"Das Wichtigste an unserer Arbeit ist, dass wir zu den Frauen hingehen, sie bei ihrer Arbeit aufsuchen", sagt Miriam Toursel. Die 34-jährige Sozialarbeiterin hat die Beratungsstelle "selma" mit aufgebaut und weiß, wie unverzichtbar dieser Teil ihres Angebotes ist.
"Wir gehen in die Bordelle, machen dort unser Angebot bekannt und bieten Hilfe und Unterstützung an." Denn von alleine kommen die wenigsten Frauen.
Bordellbesitzer sehen Kontaktaufnahme nicht gern
Aktuell gibt es drei von der Stadt genehmigte Prostitutionsstätten in Mainz: zwei Bordelle, in denen jeweils sieben Frauen arbeiten, und eine Terminwohnung mit drei Frauen. Oft können die Mitarbeiterinnen von "selma" dort nur ihre Kontaktdaten hinterlassen.
Denn die "Hausdamen" oder Bordellbesitzer sehen es nicht gerne, wenn ihre Frauen durch längere Beratungsgespräche von der Arbeit abgehalten werden, berichtet die Sozialarbeiterin. Und auch die Frauen selbst scheuen davor zurück - schließlich sind sie ja dort, um Geld zu verdienen.
Viele Prostituierte haben gar keinen Bezug zu Mainz
Es sei schwer, Zugang zu den Frauen zu bekommen, sagt Toursel: "Da ist sehr viel Zurückhaltung zu spüren." Hinzu komme, dass die Frauen in der Prostitution häufig wechselten. Während sie in Mainz seien, lebten sie meist in denselben Räumlichkeiten, in denen sie arbeiten.
"Viele haben gar keinen Bezug zu Mainz, kennen sich in der Stadt nicht aus." In solchen Fällen treffen Miriam Toursel und ihre Kolleginnen die Frauen auch an einem Ort ihrer Wahl oder holen sie dort für Beratungsgespräche ab.
Kontakt zu Prostituierten meist über Online-Portale
Toursel vermutet, dass viel Prostitution in Mainz im Verborgenen stattfindet. Während es vor der Corona-Pandemie noch sieben Prostitutionsstätten in der Stadt gab, sind es jetzt nur noch die genannten drei.
Das heiße aber nicht, dass es weniger Prostitution in Mainz gebe, sondern nur, dass sie verdeckter ablaufe. Und so kommen die weitaus meisten Kontakte von "selma" auch über Online-Anzeigen der Betroffenen zustande.
Die Sozialarbeiterinnen schauen sich die einschlägigen Seiten an und schreiben Frauen an, die Mainz als Ort angegeben haben. Über diese Form des "digitalen streetwork" haben die Beraterinnen seit März schon gut 100 Frauen angeschrieben, so Toursel. Und einige hätten das Beratungsangebot auch angenommen.
Kein Anspruch auf Sozialleistungen
Häufig haben die betroffenen Frauen gesundheitliche Fragen. Die wenigsten sind krankenversichert. Da gehe es dann beispielsweise darum, sie an kostenlose Angebote anzubinden, die etwa das Gesundheitsamt bietet oder der Verein "Armut und Gesundheit in Mainz". Diese Hilfe sei dringend nötig, sagt die Sozialarbeiterin.
Denn viele Frauen in diesem Gewerbe seien in sehr prekären Lebenssituationen, sagt Toursel: "Die Frauen kommen aus EU-Nachbarländern nach Deutschland, arbeiten hier im Niedriglohnsektor, wie eben in der Prostitution, haben aber keinerlei Ansprüche auf Sozialleistungen."
Sobald sie krank seien, müssten sie Schulden machen, weil sie alle Kosten, etwa für Medikamente, privat tragen müssten. Für die Betroffenen bedeute das häufig, dass sie keine Alternative hätten, als arbeiten zu gehen.
Miriam Toursel findet das schwer zu akzeptieren. "Wenn ich krank bin, eine Blasenentzündung, eine Erkältung oder meine Periode habe und es geht mir schlecht, dann kann ich zuhause bleiben und mich auskurieren. Wenn Frauen in den Bordellen sich aus einem solchen Grund entscheiden nicht zu arbeiten, sind sie im Prinzip direkt obdachlos. Sie bezahlen ja die Tagesmiete. Und wenn sie sich nicht prostituieren, können sie die Miete nicht bezahlen und haben keinen Platz zum Schlafen."
Oft wissen die Familien nichts von der Tätigkeit
Man dürfe sich die Frauen nicht als selbstbewusste stolze Sexarbeiterinnen vorstellen, sagt Toursel. Bei den meisten spüre man sehr viel Scham und Hoffnungslosigkeit. Bei vielen, die aus dem Ausland kommen, wüssten die Familien nicht, welcher Tätigkeit sie hier nachgehen, um dann Geld in die Heimat schicken zu können. Es herrsche nach wie vor eine große Stigmatisierung in dem Bereich.
Deshalb ist es auch kaum möglich, für ein Interview mit einer der betroffenen Frauen selbst ins Gespräch zu kommen. Miriam Toursel kann das gut verstehen: "Das ist eine Situation, in der man sich sehr verletzlich fühlt und damit natürlich auch nicht gerne in die Öffentlichkeit tritt."
Unterstützung auch beim Ausstieg aus der Prostitution
Immerhin: Drei Frauen kommen zurzeit regelmäßig in die Beratungsstelle und sind dort fest angebunden. Sie haben sich entschieden aus dem Gewerbe auszusteigen oder haben das bereits geschafft und brauchen nun weitere Unterstützung. In diesen Fällen hilft "selma" beispielsweise Anträge auf Sozialleistungen zu stellen, bis die Frauen ihre Existenz auf andere Weise allein bestreiten können.
Der Name "selma" bedeutet übrigens: Selbstermächtigt leben in Mainz. Und das ist auch das Ziel. Dass die Frauen selbst über ihr Leben bestimmen - egal, ob sie in der Prostitution arbeiten oder woanders.