Kein gefälliger Liebesfilm
Die Handschrift von „Der Junge dem die Welt gehört“ ist unverkennbar. Es ist ein Film wie ein Käptn Peng Song: Tiefgründig, ohne sich anzubiedern. Schlau, ohne mit Zwang zu intellektualisieren. Einfach schrecklich schön und direkt.
Und trotzdem – oder gerade deshalb ist das Regie-Debüt von Robert Gwisdek nichts für Nebenbei – kein gefälliger Liebesfilm eben. Aber das waren die Songs von Käptn Peng ja auch nie.
Man muss konzentriert bleiben, um die vielen losen Enden miteinander zu verbinden, um den Anschluss nicht zu verlieren und gleichzeitig die Schönheit und Tiefgründigkeit auch in der Verzweiflung der Figuren zu erkennen. Doch worum geht es eigentlich?
Im Grunde ist es eine Liebesgeschichte: Zugegebenermaßen, eine etwas verrückte Geschichte vielleicht, die sich um einen jungen Musiker spinnt, der sich auf die Suche nach Poesie begibt und dabei Liebe findet.
Faber als tragisch-komische Hauptfigur
Der junge Musiker Basilio, gespielt von Julian Pollina, auch bekannt unter seinem Künstlernamen Faber, lebt in einer verlassenen sizilianischen Villa. Sein Traum ist es, den einen großen Song zu schreiben, dieses eine Meisterwerk zu vollbringen, das Menschen im tiefsten ihrer Seele berührt. Er will wahre Poesie schaffen.
Doch er hat ein Problem: So sehr er auch versucht, der Welt zuzuhören, er versteht sie nicht, ist zerrissen zwischen dem Wunsch, große Kunst zu erschaffen und dem Zwang, im Schuhgeschäft seines Onkels zu arbeiten.
Basilio ist gefangen zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen einem Innen und einem Außen, auch ein Stück weit zwischen Genie und Wahnsinn.
Hat nicht jeder einen kleinen Kasimir in sich?
Angetrieben wird Basilio von Kasimir, einem alten Mann in einer Art Erwachsenen-Strampelanzug, der ihn motiviert, diese wahre Poesie zu suchen und zu finden. Gespielt wird dieses Seelen-Spiegelbild Basilios von Denis Lavant, der ausschließlich französisch spricht und der Figur eine wunderbar groteske Überzeichnung verleiht.
Ist Kasimir real oder nur im Kopf von Basilio? Und hat nicht jeder einen solchen Kasimir in sich?
Poesie sei eine Falle, es bestünde immer die Gefahr, ins Belanglose, ins Gefällige abzurutschen, meint Robert Gwisdek im Gespräch mit SWR Kultur. Man könne sich in ihr verlieren, warnt auch Kasimir – deshalb gelte es, die wahre Poesie zu finden, die berührt und womöglich auch weh tut.
„Ein Film von Robert Gwisdek – geschrieben von Käptn Peng“, steht auf dem Kinoplakat. Ist der Film also auch für Gwidesk eine Suche nach sich selbst? „Käptn Peng ist mein Kasimir“ sagt Gwisdek nach der Film-Preview in der Karlsruher Schauburg und lässt damit Spielraum für Interpretationen.
Chiara Höflich: Rising Star am Schauspielhimmel
Und dann kommt Karla. Die junge Frau ist stark und zugleich zerbrechlich, kindlich und weise und bringt Basilio um den Verstand. Die beiden verlieben sich.
Nicht nur metaphorisch vereint Karla vier Teile von sich selbst in einer Person – hervorragend gespielt von Gwisdeks Stieftochter Chiara Höflich.
„Die größte Herausforderung an meiner Rolle war es, vier verschiedene Karlas zu spielen, einen nahtlosen und glaubhaften Switch von einer in die andere Rolle hinzubekommen“, erzählt Chiara Höflich im Gespräch mit SWR Kultur.
