Fleisch als Politikum

Vom Statussymbol zum Klimakiller: Fleisch im Wandel der Zeit

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Autor/in
Sophia Volkhardt
Sophia Volkhardt

Um kein anderes Lebensmittel wird so emotional gestritten: Fleisch ist einerseits bis heute ein Statussymbol, andererseits gilt es mit Blick auf den Klimawandel als ein Symbol für die Krise.

Genuss auf der einen Seite – Moral auf der anderen. Die Kritik am Fleischkonsum scheint in Deutschland medial allgegenwärtig. Spätestens durch die Klimabewegung ist das früher scheinbar selbstverständliche Nahrungsmittel Fleisch zum Politikum geworden – ein Reizthema.

Fleisch landet weiter auf den Tellern

Auf den ersten Blick ist alles glasklar: Massentierhaltung und Tierquälerei, Gammelfleischskandale, die miese Umweltbilanz, Ressourcenverschwendung, in Massen gilt Fleisch gesundheitsschädlich und und und – die Argumente gegen Fleischkonsum liegen auf der Hand und werden im öffentlichen Raum und in den Medien vielfältig diskutiert.

Und dennoch landet weiter Fleisch auf deutschen Tellern. Der Fleischkonsum geht nur langsam zurück. Laut einer Studie aus diesem Jahr essen vor allem junge Erwachsene wieder mehr Fleisch. Wer sich in den Supermarktregalen umschaut, entdeckt überall weiter eine große Auswahl an Fleischprodukten.

Abgepacktes Fleisch in einem Supermarkt
In Frankreich wird zwischen 365 Käsesorten unterschieden, in Italien gibt es knapp 350 Nudelformen, die Deutschen dagegen unterscheiden zwischen knapp 1.500 Wurstarten.

Nur jeder neunte Deutsche lebt vegetarisch

Mit Blick auf die Werbung und die Medien könnte man auf die Idee kommen, dass immer mehr Verbraucher*innen Vegetarier oder Veganer werden. Tatsächlich verzichtet aber nur gut ein Zehntel der Bevölkerung bewusst ganz auf Fleisch und lebt vegetarisch.

Wer verstehen will, warum Fleisch so ein umkämpftes Lebensmittel ist, muss in der Geschichte weit zurückschauen.

Die Evolution und das Fleisch

Der Mensch isst wohl seit knapp 2,4 Millionen Jahren Fleisch. Viele wissenschaftliche Theorien halten Fleisch für den entscheidenden Grundstein der Evolution des Menschen. Die Protein- und Fettquellen sollen maßgeblich dazu beigetragen haben, dass sich die Hirne unserer Vorfahren mehr als verdoppeln konnten. Denn große Hirne brauchen mehr Energie. Knapp zwanzig Prozent unserer gesamten Energie verbraucht es und das, obwohl es nur rund zwei Prozent unseres Körpergewichts ausmacht. Und die einfachste Nahrungsquelle dafür war Fleisch.

Paläontologie Evolution: Seit wann essen Menschen Fleisch?

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SWR Aktuell Rheinland-Pfalz SWR RP

In den 1950ern und später vor allem in den 1990er Jahren war die „Meat-made-us-human“-These verbreitet. Sie besagte, dass Menschen sich nur durch den Fleischkonsum entwickeln konnten. Die Menschheitsentwicklung ist also eng verzahnt mit dem Fleischkonsum. Heute gibt es aber immer mehr wissenschaftliche Zweifel, ob wirklich entscheidend war, dass die Menschen anfingen Fleisch zu essen. Neue Theorien vermuten, dass das Feuer entscheidend für den menschlichen Aufstieg war.

Höhlenmalerei aus der Steinzeit
Die Malereien in Höhlen im Matobo Nationalpark in Simbabwe zeigen Jagdszenen aus der Steinzeit.

Welches Fleisch schmeckt uns?

