Qual der Wahl - wie treffen wir unsere Wahlentscheidung? Macht taktsich wählen Sinn? Eine Frau steht überlegend vor einer Tafel mit einem Entscheidugnsdiagramm.

Kommunal- und Europawahl in Rheinland-Pfalz

Bauch, Kopf, Taktik - wie treffen wir unsere Wahl?

Stand
Interview
Andrea Lohmann

Kreuzchen oben, unten - oder doch in der Mitte? Politikwissenschaftler Sascha Huber erklärt im Interview, wie wir unsere Wahlentscheidung treffen - und ob strategisch wählen eine gute Idee ist.

In Rheinland-Pfalz stehen am 9. Juni die Kommunal- und die Europawahlen an. Wer einer Partei angehört, wird sehr häufig sein Kreuzchen auch bei dieser Partei machen. Immer mehr Menschen sind aber Wechselwähler. Wie und wann entscheiden wir, wem wir unsere Stimme geben? Und was ist mit dem taktischen Wählen - macht das überhaupt Sinn? Wir haben dazu mit Prof. Sascha Huber, Politikwissenschaftler an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz, gesprochen.

Professor Sascha Huber, Politikwissenschaftler an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er forscht zu Wahlverhalten und politischen Einstellungen.
Politikwissenschaftler Sascha Huber

SWR Aktuell: Haben Sie schon mal in der Wahlkabine gestanden und spontan eine andere Partei gewählt als Sie auf dem Weg dorthin vorhatten?

Sascha Huber: Nein, das ist mir noch nie passiert. Ich wusste eigentlich meistens schon davor, was ich wählen möchte.

SWR Aktuell: Treffen viele Menschen ihre Wahl erst in der Wahlkabine oder ist das die Ausnahme?

Huber: Also, ich glaube, auf dem Weg zur Wahlkabine wissen es die meisten. Es gibt schon einige Hinweise darauf, dass die Menschen mittlerweile später ihre Wahlentscheidung treffen als sie das früher gemacht haben, das heißt in den Wochen vor der Wahl. Sie wissen also nicht schon seit Monaten, was sie wählen wollen.

SWR Aktuell: Kopf oder Bauch - was hat mehr Einfluss auf unsere Wahlentscheidung?

Huber: Ich glaube, der Kopf spielt eine größere Rolle, wobei die Forschung aus der politischen Psychologie eigentlich davon ausgeht, dass die beiden Sachen schon stark miteinander interagieren. Das heißt, da gibt es natürlich auch Wechselbeziehungen. Es ist nicht so, dass Entscheidungen und Einstellungen rein kognitiv wären, also rein rationale Überlegungen wären, sondern Affekte und Emotionen spielen auch immer eine Rolle. Wobei die häufig natürlich nicht voneinander zu trennen sind.

Stellen Sie sich vor, Sie lesen was in der Zeitung und regen sich darüber furchtbar auf, was ein Politiker gesagt hat, dann löst das bei Ihnen Emotionen aus. Aber warum löst es die Emotionen aus? Weil Ihnen das, was er gesagt hat, nicht passt. Und das ist wieder ein kognitiver Vorgang. Aber was Sie sich merken, ist, dass Sie sich furchtbar aufgeregt haben.

SWR Aktuell: Was beeinflusst die Wahlentscheidung noch?

Huber: Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren. Es gibt natürlich langfristige Faktoren wie frühe Prägung durchs Elternhaus oder die Sozialisation oder eine Art Identifikation mit einer Partei, die man vielleicht über eine lange Zeit entwickelt hat und die man auch nicht so leicht wieder abschüttelt. Und dann gibt es eher kurzfristige Faktoren, dass man sich mit den Parteien, mit dem aktuellen Personal auseinandersetzt, dass man sich mit den aktuellen Streitfragen auseinandersetzt. Und die zwei Sachen zusammen genommen sind meistens eine ganz gute Grundlage, um dann Wahlentscheidungen zu treffen.

SWR Aktuell: Taktisch wählen oder lieber nicht? Wann macht es Sinn, taktisch zu wählen - also nicht die Partei zu wählen, die meinen Interessen am nächsten kommt, sondern eine andere, damit zum Beispiel eine Koalition möglich wird?

Huber: Also unter Umständen kann das im deutschen Wahlsystem schon eine Rolle spielen. Am stärksten sind solche Effekte von strategischem Wahlverhalten in Mehrheitswahlsystemen. Wenn Sie sich jetzt vorstellen, dass es in einem Wahlkreis nur darum geht, wer dort gewinnt und alle anderen Stimmen verfallen, dann gibt es vielleicht wirklich keinen Sinn für einen Kandidaten oder eine Kandidatin zu stimmen, die weit abgeschlagen steht. Im deutschen Wahlsystem mit einem Verhältniswahlsystem, da zählt ja eigentlich jede Stimme, zumindest bei der Zweitstimme.

