Die Algorithmen von Facebook und Instagram dulden keine weiblichen Brustwarzen – auch nicht, wenn sie gemalt sind
Soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram haben eine klare Politik, was die Darstellung von Nacktheit angeht: Sie ist auf den Plattformen nicht gestattet, auch wenn es sich dabei um künstlerische oder kreative Darstellungsformen handelt. So werden Bilder von weiblichen Brustwarzen beispielsweise konsequent gelöscht – Klassische Malereien von Tizian, Rubens und Co. gelten dabei genauso als anstößig wie Oben-Ohne-Selfies.
2018 lud der Regisseur Jocelyn Fiorina auf Facebook ein Bild einer barbusigen Freiheitskämpferin mit Trikolore hoch – das berühmte Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ des französischen Malers Eugène Delacroix. Nach nur 15 Minuten wurde das Bild mit Verweis auf das Verbot von Nacktheit von der Plattform entfernt. Fiorina lud es erneut hoch, versah die Brust mit einem „Zensiert durch Facebook“-Banner und sorgte damit für mediales Aufsehen.
Facebook entschuldigte sich später, räumte dem Werk Regelkonformität ein und bekräftigte, dass Kunst eine Daseinsberechtigung auf der Plattform hätte. Trotzdem ist die Löschung längst kein Einzelfall: Weil die Algorithmen der Plattformen nicht differenzieren können, ob es sich um Fotografien oder Gemälde handelt, kommt es immer wieder zur Zensur von klassischen Kunstwerken.
Erotik-Plattformen als Alternative zu Lösch-Algorithmen
In Wien hat man sich jetzt eine Alternative überlegt: Um die Algorithmen von Facebook und anderen Netzwerken zu umgehen, sind zahlreiche Kunstwerke von Wiener Museen jetzt auf der Plattform OnlyFans zu sehen, die vorrangig der Distribution erotischer und pornographischer Inhalte dient. Unter dem Titel „Vienna Strips“ kann man auf OnlyFans gegen eine kleine Gebühr zahlreiche Kunstwerke aus Wiener Museen bestaunen – ganz ohne Angst, dass die Inhalte wegen vermeintlicher Anstößigkeit entfernt werden.
Zahlreiche Selbstbildnisse Egon Schieles, die Venus von Willendorf oder Frauenmalereien von Tizian und Rubens: Weil Nacktheit nicht immer per se pornografisch sein müsse, und die willkürliche Löschung entsprechender Inhalte an Zensur grenze, haben sich die Wiener Touristiker diese Marketing-Aktion einfallen lassen. Eintrittskarten für die entsprechenden Museen gibt es zum Digital-Angebot obendrauf. Der Kanal wird seit November nicht mehr mit neuen Inhalten bestückt, ist aber weiterhin auf der Plattform zugänglich.
Lohnt sich das finanziell? Nein, sagt Norbert Kettner von WienTourismus in der Süddeutschen Zeitung: Die Zugriffe auf die OnlyFans-App seien übersichtlich, aber es ginge ohnehin vorrangig darum, die Problematik der Löschalgorithmen einer breiten Bevölkerung bekannt zu machen. Es ginge bei der Aktion um künstlerische Freiheit, ganz gleich, ob die Kunst klassischer oder moderner Natur ist. Algorithmen dürften nicht darüber entscheiden, welche Kunst eine Daseinsberechtigung hat.
„Classic Nudes“ auf PornHub: Ein eingeschränktes Bildungserlebnis
Einen anderen Ansatz verfolgt die Porno-Streamingplattform PornHub: Mit dem Audioguide „Classic Nudes“ sollen klassische Werke mit viel nackter Haut einem jüngeren Publikum zugängig gemacht werden. „Pornografie mag nicht als Kunst gelten, aber manche Kunst kann man als Pornografie betrachten.“, sagt die italienische Politikerin und ehemalige Pornodarstellerin Ilona „Cicciolina“ Staller im Trailer zum digitalen Rundgang. Kunstkritiker Carsten Probst sieht in der Werkschau allerdings ein „eingeschränktes Bildungserlebnis“.
Doch „Classic Nudes“ sorgt für eine Kontroverse: Weil sich die Werkschau bei Bildern aus den Uffizien in Florenz, dem Pariser Louvre oder der National Gallery in London bedient, erwägen einige Museen eine Klage gegen PornHub – wegen Verletzung des Urheberrechts. PornHub benutzt die Bilder ohne dafür Lizenzgebühren zu bezahlen und hat keine Genehmigung für das Angebot.
Der Trailer zu „Classic Nudes“:
Mehr Räume für freizügige Kunst auf sozialen Netzwerken
In der Corona-Zeit sind zahlreiche digitale Angebote geschaffen worden, um Kunst im Netz zugänglicher zu machen. Auf Plattformen wie Facebook und Instagram, die von über einer Milliarde Menschen benutzt werden, bleibt jedoch zahlreiche klassische Werke wegen ihrer vermeintlichen Obszönität verborgen.
Wenngleich Aktionen wie „Vienna Strips“ oder der Audioguide von PornHub hauptsächlich dem Marketingzweck dienen, ist der gelieferte Denkanstoß in der heutigen Zeit nicht unwichtig: Wenn Kunst digital besser zugänglich gemacht und ein neues Publikum angesprochen werden soll, müssen auch auf sozialen Netzwerken Räume für Kunst geschaffen werden – selbst dann, wenn sie freizügig ist.