Die mittelalterlichen Handschriften, die von Mönchen im Skriptorium des Reichenauer Benediktinerklosters geschaffen worden sind, zählen zu den wertvollsten Originalhandschriften der Welt. Die vom Badischen Landesmuseum kuratierte Jubiläumsschau im Archäologischen Landesmuseum Konstanz und auf der Reichenau erzählt auf eindrückliche Weise, wie wie der Konvent Impulsgeber für Kunst, Kultur und Politik war.
Mittelalter im Spotlight
Es braucht Zeit, bis sich das Auge an die Dunkelheit der Ausstellungsräume gewöhnt. Doch dann eröffnet sich unter den wenigen Spotlights Mittelalter pur.
Sie beleuchten originale Buchmalereien, vor 1000 Jahren von Mönchen im Kloster auf der Insel Reichenau geschaffen. Sie zählen heute zu den wertvollsten Originalhandschriften der Welt.
Für den Direktor des Badischen Landesmuseums Eckard Köhne machen allein diese Exponate die Grosse Landesausstellung zur derzeit spektakulärsten Sonderschau Europas: „Diese Zusammenschau bekommt man wirklich niemals, nirgendwo zu sehen! Das sind die kostbarsten Stücke! Und sie stehen hier im Mittelpunkt. Es gab ja viele tolle Mittelalter-Ausstellung in den letzten Jahren, über Kaiser und über die große Politik. Aber bei dieser Schau stehen die Bücher im Zentrum.“
Fünf ausgestellte Handschriften sind UNESCO-Weltdokumentenerbe
Zu sehen sind Bücher, die in den letzten Tagen hochgesichert mit Kurieren aus den Niederlanden, aus Italien, Frankreich, Österreich und der Schweiz nach Konstanz gebracht wurden.
Fünf davon sind UNESCO-Weltdokumentenerbe, wie etwa der Codex-Egberti. Aufgeschlagen ist die Seite, auf der zwei Reichenauer Mönche dem thronenden Erzbischof Egbert von Trier den Kodex, das frisch fertiggestellte Auftragswerk, überreichen.
Das Reichenauer Kloster als Keimzelle der Intelligenz
Die Bücher erzählen aber nicht nur von dem künstlerischen Können der Reichenauer Malermönche, sondern auch von der europaweiten Bedeutung des Benediktinerklosters mit einem Skriptorium in einer Welt noch ohne Buchdruck.
Und so ist es ein weiteres Buch, das von der europaweiten Strahlkraft des Inselklosters erzählt: „Das Reichenauer Verbrüderungsbuch“.
Das „Who is Who“ des Mittelalters ist im Verbrüderungsbuch vermerkt
Jeden, dessen Name dort eingetragen ist, haben die Mönche in ihr Gebet eingeschlossen. Mit über 100 Klöstern hat sich die Reichenau so verbrüdert.
Aber auch Laien, Stifter und Wohltäter trugen sich ein: „Und so kommen in dem Verbrüderungsbuch über 38.000 Namen zusammen. Die auch wirklich ein „Who is Who“ des Mittelalters beinhalten. Da sind Kaiser, Könige Päpste darunter, nicht mal nur aus dem deutschsprachigen Landen. Sondern auch aus England, aus Ungarn. Das zeigt, wie bedeutend dieses Klosters war“, sagt Marvin Gedidk, wissenschaftlicher Mitarbeiter.
3D-Rekonstruktionen zeigen neuste Erkenntnisse zur Baugeschichte
Um die wertvollen Schriften herum erzählen noch viele Exponate von der Klostergeschichte: etwa eine Altarschranke, für deren kunstvolle Ausarbeitung im 9. Jahrhundert Steinmetze aus Italien auf die Insel kamen.
Man kann sich in ein Chorgestühl setzen, den gesungenen Stundengebeten der Mönche lauschen, 3D-Rekonstruktionen zeigen die neuesten Forschungen zur Baugeschichte der drei mittelalterlichen Kirchen.
Sie im Original zu sehen, ist Teil der Grossen Landesausstellung. Man muss sich nur von Konstanz aus neun Kilometer auf den Weg machen. Dorthin, wo Wanderbischof Pirmin vor 1.300 Jahren das Kloster gegründet hat.
Besser kann man ein Welterbe nicht erlebbar machen
Schatzkammer und Klostergärten sind neu gestaltet, die Sakralbauten stehen mit ihrer mittelalterlichen Aura für sich. Das Badische Landesmuseum hat eine App mit vielen Informationen erstellt, die dazu einlädt, die Insel auf eigene Faust zu erkunden.
Es ist eine herausragende Schau, die das Badische Landesmuseum in Konstanz präsentiert. Und es ist gelungen, von dort den Bogen an den Originalschauplatz, auf die Insel selbst, zu spannen.
Besser kann man im Jahr 2024 ein Welterbe des Mittelalters nicht erlebbar machen.
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Forum Welterbe am Bodensee – 1300 Jahre Klosterinsel Reichenau
Gregor Papsch diskutiert mit
Marvin Gedigk, Historiker und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Badischen Landesmuseum Karlsruhe
Dr. Tanja Kinkel, Schriftstellerin, München
Prof. Dr. Steffen Patzold, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte, Universität Tübingen