Oper

„Die Frau ohne Schatten“ an der Staatsoper Stuttgart – manchmal beglückend, manchmal enervierend

Stand
Autor/in
Bernd Künzig

Sie gilt als das vermeintliche Hauptwerk des Komponisten Richard Strauss und seines Librettisten Hugo von Hofmansthal: die symbolistische Märchenoper „Die Frau ohne Schatten“. Es ist ein kräftezehrendes, alle Möglichkeiten eines Opernhauses herausforderndes Großunternehmen mit Riesenorchester und gewaltigen Stimmanforderungen, dem sich erstaunlicherweise in jüngster Zeit verstärkt die Opernhäuser widmen. So auch die Staatsoper Stuttgart mit einer Neuinszenierung von David Hermann und unter der musikalischen Leitung von Cornelius Meister.

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Kompliziertes Werk

Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthals „Frau ohne Schatten“, von beiden als Gipfelpunkt des gemeinsamen Opernschaffens gedachtes Hauptwerk, ist und bleibt ein problematisches Werk.

Symbolisch überfrachtet, feiert die Oper die Menschwerdung eines Elementar- oder Hybridwesens durch erlernte Empathie und Mutterschaft. Dafür muss sich die Kaiserin schweren Prüfungen unterziehen. Geleitet durch ihre dämonische Amme, soll sie von einer Menschenfrau den Schatten als Symbol der Mutterschaft gewinnen.

Die Lossagung aus dem Geisterreich ihres Vaters Keikobad, die Bewahrung des Kaisers vor Versteinerung und das Mitgefühl mit dem zerstrittenen Ehepaar des Färbers Barak und seiner Frau führen schließlich zur höheren Erlösungsebene des wahren Menschseins. Das ist so kompliziert, rätselhaft wie irritierend.

„Mehr Andeutung als Ausdeutung“

Impressionen aus Strauss' Frau ohne Schatten an der Staatsoper Stuttgart
Simone Schneider (die Kaiserin) meistert ihren Part souverän in den extremen Höhen und Tiefen der Partie.

An der Staatsoper Stuttgart ist Regisseur David Herrmann der szenischen Problemlösung zunächst einmal ausgewichen. Seine Inszenierung ist mehr Andeutung als Ausdeutung: Eine oft statische Umsetzung der szenischen Anweisungen verzichtet auf die Psychologie des ohnehin Schablonenhaften. Demgegenüber steht eine grandiose Bühnengestaltung von Jo Schramm. Die Geisterwelt: das unheimliche Neonlicht einer stylischen Betonvilla.

Die Menschenwelt: eine tempelartige, kuppelförmige Abwasserhalle für das wirklich schmutzige Geschäft der Färberei. Aus den industriellen Abwässern erwächst ein pulsierender Gliederwurm, der von Barak und seinen Brüdern zur Nahrungsaufnahme ausgebeutet wird.

Erinnerung an Ridley Scotts „Alien“ werden wach

Impressionen aus Strauss' Frau ohne Schatten an der Staatsoper Stuttgart
Die tempelartige Abwasserhalle zeigt die Menschenwelt in Strauss' „Frau ohne Schatten“ an der Staatsoper Stuttgart.

Der Geisterbote wird zu einem tierhaft zuckenden Golem als Strippenzieher. Die Erscheinung des Geisterkönigs Keikobad schwebt als farbig leuchtendes und von Lichtblitzen durchzogenes riesiges Facettenauge aus dem Bühnenhimmel.

Damit sind wir in der Welt der Science-Fiction gelandet. Und so umgeht der Regisseur am Ende die bedenklich wirkende Vorstellung einer Menschwerdung durch Mutterschaft. Die Kaiserin bleibt unverändert. Stattdessen ist die Färberin schwanger.

Und auch Kaiser und Barak haben dicke Bäuche. Zu den Stimmen der Ungeborenen verhilft der unheimliche Geisterbote Barak zur Geburt. Es ist ein kleiner, zuckender Wurm. Ridley Scotts dystopischer Science Fiction „Alien“ grüßt nicht gerade aus der Ferne.

Eindrücke aus der Oper

Färberin und Amme in Frau ohne Schatten Stuttgart 2023
Evelyn Herlitzius (links) spielt die Amme, die Partie ist für sie ihre Sternstunde. Bild in Detailansicht öffnen
Impressionen aus Strauss' Frau ohne Schatten an der Staatsoper Stuttgart
Martin Gantner (Barak) überzeugt als warm-lyrischer Bariton. Die Färberin wird von Iréne Theorin gespielt, ist aber durchgängig textunverständlich und darstellerisch ungelenk. Bild in Detailansicht öffnen

Wer singt verständlich?

Geerdet sind die sängerischen Leistungen in Strauss‘ kräftezehrender Partitur. Simone Schneider als Kaiserin singt mit starker Stimme, souverän in den extremen Höhen und Tiefen der Partie. Der Kaiser von Benjamin Bruns ist akkurat schwungvoll. Michael Nagl als Geisterbote ist der Rolle entsprechend unheimlich gut.

Die Färberin der Iréne Theorin ist zu gereift für diese junge Frau, scharf in der Höhe, vor allem aber durchgängig textunverständlich, darstellerisch ungelenk. Ganz anders dagegen Martin Gantner als Barak. Kein lauter, aber warm-lyrischer Bariton, zeigt er, wie textverständlich man Strauss singen kann.

Sternstunde für Evelyn Herlitzius: Die Amme

Eine Sonderklasse in der Partie der Amme ist Evelyn Herlitzius als eine der ganz großen Sängerdarstellerinnen. Die mit Händen greifbare mephistophelische Dämonie der bedingungslosen Fürsorge für die Kaiserin verdankt sie auch ihrer langjährigen Erfahrung mit dieser Oper. Der Abend ist ihre Sternstunde.

Das Staatsorchester spielt fabelhaft. Cornelius Meister hat die Balance fest im Griff, zaubert große Theatermusik und hat kluge Striche in der überreichen Riesenpartitur gesetzt. Die Aufführung ist als Umsetzung eines schwierigen Werkes manchmal beglückend, manchmal enervierend. Jedenfalls eine Herausforderung ersten Ranges, auf der Bühne, im Graben und vor der Bühne.

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Autor/in
Bernd Künzig