"Ich habe selbst nicht verstanden, dass ich krank bin und eigentlich Hilfe benötige. Ich habe mich immer weiter geschleppt, immer weiter geschleppt. Bis es dann wirklich gar nicht mehr ging. Es wurde immer schwieriger, morgens aufzustehen. Es wurde immer schwieriger, irgendeinen Sinn in Tätigkeiten zu finden. Es war praktisch unmöglich, Freude zu empfinden. Und es war einfach alles schwer. Es war alles zu viel". So beschreibt Daniel Kuß seine Depression. Der 43-Jährige lebt im Westerwald, auf dem Land. Dort, wo es immer noch schwierig ist, sich als Mann zu der Krankheit zu bekennen. Bei ihm kam auch noch Druck aus dem direkten Umfeld hinzu, die Familie ist in der Region bekannt, hatte einen Betrieb.
Er hätte sich deutlich früher Hilfe suchen müssen, sagt Daniel Kuß heute. "Das Problem dabei ist, zu erkennen, dass man Hilfe braucht. Und das war in unserer Familie nicht unbedingt gerne gesehen."
Diagnose Depression bei 455.000 Menschen in RLP
Mehr als jede oder jeder Zehnte in Deutschland ist von Depressionen betroffen. Bei insgesamt 9,49 Millionen Menschen in Deutschland wurde laut dem AOK-Gesundheitsatlas im Jahr 2022 eine Depression diagnostiziert. Das entspricht einem Anteil von 12,5 Prozent in der Bevölkerung. Dieser Wert nimmt seit 2017 stetig zu. Im Jahr 2022 waren in Rheinland-Pfalz 455.000 Menschen ab dem zehnten Lebensjahr an einer Depression erkrankt. Der Anteil an der Bevölkerung lag bei 12,2 Prozent.
Mehr Männer mit Depressionen krankgeschrieben
Die Zahl der Männer, die wegen einer Depression krankgeschrieben sind, hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Das geht aus Statistiken der Krankenkassen hervor. Nach Zahlen der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) ist der Anteil derer, die mit psychischen Problemen im Job ausfallen, im ersten Halbjahr 2024 so hoch wie nie. Fast 40 Prozent der Fehltage insgesamt gehen auf die Diagnose Depression zurück.
Andere Symptome bei Männern mit Depression
Fünf von 100 Männern werden laut Statistiken depressiv. Bei Frauen liegt die Zahl doppelt so hoch. Trotzdem ist die Suizidrate bei Männern dreimal höher. Experten gehen davon aus, dass die Krankheit bei ihnen oft übersehen wird, weil sie gerade am Anfang der Depression andere Symptome haben. Auch der Landauer Psychotherapeut Thomas Flocken geht von einer Dunkelziffer aus. Die Suizidzahlen geben nach seiner Ansicht einen Hinweis darauf, dass Männer häufig durchs Raster fallen. "Es gibt viel mehr Männerdepression als diagnostiziert ist. Suizid ist einfach die größte tödliche Gefahr einer depressiven Erkrankung."
Auch Flocken sieht, ähnlich wie Daniel Kuß, tradierte Rollenbilder als eine Ursache dafür, dass Männer sich mit der Diagnose Depression schwerer tun. "Das klassische Rollenbild ist, ich muss die Führung übernehmen. Ich muss Leistungen bringen. Sprüche wie 'Ein Indianer kennt keinen Schmerz' sind tief verankerte und verwurzelte Sätze, die wir uns zu eigen machen als Männer und denken, wir müssen den Laden irgendwie zusammenhalten, bis es eben gar nicht mehr geht."
Zu wenig Therapiemöglichkeiten bei Depressionen
In Rheinland-Pfalz kommen statistisch gesehen 32 Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten auf 100.000 Einwohner. Kinder- und Jugendpsychiater sind da bereits eingerechnet. Das ist deutlich zu wenig, sagt die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz (KV). Und es liege - anders als etwa beim Haus- oder Facharztmangel - nicht daran, dass es keine qualifizierten Bewerber gebe. Grund ist laut KV die Bedarfsplanung, die seit Anfang der 1990er Jahren gilt und dringend reformierungsbedürftig ist. Darin ist geregelt, wer sich in welchen Gebieten niederlassen darf. Sind alle Sitze vergeben, sind Neuniederlassungen nicht möglich.
Der zuständige Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Rheinland-Pfalz hat im Frühjahr 2024 zwölf neue psychotherapeutische Sitze im Land genehmigt. Nach Ansicht der KV ist der Bedarf deutlich höher - es fehlten immer noch rund 200 Sitze.
Auch der Landauer Psychotherapeut Thomas Flocken spricht von einer Unterversorgung im Land. "Es gibt immer mehr Menschen, die Therapie benötigen. Die Anzahl an Therapeuten, die dazu kommen, und die Anzahl an Menschen, die Hilfen benötigen, sind im Ungleichgewicht." Wenn sich jemand entschlossen habe, tatsächlich Hilfe zu suchen, sei die Schwelle, um diese Hilfe auch zu bekommen, sehr groß. "Also, man muss sehr viele Therapeuten abtelefonieren, bekommt ganz viele Absagen." Und in einer depressiven Phase sei das noch ein Nackenschlag, so Flocken.
Einigung von KV und Krankenkassen nötig
Bei der Frage, warum es nicht mehr Sitze für Therapeutinnen und Therapeuten gibt, spielt die Politik den Ball zurück zu den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung. Diese müssten darüber verhandeln, so der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD). Die Anzahl der Sitze, der Niederlassungen im Kassenbereich, das sei eine Angelegenheit der Selbstverwaltung. "Die Therapeuten wären da. Was es braucht, ist eine Einigung von KV und Kassen, dass man es endlich macht", sagt Hoch im Gespräch mit dem SWR. Er verweist auf das Instrument "Sonderbedarfszuweisungen". Das habe es zum Beispiel im Ahrtal ermöglicht, nach der Flutkatastrophe mehr Zulassungen zu bekommen.
Daniel Kuß hat einen Weg zurück aus seiner Depression gefunden. Er hat sich zum Genesungsbegleiter fortgebildet und einen neuen Job angetreten, in dem er anderen helfen kann, sich nach einer Krankheit wieder zurechtzufinden. Er wünscht sich mehr Mut im Umgang mit dem Thema Depression. "Gerade in dieser heutigen Gesellschaft finde ich eine Stärke, sich dem zu stellen und zu sagen: Ja, ich bin betroffen, ich brauche Hilfe." Er will mit dem Thema offen umgehen, um anderen Betroffenen Mut zu machen, diesen Weg zu gehen.