Ermittlungen werden schwieriger

Zwangsprostitution: Wie die Polizei Trier gegen Menschenhändler vorgeht

Stand

Von Autor/in Christian Altmayer

Auch in der Region Trier werden Frauen Opfer von Menschenhändlern. Die Fälle aufzudecken, ist aber nicht leicht. Auch, weil sich Prostitution zunehmend im Verborgenen abspielt.

Bei einer Polizeikontrolle in einem Trierer Bordell trifft Mario Lahn die junge Kate zum ersten Mal. Der Ermittler ist seinerzeit einem Hinweis gefolgt. In dem Bordell sollte seit drei Wochen eine afrikanische Frau arbeiten, die sich nicht ausweisen kann. "Da lag also die Vermutung nahe, dass da was nicht stimmt", sagt Lahn, der heute die Trierer Mordkommission leitet. Damals, 2016, wissen weder er noch die Nigerianerin, was die Begegnung ins Rollen bringen wird.

Mario Lahn, der Leiter der Trierer Mordkommission, ist stolz darauf, dass durch seine Hilfe eine kriminelle Zuhälterin aus Nigeria gefasst werden konnte.
Mario Lahn, der Leiter der Trierer Mordkommission, ist stolz darauf, dass durch seine Hilfe eine kriminelle Zuhälterin aus Nigeria gefasst werden konnte.

Es ist nur der Anfang einer abenteuerlichen Geschichte um Menschenhandel und Voodoo, um einen geköpften Hahn und Ermittlungen, die die Polizisten von Trier über Nigeria nach England führen. "Das war sicherlich eines der interessantesten Verfahren meiner Karriere", sagt Lahn.

Dass der Fall bei ihm Eindruck hinterlassen hat, zeigen die Zeitungsartikel an der Wand seines Büros. Eine Schlagzeile aus dem britischen Boulevard-Blatt "The Sun" fällt dabei ins Auge: "Voodoo Witch sold sex slaves". Auf Deutsch: Voodoo-Hexe hat Sex-Sklaven verkauft.

Trierer Hinweis führt zu Verhaftung von Zuhälterin

Der Fall um die Frau, die von den Prostituierten nur "Madam" genannt wurde, hat vor allem in England für Furore gesorgt. 2018 hatte der Birmingham Crown Court die in London lebende Nigerianerin verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die gelernte Krankenschwester mehrere junge Frauen nach Europa geschleust hat, um sie als Zwangsprostituierte auszubeuten. Darunter auch Kate aus dem Bordell in Trier. Aufgedeckt haben das Mario Lahn und sein Team.

Dieser Zeitungsartikel aus der "Sun" hängt im Büro von Mario Lahn in Trier. In England machte der Fall Schlagzeilen.
Dieser Zeitungsartikel aus der "Sun" hängt im Büro von Mario Lahn in Trier. In England machte der Fall Schlagzeilen.

Kate hat Angst, mit der Polizei zu reden

Als Kate den Polizisten bei der Kontrolle 2016 nur eine Kopie ihres Ausweises vorlegen kann, nehmen die Polizisten sie mit ins Präsidium. "Bei der Vernehmung haben wir gemerkt, dass sie große Angst hat, sie war eingeschüchtert und hat die ganze Zeit nach unten geschaut", erinnert sich Lahn. Also bringen die Beamten sie erstmal in ein Frauenhaus.

Sie halten aber Kontakt, fragen immer wieder bei den Mitarbeiterinnen nach, ob die Nigerianerin doch mit den Ermittlern sprechen will. Und nach zwei Monaten dann: der Durchbruch. Kate erzählt ihre Geschichte. "Sie stammte aus ganz armen Verhältnissen in Nigeria und wollte nach Europa, um Geld für ihre Familie zu verdienen", erinnert sich Lahn. Sie habe sich dann auf der Straße umgehört und von einer "Madam" erfahren, die Frauen nach Deutschland schleust.

Menschenhändlerin hat Frauen mit Voodoo eingeschüchtert

Dass diese "Madam" sie in die Zwangsprostitution treiben wird, ahnt sie da noch nicht. Und auch nicht, dass sie dafür ihren Voodoo-Glauben ausnutzen wird. Nach einem ersten Treffen führt die Krankenschwester die junge Frau zu einem Schrein. Gehüllt in ein weißes Leichentuch wird sie einem Priester präsentiert. Der zieht sie aus und köpft einen Hahn. Er bespritzt sie mit dem Blut und bringt sie dazu, das Herz des Tieres zu essen.

Dabei muss sie schwören, der "Madam" zu gehorchen und nicht mit der Polizei zu sprechen. Andernfalls würde sie krank werden oder sogar sterben. "Dieses Ritual hat die junge Frau verstört", sagt Lahn. Letztlich ringt sie sich aber doch dazu durch, der Polizei die Handynummer und Kontodaten ihrer Zuhälterin zu geben. Kurz darauf gelingt es englischen Polizisten, die Frau auf einem Flughafen zu verhaften.

Achtzehn Fälle von Menschenhandel im vergangenen Jahr

Dass das gelungen ist, ist ein Ermittlungserfolg gegen Menschenhändler, wie er Polizisten in Rheinland-Pfalz selten gelingt. Die Trierer Polizei hat im vergangenen Jahr in jeweils einem Fall von Menschenhandel und einem Fall von Zwangsprostitution ermittelt. In ganz Rheinland-Pfalz gab es laut Landeskriminalamt achtzehn Delikte. Das Landeskriminalamt geht aber von einem großen Dunkelfeld aus. Viele Fälle würden der Polizei gar nicht bekannt, so ein Sprecher: "Die gemeldeten Fallzahlen können bestenfalls einen Anhaltspunkt über die tatsächlichen Verhältnisse darstellen."

