Über Afrika kursieren viele Stereotype und falsche Vorstellungen. Ihnen setzt der nigerianische Journalist Dipo Faloyin jetzt sein informatives und unterhaltsames Buch „Afrika ist kein Land" entgegen: ein genauer und realistischer Blick auf den Kontinent.
Aus dem Englischen von Jessica Agoku
Suhrkamp Verlag, 400 Seiten, 20 Euro
ISBN 978-3-518-47320-7
Der in den USA geborene Dipo Faloyin wuchs in Nigeria auf und lebt heute in London. Er schreibt für das Online- und Print-Magazin „Vice" und hat zahlreiche Beiträge auch in anderen Publikationen veröffentlicht. Jetzt hat er ein Buch geschrieben, das vor allem uns Europäern den Spiegel vorhält: „Afrika ist kein Land" – Gaby Mayr.
Dipo Faloyin – aufgewachsen in der nigerianischen Metropole Lagos – will mit „Afrika ist kein Land" weit verbreitete Falschinformationen und Vorurteile über unseren Nachbarkontinent zurecht rücken. Der Journalist, der für das US-online-Magazin Vice arbeitet, schreibt informativ, polemisch und unterhaltsam. Holprigkeiten in der Übersetzung erschweren das Lesen nur zu Beginn, in ein, zwei Kapiteln.
Oft verfügen die Besserwissenden aus dem Norden nicht einmal über Basiskenntnisse zu Afrika. „Armut oder Safari, und nichts dazwischen" – so bringt Dipo Faloyin die Ignoranz auf den Punkt. Er sorgt für Abhilfe – mit leichter Hand.
Afrika besteht aus mehr als 50 Staaten, ist drei Mal so groß wie Europa, über 2000 Sprachen werden dort gesprochen.
Im Jahr 1884 teilten die damaligen europäischen Kolonialmächte auf einer Konferenz in Berlin den Kontinent unter sich auf, die Grenzen zogen sie mit dem Lineal. Per Federstrich trennten sie Ethnien und zwangen Völker mit völlig unterschiedlicher Lebensweise unter ein Dach. Die Grenzen gelten bis heute – sie sind eine wichtige Ursache für Konflikte.
Denn Afrika ist ein Kontinent von großer Vielfalt. Weil er in Nigeria aufgewachsen ist, erzählt Dipo Faloyin von dort: Vom lauten Alltag in der Metropole Lagos und von den äußerst beliebten Jollof-Reisgerichten in seiner Familie. Ganz nebenbei macht er deutlich: Anderswo auf dem Kontinent geht es natürlich ganz anders zu, und Jollof-Reis kann völlig unterschiedlich schmecken.
Dipo Faloyin liefert Hintergründe darüber, wie westliche Stars gigantische Hilfskampagnen für Menschen aus Afrika auf die Bühne stellen und damit ganz nebenbei ihre eigene Medienpräsenz pushen. Ob die Riesen-Events den Betroffenen tatsächlich helfen, wird erst gar nicht gefragt. Und dass die meisten Afrikanerinnen und Afrikaner nicht am dürregeplagten Horn von Afrika, sondern in dynamischen Großstädten leben, in denen übrigens auch keine Löwen durch die Straßen schleichen, gehört hierzulande nicht zum gesicherten Wissen.
Stattdessen werden massenhaft Filme produziert mit weißen Darstellerinnen und Akteuren, die ihr Gefühlsleben vor "exotischer" Kulisse mit Sonnenuntergang über der Savanne ausbreiten - für afrikanische Schauspielende sind nur Nebenrollen vorgesehen.
Völlig undifferenziert sind auch die Vorstellungen darüber, wie in Afrika regiert wird. Der nigerianische Autor hält dagegen, indem er über einige sehr unterschiedliche Regierungen schreibt – wobei die Unterschiede oft auch historische Gründe haben. Faloyins Verweis auf die USA unter Trump erinnert daran, dass schlechtes Regieren kein genuin afrikanisches Phänomen ist.
Und auch das lehrt uns dieses aufschlussreiche Buch: Die rund 1,3 Milliarden Menschen auf dem afrikanischen Kontinent sind rein rechnerisch nur für drei Prozent des Klimawandels verantwortlich. Dessen Folgen bekommen sie allerdings bereits massiv zu spüren – als weitere Bürde, die eine gute Entwicklung behindert. Zusätzlich zu den Folgen des Kolonialismus und den Nachwirkungen einer Jahrhunderte währenden Sklaverei. Deren mentale wie wirtschaftliche Wirkungen spüren die Nachfahren der Versklavten bis heute.
Auch Kunstraub verletzte die Menschen in Afrika. Vielen Gemeinschaften nahmen Angehörige der europäischen Kolonialmächte ihre spirituellen Schätze – nicht selten mit Gewalt. Die Werke, die jetzt mancherorts mit großer Geste zurückgegeben werden, machen tatsächlich nur einen Bruchteil des Raubguts aus. Aber immerhin: Es ist ein Anfang. So wie Dipo Faloyin vielerorts in Afrika Bewegung entdeckt, wo Menschen, häufig Frauen, ermutigende Zeichen für Selbstermächtigung setzen.
„Afrika ist kein Land" informiert – überzeugend, packend, unterhaltsam - und hält zugleich den selbsternannten Wohltätern aus dem Norden den Spiegel vor.