Das neue Buch des Sozialphilosophen Axel Honneth ist ein emphatisches Plädoyer für den sinnstiftenden Wert der Erwerbsarbeit.
Suhrkamp Verlag, 400 Seiten, 30 Euro
ISBN 978-3-518-58797-3
Axel Honneth leitete viele Jahre das Frankfurter „Institut für Sozialforschung", derzeit hat er einen Lehrstuhl an der Columbia University in New York. Sein bekanntestes Werk „Kampf um Anerkennung" erschien vor mittlerweile drei Jahrzehnten, sein neues Buch heißt: „Der arbeitende Souverän. Eine normative Theorie der Arbeit" – Konstantin Sakkas.
Axel Honneth ist der Philosoph der Working Class, sein Denken vereinigt neomarxistische Kritische Theorie und amerikanischen Kommunitarismus. Sein zentrales Paradigma heißt Anerkennung. Anerkennung erlangt man durch seine Arbeit, und das Gefühl, anerkannt zu werden, ist wiederum Voraussetzung, ein mündiges politisches Subjekt in der Demokratie zu sein.
Denn die liberale Demokratie lebt in zwei Grunddilemmata. Souverän in ihr ist das Volk: Aber wie soll dieser Souverän seine Macht ausüben, wenn er damit beschäftigt ist, für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten? Und wer garantiert, dass der Souverän seine Macht auch im Sinne der Demokratie ausübt?
Das meinte der Staatsrechtler Ernst Wolfgang Böckenförde mit seinem berühmten Diktum, die Demokratie lebe von Voraussetzungen, die sie nicht garantieren könne.
Hiergegen positioniert sich Honneth: Der arbeitende Bürger könne und solle sehr wohl zum verantwortungsvollen Souverän erzogen werden. Zu diesem Zweck entwirft er in diesem Buch das „Programm einer Demokratisierung der existierenden Arbeitsbedingungen“. Es sollen „Bedingungen geschaffen werden, unter denen die Arbeitenden bereits an ihrem Arbeitsplatz lernen, was es heißt, Mitbestimmung auszuüben und über eine entscheidungsrelevante Stimme zu verfügen.“
Von einer Auflösung der klassischen Arbeitsverhältnisse will Honneth nichts wissen. Die „soziale Arbeitsteilung“ ist für ihn „bei all den gravierenden Mängeln [...] weiterhin eine der ganz wenigen Quellen, aus der sich heute noch ein Sinn fürs gesellschaftlich Allgemeine speist“. Der Einzelnen brauche das klassische arbeitsteilige Arbeitsumfeld als entscheidenden Politisierungsraum.
Deshalb ist Honneth gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen, das jeder Staatsbürger unabhängig von einer Erwerbsarbeit bezöge: Es würde, schreibt er, „private Konsumenten, nicht aber dialogwillige und kompromissbereite Staatsbürger:innen großziehen.“
Statt eines Grundeinkommens, das immer mehr Menschen in einen wirtschaftlich abgesicherten, aber apolitischen Privatraum vertreiben würde, wünscht Honneth sich eine Renaissance der Betriebsstätte als Bildungsstätte.
Das Gefühl, mit seiner Arbeit und Stimme im Betrieb etwas bewirken zu können, fehle vor allem in niedrigen Dienstleistungsberufen wie Paketbote, Putzkraft oder Kassiererin, und für diese Berufsschicht ist Honneths „normative Theorie der Arbeit“ geschrieben. Sie liefert ein Programm nachholender Modernisierung für die Verlierer einer Arbeitsgesellschaft, die indessen am oberen Ende der Skala schon lange im Begriff ist, sich aufzulösen. Honneth will gerade für unterprivilegierte Arbeitnehmende Verhältnisse schaffen, die ihnen das Gefühl geben, an der Welt teilzuhaben und selbstwirksam zu sein. Dazu brauchen diese Berufsgruppen – so sie nicht durch Automatisierung wegfallen – mehr Absicherung, stärkere Mitbestimmungsmöglichkeiten und vor allem höhere Löhne.
Dagegen kann man nichts einwenden. Grundsätzlich aber muss Honneth sich fragen lassen, ob ein Bedingungsloses Grundeinkommen wirklich, wie er schreibt, den „Prozess der sozialen Vereinzelung und Isolierung“ noch weiter beschleunigen und „die wenigen Quellen zivilen Engagements und politischer Beteiligung [...] endgültig versiegen“ lassen würde? Wäre ein Grundeinkommen wirklich eine politische und geistige Stillhalteprämie, oder sind dies nicht eher die klassischen Arbeitsverhältnisse mit Tariflohn, sozialer Absicherung und sechs Wochen Jahresurlaub, aber ohne die Chance, sich substanziell weiterzubilden und sich ernsthaft Gedanken über das Politische zu machen?
Eine Betrachtung des Verschwörungs- und Querdenkermilieus zeigt, dass sich dort weniger die Abgehängten, Weltlosen sammeln als Menschen in gut ausgestatten Mittelschichtjobs. Warum glauben sie, die sich doch in ihren Jobs entfalten können, dann trotzdem an Fake News und verteufeln die liberale Demokratie? Vielleicht, weil auch ein denkbar soziales, auskömmliches und auf Mitbestimmung ausgelegtes Arbeitsverhältnis eine Blase ist, die einen vom Politischen abschirmt. Das entdecken in Zeiten der Polykrise gerade Angestellte, Ärzte, mittelständische Unternehmer – und fühlen sich betrogen trotz all der Segnungen ihrer Berufe, in deren Genuss Axel Honneth die prekäre Unterschicht erst noch bringen will.