Entscheidend dafür, welches Fleisch uns heute schmeckt war die nächste Entwicklungsstufe unserer Vorfahren: Aus den Jägern und Sammlern wurden im Vorderen Orient allmählich Ackerbauern und Viehzüchter. Die Menschen wurden sesshaft und begannen Wildtiere zu zähmen. Fleisch wurde jetzt aufwendiger zubereitet. Plötzlich spielten ganz andere Faktoren eine Rolle als bei der Jagd. Welche Tiere lassen sich gut züchten, sind sinnvoll für den Ackerbau und an welchen Tieren ist viel dran?

Pflanzenfresser wie Rinder oder Geflügel waren günstiger zu halten. Eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung.

Rinderschlachtkörper vor der Weiterverwertung
Rinderpistolen aufgereiht in einem Schlachthaus.

Es sind also nach wie vor in der Regel die Tiere, mit denen wir unseren Lebensraum teilen, die uns schmecken. Der Gedanke an ein Steak aus Schlangenfleisch befremdet in Deutschland noch viele, obwohl die Globalisierung unsere Ernährung in anderen Bereichen stark beeinflusst hat.

Fleischkonsum von der Antike bis zur Frühen Neuzeit

In der Antike entstanden aus den Ackerbaugesellschaften im Zweistromland oder am Nil langsam Hochkulturen mit Schrift, Religionen und auch die Viehhaltung und die Jagd entwickelten sich weiter. Dass Fleisch in den Gesellschaften eine wichtige Rolle spielte, ist für die Wissenschaft heute klar nachvollziehbar. Fleisch wurde symbolisch mit den Göttern geteilt. Und das Nahrungsmittel blieb wenigen vorbehalten, die breite Bevölkerung ernährte sich pflanzlich.

Abbildung aus einem mittelalterlichen Handbuch
Darstellung der Ziegenschlachtung im Mittelalter. Im Tacuinum Sanitatis, einer Handreichung für eine gesunde Lebensfürhung, aus dem 14. Jahrhundert.

Fleisch war etwas Besonderes. Oft stammte es von älteren Nutztieren und wurde gekocht, um es länger haltbar zu machen. Die ärmeren Schichten aßen wohl vor allem ältere Rinder. Außerdem wurde das ganze Tier verwertet. Gerichte mit Schnauzen oder unterschiedlichen Innereien waren Normalität. Archäologische Funde legen nahe, dass Reiche gerne Schweinefleisch aßen.

Fleisch im Überfluss im Mittelalter

Im Mittelalter stieg der Fleischkonsum weiter an. Gekochter Schinken beispielsweise galt als Heilmittel. Doch die Menschen waren gebeutelt von kalten Wintern, Seuchen, kriegerischen Konflikten und der Bedrohung durch wilde Tiere. Die Tierhaltung lieferte zu der Zeit keine beständige Versorgung. Fleisch blieb zunächst ein Luxusgut, an dem sich auch der gesellschaftliche Rang ablesen ließ. Außerdem spielte die Verbreitung des christlichen Glaubens bei dem Umgang mit Fleisch eine wichtige Rolle. Während der Fastenzeiten war Fleisch auf dem Teller Tabu.

Was wurde im Mittelalter aufgetischt?

Das Leben war hart, die Bauern waren abhängig von den kargen Erträgen ihrer Äcker und Gärten. Selten kam bei ihnen Fleisch auf den Tisch, nur an großen Festtagen war das möglich. Warum bei diesen Festen manche Speisen sogar eingefärbt wurden und wie sich der damalige Speiseplan rekonstruieren lässt, das zeigt der Film.

Erst nachdem die „Schwarze Pest“, die Pestepidemie, im Spätmittelalter dafür sorgte, dass innerhalb weniger Jahre geschätzt ein Drittel der europäischen Bevölkerung dahingerafft wurde, weitete sich die Viehhaltung weiter aus und plötzlich gab es Fleisch im Überfluss. Wissenschaftler gehen davon aus, dass bis zu 100 Kilogramm Fleisch pro Kopf vertilgt wurden. Zum Vergleich: Im Jahr 2023 summierte sich der menschliche Verzehr auf rund 51,6 Kilogramm pro Kopf.