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Prostitution verlagert sich von Bordellen in Wohnungen

Und für die Beamten ist es sogar schwieriger geworden, solche Fälle aufzudecken. Denn zum einen handelt es sich bei den Tätern laut Landeskriminalamt überwiegend um organisierte Kriminelle, die international tätig sind - und daher schwer zu fassen.

Hier geht es zu einem der wenigen noch geöffneten Bordelle in Trier. Früher war die Stadt an der Grenze eine Rotlichthochburg. Denn in den Nachbarländern Luxemburg und Frankreich ist Prostitution verboten.
Hier geht es zu einem der wenigen noch geöffneten Bordelle in Trier. Früher war die Stadt an der Grenze eine Rotlichthochburg. Denn in den Nachbarländern Luxemburg und Frankreich ist Prostitution verboten.

Und zum anderen hat sich die Prostitution seit Corona verlagert, wie es beim Landeskriminalamt heißt. Wegen Ansteckungsgefahr waren die Bordelle und Bars während der Pandemie gut zwei Jahre lang geschlossen. Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter mussten ausweichen. Heute bieten viele ihre Dienste immer noch in Wohnungen und Hotels an.

In der einstigen Rotlichthochburg Trier gibt es kaum noch Bordelle. Für die Ermittler ist die Lage daher unübersichtlicher geworden. Eine Razzia in einem Bordell ist leichter zu organisieren als Kontrollen in vielen Wohnungen. "Wir müssten die Wohnungen erstmal identifizieren und dann Zugriffsrechte bekommen", sagt Lahn.

Sexarbeiterin kritisiert Prostituiertenschutzgesetz

"Die Polizisten erreichen die Frauen gar nicht mehr", meint die Sexarbeiterin Nicole Schulze, die in der Nähe von Trier in einem Wohnwagen arbeitet. Schuld daran, dass viele ihrer Kolleginnen lieber in privaten Wohnungen tätig sind, sei nicht nur die Pandemie, sondern auch das sogenannte Prostituiertenschutzgesetz von 2017, sagt sie.

Nicole Schulze ist Landessprecherin des Berufsverbandes "Erotische und sexuelle Dienstleistungen". Die Sexarbeiterin bietet ihre Dienste in einem Wohnwagen in der Nähe von Trier an.
Nicole Schulze ist Landessprecherin des Berufsverbandes "Erotische und sexuelle Dienstleistungen". Die Sexarbeiterin bietet ihre Dienste in einem Wohnwagen in der Nähe von Trier an.

Das Gesetz sollte die Arbeit für Schulze und ihre Kolleginnen eigentlich sicherer machen. Doch das Gegenteil sei der Fall. Sexarbeiterinnen würden in die Illegalität gedrängt und damit in Gefahr gebracht. Denn das Gesetz verpflichtet Prostituierte, sich mit einem Ausweis samt Foto und Namen zu registrieren.

Viele Sexarbeiterinnen sind nicht registriert

"Wir müssen dafür beim Gesundheitsamt und beim Ordnungsamt vorstellig werden", sagt Schulze. Für Sexarbeiterinnen sei es aber unheimlich unangenehm. Sie hätten Angst, "sich zu outen". Schulze schätzt, dass etwa ein Fünftel ihrer Kolleginnen deshalb keinen Ausweis beantragt hat und nun illegal arbeitetet.

Der Ausweis von Nicole Schulze sieht aus wie ein Fahrzeugschein. Tatsächlich braucht sie ihn, um nachzuweisen, dass sie sich als Sexarbeiterin registriert hat.
Der Ausweis von Nicole Schulze sieht aus wie ein Fahrzeugschein. Tatsächlich braucht sie ihn, um nachzuweisen, dass sie sich als Sexarbeiterin registriert hat.

Und wer illegal arbeitet, arbeitet im Verborgenen. Dort, wo der Staat nicht so genau hinschaut. Das mache es Menschenhändlern und kriminellen Zuhältern leichter, Frauen auszubeuten. Schulze schlägt daher vor, dass die Politik den gegensätzlichen Weg geht: "Sexarbeit darf nicht mehr tabuisiert werden, sie muss ins Licht der Öffentlichkeit." Nur das schaffe Sicherheit.

LKA arbeitet mit vielen Partnern zusammen

Um den Betroffenen zu helfen, arbeiten das Landeskriminalamt und die Polizeipräsidien im Land mit Hilfsorganisationen, Beratungsstellen und Verbänden zusammen. Die Beamten vermitteln Betroffenen medizinische Versorgung, anwaltliche Beratung, finanzielle Unterstützung, psychosoziale Beratung und - wenn es sein muss - Plätze in einem Frauenhaus. Zusätzlich gibt es eine anonyme und kostenlose Hotline des Landeskriminalamtes für Opfer von sexueller Ausbeutung.

Kate jedenfalls geht es gut. Und auch den anderen Frauen, die die "Madam" nach Deutschland geschleust hat. "Sie leben alle noch hier, arbeiten aber nicht mehr in der Prostitution", sagt Mario Lahn. Für ihn: ein persönlicher Erfolg.

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