Was ein strategisches Element sein kann, ist, dass da diese Fünf-Prozent-Hürde für manche Parteien eine Hürde darstellt und man unter Umständen dem kleinen Koalitionspartner der präferierten Koalition möglicherweise eine Stimme leihen möchte, um diese Koalition dann zu ermöglichen. Stellen Sie sich vor, der kleine Koalitionspartner Ihrer präferierten Koalition steht bei 4,999999 Prozent und sie schaffen es mit Ihrer Stimme, diese Partei über die Fünf-Prozent-Hürde zu holen. Dann kann das unter Umständen sinnvoller sein, als wenn Sie beispielsweise eine Präferenz für den größeren Koalitionspartner haben und dann dem die Stimme geben.

SWR Aktuell: Und wie wahrscheinlich ist so eine Situation?

Huber: Die Chancen sind relativ gering, dass so eine Situation tatsächlich eintritt. Wenn sowieso alle Koalitionspartner Ihrer bevorzugten Koalition höchstwahrscheinlich in den Bundestag reinkommen werden, dann gibt es wahrscheinlich keinen Sinn, strategisch abstimmen zu wollen.

SWR Aktuell: Gilt das auch für Landtagswahlen und in Teilen für die Kommunalwahlen, die jetzt in Rheinland-Pfalz anstehen?

Huber: Ja genau, bei den Kommunalwahlen ist es natürlich nochmal ein bisschen komplizierter. Man weiß häufig nicht so viel über die Mehrheitsverhältnisse als Wähler. Es gibt in den meisten Fällen keine Umfragen. Es steht auch häufig gar nicht fest, wie da die Koalitionssituation ausschaut in den kommunalen Parlamenten, von dem her ist es, glaube ich, deutlich schwieriger, da strategisch vorgehen zu wollen.

SWR Aktuell: Gibt es ein Beispiel für Wahlen in Rheinland-Pfalz, wo Wähler die Situation ganz falsch eingeschätzt haben und dann mit strategischen Wahlentscheidungen etwas erreicht haben, das sie gar nicht erreichen wollten?

Huber: Bei uns fällt mir da ein ganz interessantes Beispiel aus Rheinland-Pfalz ein. Die eine Option, strategisch zu wählen, ist, die Zweitstimme dem kleinen Koalitionspartner zu geben. Darauf haben in Deutschland lange Zeit auch die größeren Parteien reagiert. Es gab 2006 eine Landtagswahl in Rheinland-Pfalz, da hat Kurt Beck die Wahlkampf-Aktion gemacht: "Zweitstimme ist Beck-Stimme". Das hat offensichtlich viele Wählerinnen und Wähler verwirrt, so dass tatsächlich die Grünen in dem Jahr mehr Erststimmen als Zweitstimmen bekommen haben.

Vermeintlich strategisches Kalkül kann auch nach hinten losgehen.

Also viele haben da vielleicht gedacht, jetzt wähle ich mit meiner ersten Stimme die Grünen und mit meiner Zweitstimme wähle ich dann Kurt Beck, weil das ja die Beck-Stimme ist. Was natürlich nicht so passt, die Zweitstimme ist natürlich keine personalisierte Stimme. Was dann die Folge war, war dass die Grünen tatsächlich aus dem Landtag gefallen sind, weil sie unter der Fünf-Prozent-Hürde mit den Zweitstimmen waren. Aber mit den Erststimmen wären sie in den Landtag reingekommen, da waren sie über fünf Prozent. Das ist so ein kleines Beispiel, dass vermeintlich strategisches Kalkül oder strategische Überlegungen dann in die Irre führen. Das kann also auch nach hinten losgehen.

SWR Aktuell: Eigentlich kann man das vorher aber auch nicht abschätzen, wie die Resonanz dann ist und was in letzter Konsequenz dann hinten herauskommt.

Huber: Nein, natürlich ist es häufig so gewesen, dass die kleineren Parteien damit spielen und dann nochmal extra Stimmen dazu gewinnen. Mittlerweile ist es ja auch nicht mehr so, dass es die zwei großen Parteien gibt, SPD und CDU, die sich dann die kleinen Parteien jeweils aussuchen und dann eine Zweier-Koalition daraus bilden. Deswegen wird das natürlich alles deutlich komplexer für die Wählerinnen und Wähler.

Es hilft uns in der Demokratie, wenn möglichst viele Leute wählen gehen.

SWR Aktuell: Es gibt bei den Kommunal- und Europawahlen ziemlich viele Alternativen, die man ankreuzen kann. Das verunsichert manchen Wähler. Was macht man da?

Huber: Wählen gehen! Das ist das wichtigste. Natürlich versucht man, sich vorher zu informieren. Aber man soll sich auch nicht davon abhalten lassen, wenn man jetzt nicht die allerkleinsten Details verstanden hat und man dann denkt, deshalb geht man lieber nicht wählen. Sondern: Man informiert sich, so gut es geht und gibt dann die Stimme ab. Es hilft uns in der Demokratie, wenn möglichst viele Leute wählen gehen.

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