Die Auszeichnung für die 1962 geborene polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk mit dem Literatur-Nobelpreis für das Jahr 2018 kam einigermaßen überraschend. Der findige Verleger Daniel Kampa jedenfalls hat ein gutes Gespür für zukünftigen Erfolg und sicherte sich schon vor der Bekanntgabe der Entscheidung die Rechte an Tokarczuks Werk.
Bevor im kommenden Frühjahr der Roman „Anna In“ herauskommt, erscheinen nun erst einmal eine Auswahl von Tokarczuks Essays und Reden unter dem Titel „Übungen im Fremdsein“. Darin verknüpft Tokarczuk immer wieder eigene Lektüreerfahrungen mit dem aktuellen Zeitgeschehen und der großen Frage: Wie lässt sich darüber adäquat schreiben?
Der titelgebende Essay beispielsweise, 2017 entstanden, schlägt einen Bogen von den Büchern Jules Vernes über die „Indiana Jones“-Filme bis zu der Frage, inwieweit das Reisen in der Gegenwart überhaupt noch mit Assoziationen wie Abenteuer, Freiheit und Vergnügen verknüpft sein kann, wenn das unfreiwillige Reisen, die Flucht, die Migration zugleich für Millionen von Menschen eine existentielle Bedrohung darstellt.
Die Essays und Vorlesungen dieses Bandes sind ein großer Möglichkeitsraum, in dem auch die Seelenlage, die Einsamkeit der zurückgezogen lebenden Autorin und deren innere Gespräche einen Widerhall finden. Die Polyphonie der Gedanken löst auch die Genregrenzen auf: Tokarczuks Essays sind Literatur, die auf Literatur reagiert.