Junge Menschen haben bei der Europawahl vor allem rechten Parteien und Kleinparteien ihre Stimme gegeben

Analyse zum Wahlverhalten

Europawahl: Die Jugend wählt mehr rechts - und doch so wie immer

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Autor/in
Tim Stobbe
Tim Stobbe ist Redakteur bei SWR Aktuell in Rheinland-Pfalz

Junge Menschen wählen bei der Europawahl extrem: Rechte Parteien wie AfD und Kleinparteien im gesamten Spektrum - und der Aufschrei ist groß. Doch ist dieses Ergebnis wirklich eine Überraschung?

In der Vergangenheit wählten junge Menschen eher im linken Spektrum der politischen Landschaft, eher progressive statt konservative Parteien. Mit vielen Stimmen für Klein- und Kleinstparteien haben sie das auch weiterhin getan.

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Bei dieser Europawahl sind jedoch viele Stimmen an rechte und konservative Parteien gegangen. Die Empörung ist plötzlich groß, der Einfluss von Apps wie TikTok (und Parteien wie der AfD, die dort verstärkt vertreten sind) wird angeprangert.

Erfolg für Rechte dank Social Media - ist das nicht etwas kurz gedacht?

Dass rechtskonservative bis (mindestens in Teilen) rechtsextreme Parteien wie die AfD in Deutschland und Europa bei jungen Menschen relativ weit vorn liegen, ist eigentlich keine Überraschung. Die Studie "Jugend in Deutschland", veröffentlicht im April dieses Jahres, zeigte bereits, dass die junge Generation düster in die Zukunft blickt - und Parteien wie die AfD es schaffen, davon zu profitieren.

Das Potenzial für rechtspopulistische Einstellungen in der jungen Generation hat sich verstärkt, wie ein Vergleich mit früheren Studien zeigt. "Wir können von einem deutlichen Rechtsruck in der jungen Bevölkerung sprechen. Das schlägt sich in den politischen Präferenzen der 14- bis 29-Jährigen nieder. Während die Parteien der Ampel-Regierung in der Gunst immer weiter absinken, hat die AfD besonders großen Zulauf", resümiert Studien-Mit-Autor Klaus Hurrelmann.

Viele Stimmen für CDU und AfD - so haben nicht nur junge Menschen bei der Europawahl abgestimmt, sondern auch die gesamte Wählerschaft bei der Kommunalwahl in Rheinland-Pfalz. Dazu ein Kommentar von SWR-Redakteur Dirk Rodenkirch:

Expertin: Stärke der AfD beobachten wir schon lange

Von dem Wahlergebnis ebenso wenig überrascht ist Politikwissenschaftlerin Anna-Sophie Heinze von der Universität Trier. "Die Stärke der AfD bei den Wahlen beobachten wir schon lange, das hat sich abgezeichnet", sagt sie und wirft ein: "Dass das Ergebnis bei jungen Wählerinnen und Wählern so heterogen ist, ist hingegen sehr bemerkenswert."

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28 Prozent ihrer Stimmen gingen an Klein- und Kleinstparteien, in Grafiken meist zusammengefasst unter "Andere". Damit sind "Andere" sozusagen die am häufigsten gewählte Partei bei den jungen Menschen zwischen 16 und 24 Jahren, CDU und AfD folgen dahinter mit 17 und 16 Prozent.

Junge wählen links und grün - nur nicht die Linke und die Grünen

Viele junge Menschen hätten nicht konservativ oder rechts gewählt, sondern linke, liberale und grüne Parteien - nur halt nicht die etablierten großen Parteien, sondern die kleinen, sagt Politikwissenschaftlerin Heinze. Beispiele dafür sind vor allem Volt, aber auch Die Partei und die Tierschutzpartei.

Ich sehe keine massive Bewegung der Jugend nach rechts.

Die 17 Prozent, mit denen die Jungwähler und -wählerinnen für die AfD gestimmt haben, entsprechen dem altersunabhängigen Bundesergebnis (15,9 Prozent). "Ich sehe da keine massive Bewegung der Jugend nach rechts. In Umfragen stand die AfD auch schon bei 23 Prozent, da liegt das Ergebnis dieser Wahl deutlich drunter", sagt Heinze.

