Sie sind die magischen Drei der weiblichen DDR-Literaturgeschichte: Maxie Wander, Brigitte Reimann und Christa Wolf. Was verband die Schriftstellerinnen miteinander, im Leben und im Schreiben? Carolin Würfels Buch ist ein persönlicher Essay - und eine besondere Mentalitätsgeschichte.
Dieser Titel ist ein toller Wurf: „Drei Frauen träumten vom Sozialismus“. Da ist schon so viel drin, in einen melodischen Satz gebracht: Die magische Drei, die etwas Märchenhaftes aufruft. Die Frau – nicht die Dame, nicht das Mädchen, nicht die Genossin – als Existenzweise für sich. Das Träumen als Tätigkeitswort, wie es im Deutschen heißt, in seiner ganzen Doppelbödigkeit: Denn zumindest in der Nacht träumen wir ja nicht aktiv, sondern es träumt in uns. Das Träumen am Tage wiederum kann ein Eskapismus sein, harmlos oder gefährlich, einlullend oder kreativ… all das schwingt mit. Und schließlich: Träumen vom Sozialismus – da wird der politische Begriff mit einem Mal zu einem Zeichen von etwas Begehrenswertem. Zu etwas Schönem, das es nicht gibt, weshalb man davon träumen muss. Oder immerhin davon träumen darf.
„Drei Frauen träumten vom Sozialismus“ ist der Obertitel des neuen Buches von Carolin Würfel, Historikerin und Autorin, geboren 1986 in Leipzig, wenige Jahre vor dem offiziellen Ende des Sozialismus auf deutschem Boden. Und dann folgen drei Namen: Maxie Wander. Brigitte Reimann. Christa Wolf. Die Berühmteste, die mit dem längsten Leben zuletzt. Alle drei waren flirrende und interessante Namen, doch für die Heutigen ist vor allem Christa Wolf auch ohne Wikipedia präsent. Am 4. November 1989, fünf Tage vor dem Fall der Mauer, hielt sie noch eine große Rede auf dem Alexanderplatz in Berlin, und auch da ging es um einen Traum: Die DDR-Bürger sollten gewaltfrei demonstrieren, und sie sollten zusammenhalten:
Auch dieser Traum hat sich nicht erfüllt. Und Christa Wolf fiel vom Podium geradewegs in die Ambulanz, mit einer massiven Herzrhythmusstörung. Es sprachen nicht nur Verstand und Gefühl, der Körper hatte seinen eigenen Text.
Diese Szene spielt nach der Erzählzeit von Carolin Würfel. Ihr Portrait dreier Schriftstellerinnen der DDR konzentriert sich auf die gemeinsame Lebenszeit von Maxie Wander, Brigitte Reimann und Christa Wolf, bis zum Ende der Siebziger Jahre. Eine nicht symmetrische Gruppe:
Schade, dass Reimann und Wander so wenig Gelegenheiten hatten oder Gelegenheiten wahrnahmen, sich auszutauschen. Das Herz der Gruppe war eben immer Wolf, um die die anderen beiden Satelliten kreisten, ohne den Weg und die Nähe zueinander zu finden. (…) Dabei hätte es objektiv jede Menge Gemeinsamkeiten gegeben, ihre Liebe zur Musik und ihre Attraktivität, vor allem aber den unstillbaren Hunger, die ständige Sehnsucht nach der Welt oder die Lust am Ausbruch.
Alle drei waren um das Jahr 30 herum geboren, und Brigitte Reimann und Maxie Wander starben früh. Für alle drei war der Körper ein großes Thema – als ein Instrument der Selbsterfindung und der freien Sexualität vor allem bei Wander und Reimann. Als Bürde und als ein Nest für Ängste und Qual bei jeder von ihnen. Reimann und Wander starben, von der Freundin Christa Wolf liebevoll und umsichtig begleitet, in ihren Vierzigern an Krebs, im selben Krankenhaus in Ostberlin. Und sie, die damals schon Erfolgreichste, sollte sie um Jahrzehnte überleben; Jahrzehnte auch der Angst um den eigenen Körper.
Eine Mentalitätsgeschichte eigener Art hat Carolin Würfel geschrieben. Ihre Idee ist so einfach wie brillant, und sie ist ganz persönlicher Natur. Denn diese drei Autorinnen waren in ihrer Familie Ikonen. Maxie Wander, eigentlich Elfriede Brunner, in Wien in einer kommunistischen Familie aufgewachsen und freiwillig DDR-Bürgerin: eine, die blieb, obwohl sie nicht bleiben musste. Eine, die mit ihren Reportagen aus dem westlichen Ausland einen Hauch Flamboyanz in die grauen Städte brachte. Vor allem aber eine, deren Buch „Guten Morgen, du Schöne“ Genossinnen so portraitierte, dass das Glücks- und Wirklichkeitsversprechen zum Vorschein kam. In Wanders Gesprächen mit Frauen unterschiedlicher Herkunft und Bildung, die von Stolz und Enttäuschung, von Sex und Romantik, von ihrem Alltag und ihren Hoffnungen sprachen, erkannten die Leserinnen sich wieder; und das Publikum in der Bundesrepublik griffen diesen parallelen Lebensstoff mit Neugier und Enthusiasmus auf: Maxie Wander wurde berühmt, und „Guten Morgen, du Schöne“ das Gütesiegel einer, wie man heute sagen würde, sozialistischen Zivilgesellschaft.
Auch Brigitte Reimann, heute vor allem mit ihren Tagebüchern im Gedächtnis, warf sich am Anfang ihres erwachsenen Lebens mit voller Kraft ins sozialistische Experiment und ging in die neu gebaute Vorzeigestadt Hoyerswerda.
Die Vereinbarung, die mit Schreibenden wie Reimann getroffen wurde: vier Tage Schreibmaschine, ein Tag Kombinat. Einmal pro Woche fuhr Brigitte Reimann also in die „Schwarze Pumpe“ und arbeitete dort im Sinn des „Bitterfelder Weges“ – „Greif zur Feder, Kumpel“ – als Hilfsschlosserin. Auch das war ein Neuanfang. Reimann hatte bisher noch nie wirklich körperlich gearbeitet, der Körper an sich war seit der Kinderlähmung ja Arbeit genug.
Drei Schriftstellerinnen, die für den Sozialismus nicht nur schwärmten, sondern ihm ihre Zeit gaben, Körpereinsatz, große Gefühle und scharfe Gedanken. Die mit der inneren wie äußeren Zensur zu kämpfen hatten. Drei Wege in die buchstäbliche Enttäuschung. Dass Carolin Würfel ein so lebendiges Buch aus diesem trüben Stoff gelungen ist, verdankt sich ihrer sehr persönlichen Herangehensweise. Die manchmal geradezu zärtlich übergriffig ist, anschmiegsam spekulativ. Jenseits dieser Geschmacksfrage ist „Drei Frauen träumten vom Sozialismus“ ein so origineller wie kluger Beitrag zur deutschen Geschichte.