Fleisch als Luxusgut

Mit dem Ende des Mittelalters, der sogenannten „Entdeckung“ Amerikas durch Kolumbus kamen mit Kartoffeln und Mais zusätzlich Futtermittel nach Europa, der sehr viel effizienter waren. Aber durch klimatische Veränderungen sanken Mitte des 16. Jahrhunderts die Erträge und damit auch die Viehbestände. Die Verwüstungen durch den Dreißigjährigen Krieg sorgten zusätzlich dafür, dass Fleisch wieder rar und sehr teuer wurde. Getreidebasierte Nahrung war jetzt angesagt.

Gesellschaft an einem gedeckten Tisch
Peter Paul Rubens und Jan Brueghel d. Ältere schufen 1615 gemeinsam dieses Werk, das sich heute im Metropolitan Museum New York befindet. Bei diesem Bild zeichnete und malte Rubens die Figurengruppen und Breughel malte die Hintergründe.

Aber Fleisch blieb weiter heiß begehrt und war wieder ein Zeichen von Wohlstand. Aus dem Mangel entwickelten sich in dieser Zeit wohl auch Gerichte, die mal mit weniger, mal mit mehr Fleisch zubereitet werden konnten. Etwa Rouladen oder Maultaschen. Weil so viele Menschen zu der Zeit Hunger litten, wurden üppige Körper zum angesagten Schönheitsideal.

Fleischkonsum und die Industrialisierung

Mit dem Industriezeitalter stieg der Fleischverbrauch wieder an. Der wissenschaftliche Fortschritt und auch die lange Friedenszeit nach dem Wiener Kongress 1815 führten dazu, dass um 1900 schätzungsweise wieder 50 Kilogramm Fleisch pro Kopf vertilgt wurden. Also ungefähr so viel wie heute.

Auch die Fleischproduktion veränderte sich durch die Industrialisierung maßgeblich. Große Schlachthöfe tauchten im Stadtbild auf. Fleisch wurde nach und nach zum Massenprodukt.

Bevölkerungsanstieg durch Massenproduktion

Dank der besseren Versorgung wuchs die Bevölkerung. Die Folgen und Gefahren der Massenproduktion von Lebensmitteln wie Fleisch spielten zu der Zeit keine Rolle. Zu präsent die allgegenwärtige Angst vor dem Hunger, der viele Jahre maßgeblich war.

Auch die Gastronomie und die bürgerliche Küche blühten in der Zeit auf. Mit Blick auf die Speisekarten der Zeit wird deutlich: Fleisch stand bei der täglichen Ernährung ganz oben auf der Liste.

Fleisch während der Kriegszeiten unerschwinglich

Und der Hunger kam zurück: Während des Ersten Weltkrieges ging der Fleischkonsum um knapp 80 Prozent zurück. Fleisch wurde unerschwinglich.

Das änderte sich für die Armen auch während der Weimarer Republik kaum. Inflation, Arbeitslosigkeit und die Weltwirtschaftskrise sorgten dafür, dass Fleisch weiter nur den Reichen vorbehalten blieb.

Fresswelle kurbelt Fleischkonsum an

Auch während des Zweiten Weltkriegs war die Mangelernährung allgegenwärtig – das sogenannte Hungertrauma. Die Zeit des Wirtschaftswunders, also des überraschend schnellen Aufschwungs nach dem Krieg, führte dazu, dass nach der Zeit der Entbehrung eine regelrechte „Fresswelle“ losgetreten wurde.

Menschen in der Schlange an einer Ladentheke in den 1950er Jahren
Während der Zeit des Wirtschaftswunders in den 1950er Jahren gibt es nach den entbehrungsreichen Kriegsjahren wieder ausreichend Lebensmittel. Auch Fleisch. Mit der sogenannten Fresswelle wird das Bedürfnis nach hochwertigem und reichhaltigem Essen beschrieben. Damit einher ging, dass viele Menschen übergewichtig wurden.