Radikale Rechte verlieren in Nordeuropa an Zustimmung

Auch einen sogenannten Rechtsruck sieht Heinze nicht. Es sei wenn dann eine kontinuierliche Entwicklung, kein plötzlicher Ruck. 2014 erreichte die AfD bei der Europawahl in Deutschland 7,4 Prozent der Stimmen, 2019 waren es 11 Prozent. "Eine starke radikale Rechte sehen wir aber europaweit, etwa in Frankreich, Österreich und Italien", sagt sie. "Dahingegen gibt es zum Beispiel in Nordeuropa die gegenteilige Entwicklung, da haben die Rechtsradikalen verloren."

Individuellere Leben - individuellere Wahlentscheidungen

Doch woher dieses Interesse für die Kleinparteien? "Ein Grund liegt im Aufbrechen sozialer Milieus und den immer individuelleren Lebensstilen", sagt Politikwissenschaftlerin Heinze. In den Programmen großer Parteien, die versuchen eine breite Wählerschaft anzusprechen, finden sich junge Menschen immer weniger wieder.

Zugleich gewinnen einzelne Themen für die Wahlentscheidung an Bedeutung. "Hier schaffen es die Kleinparteien, eigene Akzente zu setzen und dafür Stimmen zu bekommen", sagt Heinze.

"Junge Leute sind empfänglicher für Stimmungen"

Ähnlich sieht es Marcus Maurer, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Mainz. "Junge Leute haben keine stabile Parteibindung wie ältere. Sie sind empfänglicher für Stimmungen und Trends." Entsprechend machten sie ihr Kreuz bei einer Wahl variabel. Und derzeit sei die Stimmung vielfach gegen die amtierende Ampelregierung, dominierendes Thema sei innere Sicherheit. "Themen wie Klimawandel sind in den Hintergrund gerückt", sagt Maurer. Parteien, die sich hingegen vorrangig Themen wie Migration und Sicherheit widmen, profitierten von diesem stimmungsgetriebenem Wahlverhalten.

Hinzu komme, sagt Ulrich Sarcinelli, Politikwissenschaftler aus Landau, dass die Europawahl für junge Menschen in Rheinland-Pfalz etwas "Unernstes" habe. Die Wahl gelte - in der Wahlforschung wie auch landläufig - als eine Wahl von nachgeordneter Bedeutung. "Hier schlagen sich mehr noch als bei den anderen Wahlen aktuelle politische (Miss-)Stimmungen stärker nieder, zumal man die Folgen nicht so recht einzuschätzen weiß", erklärt Sarcinelli.

Es scheint eine Missstimmung gegenüber der Bundesregierung zu geben.

"Junge Menschen fühlen sich von der aktuellen Politik allgemein wenig wahrgenommen", sagt Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier. Die Stimmen für Oppositionsparteien wie CDU und AfD könnten demnach auch eine Provokation sein, sagt Jun, eine Abgrenzung zu älteren Generationen und der amtierenden Ampelregierung: "Es fällt schon auf, wie schlecht alle Regierungsparteien in der Gunst der Jungen stehen. Es scheint eine Missstimmung gegenüber der Bundesregierung zu geben."

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Und was ist mit TikTok und dem Wahlkampf dort?

Gerade die 16- bis 20-Jährigen nutzen soziale Medien, allen voran TikTok, intensiv und "konsumieren auch politische Inhalte dort", sagt Uwe Jun. Daher hält er es durchaus für möglich, dass Parteien wie die AfD und Volt, die intensiv Wahlkampf bei TikTok betrieben haben, Wählerstimmen für sich gewinnen konnten.

"TikTok und Co. darf man nicht überschätzen", sagt hingegen Marcus Maurer. Ja, die AfD sei dort präsenter als andere Parteien, "aber man tut den jungen Leuten unrecht, wenn man annimmt, sie würden sich davon allesamt vereinnahmen lassen". Videos mit rechten Inhalten würden zumeist von den Leuten konsumiert, die eh bereits eine Affinität dazu hätten, sagt Maurer.

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