Platz 7 (33 Punkte)

Lydia Davis: Unsere Fremden

Stand

Die 1947 geborene Lydia Davis gilt in den USA bereits als Star der Short Story, wurde 2013 mit dem Booker Prize ausgezeichnet, und auch in Deutschland ist sie mittlerweile weit mehr als ein Geheimtipp.

Ihre Fähigkeit, komplexe emotionale und gesellschaftlich relevante Sachverhalte offenzulegen, ist staunenswert. Sie kann über die Liebe schreiben und über Tiere im Verhältnis zu ihren Besitzern, über Tiere im Verhältnis zueinander, über Träume und über den Tod.

Streng durchgearbeitet, formbewusst und radikal reduziert sind die 147 Short Stories, die auf gerade einmal 300 Seiten stehen – das allein zeigt die Komprimiertheit, in der Davis arbeitet.

Der Titel für die Geschichtensammlung, das hat Davis in einem Interview mit dem „New Yorker“ erzählt, speist sich aus einer realen Begebenheit: Am Rande einer Kleinstadt lebten drei Brüder zusammen in einem Haus. Die Männer galten als geistig zurückgeblieben und waren Sonderlinge, die von den anderen Stadtbewohnern angefeindet wurden. Eines Tages standen die Behörden vor der Tür, um das Haus zu räumen. Die Menschen aus der Kleinstadt versammelten sich vor dem Haus, um die Brüder zu schützen: Ja, es waren Fremde, aber eben: „Unsere Fremden“.

Solche Mechanismen von Distanzierung und plötzlicher, auch übergriffiger Nähe interessieren Davis. Sie hat einen Blick für die Paradoxien des Alltags und auch für deren Komik. Die letzte Geschichte des Bandes geht so: Wenn wir tot und fort sind, mag es tröstlich sein, das schnelle Klopfen an der Tür zu hören, wie die Stimme auf der anderen Seite sagt: ‚Housekeeping!‘, auch wenn wir nicht in der Lage sein werden, die Tür zu öffnen.“

Mehr zu Lydia Davis

Stand
Autor/in
SWR