Corinna Harfouch als graue Eminenz
Edna, von keiner Geringeren gemimt als Corinna Harfouch, ist die stille Eminenz im Film – eine Art Hyper-Alter-Ego, das beständig strickt und stickt und rauchend das Geschehen rund um die vier Karlas, Basilio und Kasimir beobachtet.
Sie scheint alles zu wissen und Robert Gwisdek beschreibt die Rolle im Interview als eine Form von „Urkraft“: „Jeder Mensch vereint in sich verschiedene Anteile, doch über allem schwebt eine natürliche Logik, ein Lebensinstinkt, eine Lebenskraft, die über das Innere hinausgeht“, erläutert er die Rolle, die von seiner Mutter gespielt wird.
Nur fair: Karla und Basilio teilen sich die Welt
Karla und Basilio heiraten und sind am Ende, eben gerade weil sie eins sind, doch nicht zusammen. Basilio ist der Ansicht, dass ihm die Welt gehört. Da ist es nur logisch, dass er sich diese mit seiner Frau Karla aufteilt.
Herrlich unterhaltsame Dialoge entstehen dadurch: Wem gehören die Treppenhäuser, wem die Stühle und wem die Bäume? Bei aller Tragik, die der Film auch beinhaltet, ist „Der Junge dem die Welt gehört“ auf absurde Weise komisch.
Der Kern des Films ist die Zerrissenheit der Figuren, die Vielschichtigkeit einer jeden Persönlichkeit und die Frage, was zu einem selbst und was zur Umwelt gehört.
Dazu passt, dass „Der Junge dem die Welt gehört“ während der Corona-Pandemie innerhalb von nur dreieinhalb Wochen und ganz ohne Filmförderung in Sizilien gedreht wurde; menschenleere Straßen in Palermo inklusive. Die Ruhe und zugleich künstlerische Freiheit, die dadurch entsteht, ist sehr förderlich für den Film.
Die Bildsprache ist trotz einer gewissen Schwere, die durch das Schwarz-Weiße entsteht, federleicht (Kamera: Fabian Gamper) und wunderschön, die Musik – von Faber, Sophie Hunger und Olicía – hörenswert.
Offene Enden und Fragezeichen gehören zu Robert Gwisdeks Metier
Gwisdeks Langfilmdebüt als Regisseur bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Tragik und Komik. Am Ende geht es um nicht weniger als um Alles: Dieser philosophische Existentialismus ist es auch, der Gwisdeks bisheriges Schaffen kennzeichnete. Das Spüren nach dem wahren Sinn ist sein Metier – offene Enden und Fragezeichen inklusive.
Dennoch sei es keine autobiografische Auseinandersetzung mit seinem eigenen künstlerischen Schaffensprozess. Die einzige Überschneidung sei die „Suche nach dem Ausdruck“, um die sich der Film drehe und die auch ihn als Künstler stets aufs Neue beschäftige, sagt Gwisdek im Gespräch mit SWR Kultur.
Darüber hinaus sei es ihm im Kern um eine wesentlich größere Sache gegangen, nämlich die Erkenntnis, dass jedes Leben wunderbar ist, genau so, wie es ist: „Jedes Leben ist episch, auch wenn du es vielleicht nicht merkst“, sagt der Universalkünstler Robert Gwisdek.
Als Zuschauer ist man versucht, in jede Szene eine tiefere philosophische Ebene hineinzuinterpretieren. Vieles mäandert im Ungefähren. Das ist zugleich eine Stärke und auch die einzige Schwäche des Films: „Der Junge dem die Welt gehört“ lässt viel assoziativen Spielraum und wird wenig konkret.
Wer gern in sich abgeschlossene Geschichten sieht, den wird der Film vermutlich ratlos zurücklassen. Wer aber im Nachhinein an den Kinogang gerne weiterphilosophiert, für den ist der Film ein Muss.
Trailer: „Der Junge dem die Welt gehört“, Kinostart am 2. Mai 2024