Der Strafprozess gegen den ehemaligen Vorsitzenden des "Fördervereins Ortskern" in Reutlingen-Sickenhausen ist am Donnerstag eingestellt worden. Der Angeklagte muss allerdings eine Geldauflage von 2.000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen. Die Staatsanwaltschaft Tübingen machte den damaligen Vereinsvorsitzenden verantwortlich und beschuldigte ihn der fahrlässigen Tötung. Das Reutlinger Amtsgericht sah das anders.
Es tut mir leid, was passiert ist. Ich würde es gerne ungeschehen machen. Ich bin interessiert daran, dass dieser Fall geklärt wird. Es vergeht kein Tag, an dem es mir nicht durch den Kopf geht.
Ehemaliger Vorsitzender nicht schuld am tödlichen Unfall
Der "Förderverein Ortskern" zur Belebung der Ortsmitte von Reutlingen-Sickenhausen hatte 2022 am "Alten Feuerwehrhaus" gearbeitet. Es sollte zu einem Kultur- und Bürgerhaus umgebaut werden, der "Kulturwache". Bei den ehrenamtlichen Arbeiten wurde ein Mitglied unter einem Betonträger begraben. Der 42-Jährige starb wenig später im Krankenhaus.
Das Amtsgericht Reutlingen hat am Donnerstag mehrere Zeugen vernommen, darunter den Architekten, den Statiker und Vereinsmitglieder. Sie berichteten von den Vorbereitungen der Bauarbeiten und vom Tag des Unglücks. Dabei wurde deutlich: Es handelte sich wohl um eine Verkettung unglücklicher Umstände.
Aus Versehen falsches Wandstück abgebrochen
Nach Angaben der Zeugen sollten zum Beispiel Schlitze in eine Wand geschlagen werden, um deren Aufbau zu überprüfen. Dabei war wohl nicht allen klar, welche Stellen zu bearbeiten waren. Deshalb wurde ein zu großes Stück der Wand entfernt. Das führte offenbar dazu, dass sich ein Stahlbetonträger löste und das Vereinsmitglied unter sich begrub.
Das Gericht kam zu der Überzeugung, dass der angeklagte frühere Vereinsvorsitzende nicht allein für den Unfall verantwortlich gemacht werden kann. So kam es zu dem Vorschlag, das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage einzustellen. Dem haben alle Beteiligten zugestimmt, auch die Witwe des Verstorbenen. Es wurde auch vereinbart, dass keine weiteren rechtlichen Schritte mehr folgen.
Vereinsarbeiten vor Unfall nicht mit Architekten besprochen
Nach der ursprünglichen Sicht der Staatsanwaltschaft sei der Unfall für den damaligen Vereinsvorsitzenden vorhersehbar und verhinderbar gewesen. Die Abbrucharbeiten an diesem Tag seien ohne Rücksprache mit dem Architekten und dem Statiker gelaufen. Deshalb war ein Strafbefehl erlassen worden. Der Beschuldigte hatte daraufhin Widerspruch eingelegt. Darum kam der Fall zum Amtsgericht Reutlingen.
Wann ist der Vorsitzende schuld an einem Unfall?
Bei einem ersten Verhandlungstermin hatten einerseits sechs Monate Haft auf Bewährung zur Diskussion gestanden. Andererseits aber auch die Frage, ob der Vereinsvorsitzende für den tödlichen Unfall überhaupt zur Rechenschaft gezogen werden kann. Dessen Anwalt bezweifelte das. Deshalb pochte er auf eine weitere Verhandlung, auch um zusätzliche Zeugen aussagen zu lassen. Er hatte schon früher gefordert, das Verfahren ganz einzustellen. Darauf war die Staatsanwaltschaft nicht eingegangen.
Verein würdigt den Verstorbenen
Im Reutlinger Teilort Sickenhausen hatte der Unfall damals große Betroffenheit ausgelöst. Zum einen bewegte das Schicksal der Ehefrau und der Kinder des Verstorbenen die Menschen. Zum anderen hatte das Unglück Folgen für den Verein. Der damalige Vorsitzende und nun Beschuldigte gab sein Amt auf. Bei der weiteren Sanierung des "Alten Feuerwehrhauses" spielen Haftungsfragen seitdem ein große Rolle und sorgen für Verunsicherung.
Wir werden noch Dinge in Eigenleistung tun, denn das wird auch gefordert, zum Beispiel von Leuten, die uns Geld geben. Aber das werden alles Arbeiten sein, wo wir sicher sein können, dass wir sie bewältigen können.
Der Förderverein Ortskern Sickenhausen würdigt sein verstorbenes Mitglied prominent auf der Internetseite. Direkt auf der Startseite wird an den auf so tragische Art Verstorbenen erinnert.