tatsache und verzichtet auf Belege aus der Wissenschaft. Obwohl es durchaus Texte gibt, auf die sie hätte verweisen können: Zum Beispiel stellte die Philosophin Nancy Fraser bereits in den 90ern fest, dass kapitalistische Systeme darauf angewiesen sind, dass Frauen unbezahlte Care-Arbeit leisten.

Interessant sind vor allem die Passagen, in denen es um die gesellschaftliche Stellung von non-binären und transsexuellen Personen geht. Neue Perspektiven eröffnen zudem die kurzen Passagen über Geschlechterverhältnisse in anderen Kulturkreisen, beispielsweise in Westafrika. Dem hätte Roig gerne mehr Seiten widmen dürfen – und andere Kapitel etwas straffen. Allzu oft verheddert sie sich in schon lang geführten Debatten um Männlichkeit und patriarchale Machtgefälle.

Zugleich werden komplexe Problemstellungen oft zu kurz gedacht und die Autorin führt gesellschaftliche Schieflagen aller Art auf das Patriarchat zurück: Roig greift dabei unterschiedlichste Themenfelder des Feminismus auf – und verliert das eigentliche Thema des Buches, nämlich die Ehe, oft aus den Augen. Diese offenbar wichtige, aber nicht unproblematische Institution, wird eher am Rande thematisiert. Dabei konzentriert sich die Autorin dann auf die negativen Aspekte und verliert zum Beispiel die durchaus sinnvolle Grundidee – das Versprechen, füreinander zu sorgen, in guten wie in schlechten Zeiten – aus den Augen. Stattdessen verweilt sie bei den aus ihrer Sicht problematischen Aspekten: So sei etwa auch die Ehe für Alle nur bedingt fortschrittlich, weil sie queere und gleichgeschlechtliche Paare in die heterosexuelle Norm zwänge. Die Ehe werde zur Pflicht, statt zum Recht.

Womöglich wäre eine differenzierte Auseinandersetzung aber ein fruchtbarer Ansatz gewesen, um alternative Lösungen zu entwickeln. Denn konkrete Vorschläge, wie ein besseres Zusammenleben auf eine moderne, pluralistische Art aussehen könnte, bleibt uns die Autorin schuldig.

Auffällig ist die – für ein Sachbuch stellenweise zu provokante – Rhetorik: Frauen dürften nicht negativ über Fortpflanzung sprechen, sonst würden sie „dafür gehasst und verteufelt, weil Frauen sich dieser Funktion zu fügen und unterzuordnen haben.“ Ehegatten seien zum Leben in einer Wohngemeinschaft verpflichtet „um Frauen unter Hausarrest zu stellen und ihnen Care-Arbeit aufzuzwingen.“ Es entsteht der Eindruck, als wolle die Autorin ihre Aussagen durch die zugespitzten Formulierungen aufwerten – und so ausgleichen, dass es an einigen Stellen an schlüssiger Argumentation mangelt.

Und dennoch sind viele von Roigs Argumenten berechtigt: Es lässt sich kaum bestreiten, dass die Geschlechterungerechtigkeit tief in unserer Gesellschaft verankert ist. Jedoch stellt sich die Frage, ob die Ehe tatsächlich die Wurzel des Problems ist. Oder nicht eines von vielen Symptomen, an denen sich zeigt, dass traditionelle Geschlechterrollen nur bedingt mit modernen Lebensmodellen vereinbar sind. Wäre die Abschaffung der Ehe also tatsächlich die Lösung? Das plausibel darzulegen, gelingt hier leider nicht.

Im Schlusskapitel des Buches steht: „Nur radikale Antworten können die radikalen Krisen lösen, in der unsere Welt sich befindet“. Vielleicht sollten wir statt nach radikalen Antworten aber eher nach realistischen Lösungen suchen, um die beinahe alle Lebensbereiche durchdringende Geschlechterungerechtigkeit zu bekämpfen.

Stand
Autor/in
Judith Reinbold