Für Martin Koch sind 60-Stunden-Wochen normal. Seinen sechsjährigen Sohn sieht der junge Winzer aus Hahnheim (Kreis Mainz-Bingen) viel zu wenig, sagt er. Zusammen mit seiner Familie betreibt Koch das Weingut Abthof. Er verkauft selbstabgefüllte Weine. Aber er liefert auch Fasswein an Kellereien - zu Preisen, die seine Produktionskosten nicht decken. Das heißt im Klartext: Für seine Arbeit an den Fassweinen bekommt er kein Geld. "Da brauche ich gar nicht anfangen, eine Kalkulation zu machen", sagt Koch. "Für 60 Cent pro Liter, das funktioniert nicht."
Viele Winzer in Rheinhessen und der Pfalz arbeiten in diesem Jahr umsonst
Die Winzer im Land, die Fasswein herstellen und an die Kellereien liefern, sind besonders von den niedrigen Weinpreisen betroffen. Dabei handelt es sich um mindestens jeden zweiten Weinbauern in Rheinland-Pfalz, sagt Weinbau-Experte Jürgen Oberhofer vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz.
Nach Angaben des pfälzischen Weinbaupräsidenten Reinhold Hörner bekommen die Winzer für ihren Fasswein momentan fast um die Hälfte weniger, als noch im vergangenen Jahr. "Sie kriegen je nach Sorte nur etwa 50 Cent für einen Liter, bräuchten aber einen Euro, um ihre Kosten zu decken", sagt der Weinbaupräsident. "Und dann wäre noch nichts gewonnen." Wenn die Winzer ihren Wein überhaupt loswerden, denn viele Kellereien hätten noch Wein aus dem vergangenen Jahr und würden kaum neuen Wein einkaufen, berichtet Hörner.
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Weinpreise sind für Weinbauer im Norden von RLP dramatisch
Auch im Norden des Landes ist die aktuelle Situation für die Winzer schwierig. Maximilian Hendgen vom Bauern- und Winzerverband bestätigt: "Die aktuellen Preise sind für die Betriebe wirklich ein Drama." Die Inflation und auch der höhere Mindestlohn hätten "richtig reingehauen". Auch er ist der Meinung, dass die rheinland-pfälzischen Weine noch zu günstig sind, um alle Kosten zu decken.
Die Winzer könnten aber auch nicht ständig ihre Preise erhöhen, sagt Hendgen. "Ist der Preis zu hoch, wandert der Kunde ab." Dann würden die Winzer vielleicht noch weniger einnehmen als sowieso schon.
Weintrinker kaufen vermehrt günstigen Wein aus dem Ausland
Für die Winzer in ganz Rheinland-Pfalz kommt ein weiteres Problem hinzu: die Konkurrenz aus dem Ausland. "Der Wettbewerbsdruck ist groß", sagt Ernst Büscher, Sprecher beim Deutschen Weininstitut in Bodenheim. Denn viele Weintrinker würden mittlerweile eher Wein aus Italien, Spanien oder Ungarn kaufen, der im Schnitt rund 75 Cent günstiger ist. Das führe dazu, dass viele Winzer auf ihren Weinen sitzen bleiben.
Der ausländische Wein wird entweder online gekauft oder bei den Discountern. Im Supermarkt ist laut Maximilian Hendgen zunächst der Preis kaufentscheidend; danach das Etikett und zuletzt die Rebsorte oder bekannte Begriffe aus dem Marketing wie "Primitivo".
Junge Generation trinkt weniger Alkohol
Aber nicht nur der Wettbewerb setzt die Weinbauer unter Druck - der Weinabsatz sinkt weiter, es wird immer weniger Wein getrunken, sagt Ernst Büscher. Denn bisher war die Boomer-Generation der kaufkräftigste Abnehmer. Laut Carolin Groß vom Ahrwein Verein im Ahrtal haben die heute 50- bis 70-Jährigen ihren Wein vor allem beim Winzer vor Ort gekauft: Im Kurzurlaub hätten sie sich die Arbeit der Weinbauern zeigen lassen und seien dann mit einem Kofferraum voller Weinkisten nach Hause gefahren.
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Im Weinanbaugebiet Mosel beginnt demnächst die Rieslinglese. Schon jetzt ist klar, dass die Winzer sehr wenig Wein im Keller haben werden. Das könnte Existenzen gefährden.
Für den Wein seien sie auch bereit gewesen, etwas mehr zu zahlen, nachdem sie gesehen hätten, wie viel Arbeit in jeder Flasche steckt. "Wenn ich den Wein im Einzelhandel oder im Internet kaufe, fehlt diese Information und Wertschätzung", sagt Groß.
Im Gegensatz dazu habe die jüngere Generation weniger Bezug zum Wein und trinke generell weniger Alkohol, sagt auch Maximilian Hendgen. Sie kaufen deshalb vermehrt auch alkoholfreie Weine. Einige Winzer erweitern ihr Sortiment deshalb um alkoholfreie Produkte, allerdings seien diese teurer in der Produktion.
Besonders Winzer in Steil- und Hanglagen haben es schwer
Besonders schwierig ist es für Winzer, die in Steil- oder Hanglagen anbauen: Vor allem sie haben mit besonders hohen Produktionskosten zu kämpfen. Nach Ansicht von Johannes Müller vom Familienweingut Matthias Müller in Boppard ergibt ein solcher Weinanbau rein betriebswirtschaftlich betrachtet zwar wenig Sinn. Aber wenn Winzer und Verbraucher wertschätzen, wie wertvoll jede einzelne Flasche sei, dann sei der Steillagenanbau rentabel.
Winzer Thomas Ludwig aus Thörnich an der Mosel baut seinen Wein sowohl in der Steillage als auch in der Ebene an. "Dadurch kann man deutlich günstiger produzieren", sagt er. Durch diese Mischkalkulation könnten die Kosten der Steillagen abgemildert werden. Die Preisgestaltung funktioniert seiner Meinung nach schon lange nicht mehr. Winzer könnten bei gestiegenen Kosten nicht einfach den Preis pro Flasche hoch schrauben. Denn die Preise diktiere mittlerweile der Handel.
Verbraucher sollen mehr heimischen Wein kaufen
Die Sorgen der Winzer sind groß - das merkt auch Jürgen Oberhofer vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz. Er berät Winzer, wenn sie beispielsweise überlegen, ihren Betrieb aufzugeben. Bei ihm melden sich so viele Weinbauer wie noch nie, sagt er. Er befürchtet, dass viele Weinbauflächen in den nächsten zehn Jahren verschwinden werden, insbesondere in den Steillagen. "Das Landschaftsbild in Rheinland-Pfalz wird sich so verändern, wie wir uns das noch nicht vorstellen können", sagt Oberhofer.
Wenn Wein auf Dauer nicht mehr kostendeckend produziert werden könne, müssten Flächen aus der Produktion genommen werden - da ist sich Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut sicher. Das sei für viele Winzer existenzgefährdend. Deshalb sieht er die Verbraucher in der Pflicht: "Wir hoffen, dass die Verbraucher bereit sind, 75 Cent mehr pro Liter Wein auszugeben, um die heimische Weinwirtschaft zu unterstützen."