Die Prinzessin mit dem Nachrichtensender
Alles beginnt in den 2000er Jahren mit Medienmanagerin Natalja Sindejewa und ihrem Traum vom eigenen TV-Kanal. Sindejewa ist eine Naturgewalt, leidenschaftliche Tänzerin, hat einen eigenen Radiosender gegründet, verheiratet mit einem reichen Investor. Rauschende Partys pflastern ihren Weg und nun möchte sie einen TV-Sender starten, pink soll seine Farbe werden — wie ihr Porsche Cayenne.
Geld ist kaum ein Problem und gemeinsam mit der Journalistin Wera Kritechewskaja, die nun „F@ck this Job“ gemacht hat, wird „Doschd“ (russ. „Regen“) 2010 während der relativen Entspannung der Medwedew-Präsidentschaft aus der Taufe gehoben. Live-Sendungen, anfangs noch eher holprig, sind das Markenzeichen des Senders.
Populärer Sender gerät in Konflikt mit der Staatsführung
Was als Lifestyle-Projekt für alle beginnt, erlebt seine erste Krise durch die Politik: Sindejewa beschließt eigenmächtig einen regierungskritischen Sketch aus dem Programm zu nehmen, daraufhin wird „Doschd“ von Präsident Medwedew bei einem Besuch gelobt, aber Nachrichten-Profi Kritechewskaja verlässt das Projekt. Sie sieht darin einen Verrat an der Unabhängigkeit des Senders.
„Doschd — Optimistic Channel“ erlebt eine Welle der Begeisterung in Russland, die Zuschauerzahlen steigen immer weiter, Natalja Sindejewa und ihr Team sind voll engagiert und versuchen ein breites Bild der russischen Gesellschaft abzugeben. Doch hier kommt es erstmals zu Konflikten mit der Staatsführung, die sich nicht mehr so einfach lösen lassen.
„Zeigen, was ist“ — auch wenn die Politik das nicht will
Der Sender berichtet von den Protesten gegen die Wiederwahl von Putin, von den Scharfschützen bei den Maidan-Protesten in der Ukraine, spricht mit russischen Kriegsgefangenen im Donbass. „Zeigen, was ist“ könnte ihr Motto sein — man trifft in der Doku alte Bekannte, wie einen jüngeren Alexey Nawalny oder Boris Nemtsov vor seiner Ermordung. Es wird scharf kontrastiert, was die staatlichen Sender zeigen, während auf der Straße die Führung in Frage gestellt wird: TV-Serien. In dieser Zeit stößt auch Wera Kritechewskaja wieder zum Team.
„Doschd“ wird nach und nach immer weiter eingeschränkt — die Kabelanbieter beenden ihre Verträge, die Werbepartner springen ab, immer weniger Menschen können oder wollen am Abo-Programm teilnehmen, der Sender wird als „ausländischer Agent“ deklariert. Dazu kommen private Rückschläge für Sindejewa, die im Fokus des Films steht: Ihre Ehe kriselt, bei ihr wird Brustkrebs diagnostiziert.
Wie deutsche Großkonzerne russische Staatspropaganda mitfinanzieren:
Dokumentarfilm auch für Nicht-Russland-Expert*innen
Mit seinen neon-pinken Zwischentiteln, die die auftretenden Personen vorstellen und den zeitlichen Verlauf der Ereignisse einordnen, bringt auch „F@ck this Job“ einen „optimistischen“ Vibe rüber. Viel davon ist der unbändigen Motivation der Journalist*innen und Mitarbeitenden geschuldet, die bei jedem Satz förmlich durch den Bildschirm zu spüren ist — auch wenn dem Reporter unter Beschuss auf dem Maidan in Kiew dann in der Live-Übertragung das titelgebende „Fuck This Job“ rausrutscht.
Trotz des ernsten Themas schaffen es Regisseurin Wera Kritechewskaja und Jutta Hercher, die für die deutsche Bearbeitung zuständig war, eine fesselnde und unterhaltsame Doku abzuliefern: Auch wer sich nicht unbedingt genauer mit der russischen Politik der letzten zehn Jahre auskennt, wird mitgenommen.
Glamour und Glitzer trifft den Wunsch nach offener Diskussion
Unterschwellig nimmt man bei aller Motivation und allem Optimismus wahr: Opposition und das Verfolgen einer Idee vom unabhängigen Sender muss man sich leisten können. Gründerin Natalja Sindejewa und ihr (inzwischen Ex-)Mann, Investor Alexander Winokourow (nicht zu verwechseln mit dem ehemaligen Radprofi) können es sich leisten, mal eben eine Eigentumswohnung in das neue TV-Studio umzurüsten, als „Doschd“ keinen Mietvertrag mehr bekommt. Sie können es — und sie tun es.
Nur noch als Texttafel in den Film geschafft hat es das (vorläufige) Ende von „Doschd — Optimistic Channel“: Die neuen Mediengesetze zum Krieg in der Ukraine machen es den Mitarbeitenden so schwer, sachgerecht über die Ereignisse zu berichten, dass sie den Sendebetrieb vorläufig einstellen. Das gesamte Team verabschiedet sich in einer Live-Schalte, sagt deutlich „Nein zum Krieg“, der antifaschistische Gruß „No pasarán“ fällt und dann — kommt eine Übertragung von „Schwanensee“.
Zerbricht der Traum von der unabhängigen Presse endgültig?
Während der Sender angibt, seinen Betrieb nur unterbrochen zu haben, ist inzwischen der Großteil des Führungsteams ins Ausland geflohen. Dass sie den Kampf um die Pressefreiheit in ihrer Heimat Russland jedoch nicht so einfach aufgeben werden, scheint jedoch klar.