Bühne

Mutiges Experiment: Staatstheater Mainz verlegt „Woyzeck“ ins Schlachthaus

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Autor/in
Hannegret Kullmann

Georg Büchners Dramenfragment „Woyzeck“ ist ein Klassiker auf deutschen Bühnen. Die Regisseurin Mirjam Loibl holt das Schauspiel in die Gegenwart und lässt die Hauptfiguren Woyzeck und Marie in einem Schlachtbetrieb arbeiten. Ihr Stück „Woyzeck I Marie“ zeigt eine Pantomime, unterlegt von einer Klang-Collage aus Musik und eingesprochenen Textpassagen. Ein mutiges Experiment, das allerdings nicht zu einem überzeugenden Ergebnis führt.

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Woyzeck - Staatstheater Mainz
Der erste Blick fällt in ein Schlachthaus: Woyzeck, Marie und Andres stecken in weißen Overalls und Gummistiefeln, die Gesichter versteckt hinter Masken, die an Schweine erinnern. Bild in Detailansicht öffnen
Woyzeck - Staatstheater Mainz
Sie schieben schweigend eine Schweinehälfte herein, schütten Wannen mit Tierblut aus und wühlen in Gedärm. Bild in Detailansicht öffnen
Woyzeck - Staatstheater Mainz
Woyzeck verliert den Kampf gegen seinen Konkurrenten, den Tambourmajor. Bild in Detailansicht öffnen
Woyzeck - Staatstheater Mainz
Marie lässt sich auf eine Affäre mit dem Tambourmajor ein. Bild in Detailansicht öffnen
Woyzeck - Staatstheater Mainz
Das Bühnenbild gleicht einem großen Regal mit vier Fächern. So können viele Szenen gleichzeitig spielen oder ineinandergreifen. Bild in Detailansicht öffnen

Schuften an Schweinehälften, Tierblut und Gedärm

Der erste Blick fällt in ein Schlachthaus: Woyzeck, Marie und Andres stecken in weißen Overalls und Gummistiefeln, haben grell-grüne Arbeitshandschuhe an, die fast bis zu den Achseln reichen. Die Gesichter versteckt hinter Masken, die an Schweine erinnern.

Sie schieben schweigend eine am Haken hängende Schweinehälfte herein, schütten Wannen mit Tierblut aus und wühlen in Gedärm – alles quälend langsam, so dass man schon befürchtet, dass dies eine Inszenierung ganz ohne Worte sein könnte.

Woyzeck - Staatstheater Mainz
Sie schieben schweigend Schweinehälfte herein, schütten Wannen mit Tierblut aus und wühlen in Gedärm.

Vorproduzierte Dialoge erklingen entrückt aus dem Off

Erst nach 18 Minuten sind die ersten Worte zu hören. Der Dialog zwischen Franz Woyzeck und seiner Geliebten Marie klingt leise und entrückt. Er wird nicht live auf der Bühne gesprochen, sondern kommt vorproduziert aus dem Off, wie alle Texte und Lieder an diesem Abend, begleitet von angedeuteten Gesten der Schauspielerinnen und Schauspieler.  

Fokus auf prekäre Arbeit

Regisseurin Mirjam Loibl holt Büchners Woyzeck in die Gegenwart und fokussiert auf prekäre Arbeit. Marie und Woyzeck schuften in der Fleischfabrik, genauer gesagt beim real existierenden umstrittenen Fleischproduzenten Tönnies.

Und hier verdingt sich Woyzeck auch als Versuchsperson, indem er sich ausschließlich von rohem Fleisch ernährt. Das Paar hat kein uneheliches Kind wie in Büchners Original, dafür erlebt Marie zwei grauenhafte Abtreibungen und sucht Trost in einem Wiegenlied.

Ein Langer Fluss aus Gebärden, Klang-Teppichen und Textfetzen

Das Bühnenbild gleicht einem großen Regal mit vier Fächern. So können viele Szenen gleichzeitig spielen oder ineinandergreifen. Die Inszenierung wird dadurch zu einem langen ruhigen Fluss aus Gebärden und manchmal fast schon Tanz.

Darunter ein Klang-Teppich, der elektronische Minimal-Music mit Textstücken verwebt. Der Hauptmann alias Firmenchef Clemens Tönnies mokiert sich darüber, dass Woyzeck immer in Eile ist.

Woyzeck - Staatstheater Mainz
Das Bühnenbild gleicht einem großen Regal mit vier Fächern. So können viele Szenen gleichzeitig spielen oder ineinandergreifen.

Ohne das gesprochene Wort wirkt das Drama seltsam blutleer

Regisseurin Mirjam Loibl zeigt in 80 entschleunigten Minuten, wie Woyzeck ausgebeutet und gedemütigt wird, bis er zum Gewalttäter wird. Ein spannender Stoff, doch die Inszenierung bleibt blass, nimmt sie doch den Schauspielerinnen und Schauspielern ihre elementaren Ausdrucksmöglichkeiten: Ohne Mimik wegen der Masken und vor allem ohne das gesprochene Wort auf der Bühne wirkt das Drama - obwohl es in einem Schlachthaus spielt - seltsam blutleer.

Was bleibt, ist der dringende Wunsch, den "Woyzeck" im Original zu lesen. Ein Text, der auch nach knapp 200 Jahren eine unglaubliche Kraft und Gültigkeit hat. 

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Autor/in
Hannegret Kullmann