Wieder zum Vergleich: Zwischen 1950 und 1960 schätzt man, dass der Konsum von Schweinefleisch von 19 auf beinahe 30 Kilo anstieg. Kochen wurde von einer täglichen Notwendigkeit zur Freizeitgestaltung. Und Fleisch blieb dabei zentral. Die Deutschen entdeckten zum Beispiel das Grillen für sich.

Ökologiebewegung kritisiert Fleischkonsum

Fleisch wurde nach und nach vom Statussymbol zum billigen Massenprodukt. Erst in den 1970er und 1980er Jahren setzte in bestimmten Bereichen eine Art von Umdenken ein. Durch die Veränderungen im Zuge der Studentenunruhen rückte auch das Thema Umwelt mehr in den Fokus der Gesellschaft und der Wissenschaft.

Es regte sich Kritik am Massenkonsum. Spätestens Die Grünen, die sich 1980 aus der Ökologiebewegung heraus gründeten, machten Fleisch und Tierhaltung zu einem politischen Thema.

BSE sorgt für Rückgang des Fleischkonsums

Gesamtgesellschaftlich veränderte sich dadurch zunächst wenig. Drastisch Einfluss auf den Fleischkonsum hatten dagegen die Fleischskandale, die ab den 1990er Jahren auch Deutschland erschütterten. Zum Beispiel die als „BSE“ oder „Rinderwahnsinn“ bekannt gewordene Rinderkrankheit, ausgelöst durch das Verfüttern von verseuchtem Tiermehl. Die Folge: Tausende (gesunde) Rinder wurden notgeschlachtet und Verbraucher und die Politik waren zutiefst verunsichert. Der Rindermarkt brach ein.

Landwirte demonstrieren mit Kuh und Bannern
Demonstration 2001 wegen Einbußen der Bauern durch den BSE-Skandal.

Auch die sogenannten „Gammelfleisch“-Skandale Anfang der 2000er Jahre trugen dazu bei, dass breiter über Themen wie billiges Fleisch, Tierhaltung und Alternativen für Fleisch diskutiert wurde.

Fleisch als „Klimakiller“

Spätestens mit den Klimastreiks und der Klimabewegung ab 2018 scheint es so, als befinde sich das Fleisch mit dem öffentlichkeitswirksamen Image als „Klimakiller“ als Lebensmittel restlos in der Ansehenskrise. Aber der Blick auf die langsam sinkenden Zahlen beim Fleischkonsum macht deutlich: Vielen ist bewusst, dass unser derzeitiger Fleischverzehr schädlich ist – trotzdem ändert sich nicht schlagartig das Konsumverhalten. Das sogenannte „Fleisch-Paradoxon“.

Der Widerspruch spiegelt sich auch auf der politischen Ebene. Obwohl Fleisch eindeutig ein hoch politisiertes Lebensmittel ist und klar ist, dass beispielsweise die Klimawende ohne eine Ernährungswende kaum gelingen kann, finden sich wenige staatliche Maßnahmen, die die Tierproduktion merklich abbauen würde, attestieren viele Wissenschaftler.

Demonstrierende wandern mit Bannern durch eine Innenstadt
Globaler Klimastreiktag von Fridays for Future in Hamburg mit Kritik an der Fleischindustrie.

Weltweit nimmt Fleischkonsum weiter zu

Auch wenn in Deutschland nach und nach weniger Fleisch gegessen wird, weltweit steigt die Nachfrage nach Fleisch. Das wird sich nach Prognosen in den nächsten Jahren sicher auch nicht ändern. Die Verfügbarkeit von Fleisch hängt mit dem Wohlstand in einer Gesellschaft zusammen und darum ist es vielen Ländern nach wie vor ein Statussymbol.

Mit Blick auf unsere Geschichte mit dem Fleisch kann man davon ausgehen, dass es auch in unserer Ernährung weiter eine zentrale Rolle spielen wird und weltweit das paradoxe Miteinander von Fleischeslust auf der einen Seite und Fleisch als Krisensymbol auf der anderen Seite weiter zunimmt.

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