Nach einem Gerichtsverfahren gegen einen ehemaligen Pfleger wegen sexueller Übergriffe ordnet Pflegewissenschaftler Johannes Nau den Fall ein.

Nach Gerichtsprozess gegen ehemaligen Altenpfleger

Interview: Wie häufig sind sexuelle Übergriffe in der Pflege?

Stand
INTERVIEW
Nathalie Waldenspuhl
ONLINEFASSUNG
Ingemar Koerner
Ingemar Koerner ist Reporter für Hörfunk, Online und Fernsehen beim SWR im Studio Tübingen.

Ein ehemaliger Altenpfleger aus Albstadt hat sich an zwei Patientinnen vergangen. Dafür hat er eine Gefängnisstrafe bekommen. Ein Gespräch mit Pflegewissenschaftler Johannes Nau.

Ein Altenpfleger aus Albstadt (Zollernalbkreis) ist zwei Patientinnen gegenüber sexuell übergriffig geworden. Das hat der Mann letzte Woche im Prozess gestanden und das Amtsgericht Hechingen verurteilte ihn deshalb zu einer Haftstrafe. Der Pflegewissenschaftler Johannes Nau hat im Interview mit dem SWR erklärt, dass es solche Vorfälle zwar gibt, der größere Teil der sexuellen Übergriffe in der Pflege aber von den Patientinnen und Patienten ausgeht.

SWR Aktuell: Wie oft kommt es zu sexuellen Übergriffen von Pflegekräften auf Patientinnen und Patienten?

Johannes Nau: Wichtig ist zunächst einmal die Frage: An was denken wir, wenn wir von sexualisierter Gewalt reden? Der Fall, der am Amtsgericht Hechingen verhandelt wurde, ist sehr extrem. Aber ein sexueller Übergriff kann schon viel früher anfangen. Zum Beispiel, wenn Menschen meinen, unangemessene Witze machen zu können. Das Recht zu definieren, was übergriffig ist, liegt bei der Person, die angesprochen ist. Und deswegen ist das sehr schwer zu beziffern.

Ich persönlich kann das auch nur schätzen. Aber ich glaube, ein Vorfall, wie wir ihn besprechen, ereignet sich wirklich selten. Eine wissenschaftliche Befragung von Pflegepersonal aus dem Jahr 2023 hat ergeben, dass die meisten sexuellen Übergriffe im Pflegeheim von den Bewohnern ausgehen. Eigentlich sind Pflegerinnen und Pfleger viel eher die Betroffenen.

SWR Aktuell: Beim Pflegeberuf gibt es ja sehr viel Körperkontakt. Besteht schon deshalb eine besonders hohe Gefahr für sexuelle Übergriffe?

Nau: Nein. Sexuelle Übergriffe können überall passieren, wo Menschen aufeinander treffen. Das kann auch in der S-Bahn oder in der Disko sein. Aber Pflegerinnen und Pfleger sind in der "Garantenpflicht": Sie haben den Auftrag, die Heimbewohner zu schützen, weil diese sich oft nicht ausreichend selbst schützen können.

In meinem Empfinden gibt es auch keine Grauzone. Natürlich ist es ein Beruf, der Körperlichkeit beinhaltet. Da muss man die Menschen manchmal auch in Körperregionen anfassen. Aber das geht nur, wenn mir der Patient oder die Patientin eine ausdrückliche Erlaubnis dazu gibt. Entweder bekomme ich die oder ich bekomme sie nicht. Wenn ich jemanden mobilisieren oder im Bett umdrehen muss, dann gibt es genügend andere Körperstellen, die dafür zur Verfügung stehen. Und immer gilt: Als Pflegerin oder Pfleger muss ich darauf achten, dass sich niemand bedrängt fühlt.

SWR Aktuell: Wie kann man solchen Fälle wie den, der am Amtsgericht Hechingen verhandelt wurde, vorbeugen?

Nau: Wenn es im Pflegeheim einen sexuellen Übergriff gibt, dann müssen wir alles dafür tun, dass der ans Licht kommt. Dazu gehört es, dass Pflegerinnen und Pfleger die Hinweise ernst nehmen. Etwa anklagende Aussagen von den Betroffenen, besondere Schreckhaftigkeit, blaue Flecken oder Blutungen, die man sich nicht erklären kann. Aber auch beobachten, ob die Hände des Helfers beim drehen oder bekleiden da sind, wo sie hingehören.

Und wer so eine Beobachtung macht, muss das ansprechen. Für das Personal darf es kein Tabu sein, die eigene Wahrnehmung im Team zu thematisieren. Denn so kann das ganze Team die Belastung tragen und man kann gemeinsam beraten, wie man weiter vorgehen will. Und dafür muss das Personal entsprechend qualifiziert sein und im Team muss eine gute, werteorientierte Stimmung herrschen.

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SWR Aktuell: Das heißt, die Verantwortung für Prävention liegt bei der Pflegekraft?

Nau: Natürlich ist die gesamte Pflegeeinrichtung in der Verantwortung. Aber auch von Seiten der Abteilungs- und Hausleitung muss dafür gesorgt werden, dass durch entsprechende Fortbildungen und Leitbildpolitik im Haus klar ist: "Wir sind ein Haus, das die Sicherheit und das Wohlbefinden unserer Bewohner sicherstellt." Wenn das als klares Zeichen existiert, dann hat das auch eine entsprechende Wirkung.

Ganz allgemein will natürlich kein Pflegeheim Menschen einstellen, die den Bewohnern schaden können. Das ist ja für jedes Haus ein Super-GAU. Aber das ist eben das Restrisiko, das wir alle haben. Menschen, die nicht in der Lage sind, Grenzen zu akzeptieren, gibt es überall. Und man sieht es ihnen nicht immer sofort an.

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