Nach zähem Ringen hat der Reutlinger Gemeinderat neue Hebesätze für die Grundsteuer beschlossen. Grundstücke, die unter die Grundsteuer B fallen, werden mit einem Hebesatz von 320 Prozent belegt. Dazu gehören die meisten Grundstücke im Stadtgebiet. Dabei gab es viel Kritik am Gesetz der Landesregierung, das die Grundsteuer-Reform regelt. Unter anderem weil, so die Stadtverwaltung, bei der ab Januar gültigen Art der Berechnung die Bebauung eine geringere Rolle spielt. Die Größe des Grundstücks fällt dafür schwerer ins Gewicht als bisher.
Streit um Hebesatz für Grundstücke
"Was die für einen Mist gebaut haben!" Diese Kritik an der Landesregierung und der Art der neuen Grundsteuer kam vom altgedienten FDP-Stadtrat Hagen Kluck. Und Mist war nicht das schärfste Schimpfwort, das in der Sitzung fiel. Der SPD-Fraktion missfällt zum Beispiel, dass größere Wohngrundstücke mit Einzelhäusern künftig mehr Steuern kosten können.
SPD-Stadtrat Treutlein brachte als plastisches Beispiel eine Wohnsiedlung in einem Reutlinger Vorort. Früher für Aussiedler gebaute kleine Reihenhäuser mit längeren Gärten. Für den Gemüseanbau, zur Selbstversorgung. Jetzt sei das alles als teures Bauland erfasst.
Reutlingen rechnet Hebesatz pragmatisch aus
Der Stadt haben die neuen Regelungen zur Grundsteuer nicht viel Spielraum gelassen. Das zeigen die Erklärungen in der Beschlussvorlage für den Gemeinderat. Wegen der leeren Kassen will und muss Reutlingen rund 25 Millionen Euro einnehmen. Und zwar bei der Grundsteuer B, der die weitaus meisten Grundstücke in Reutlingen angehören. Das wurde auf eine relativ einfache Art berechnet.
Das Finanzamt liefert dazu den sogenannten Steuermessbetrag. Den kann die Stadt nun erhöhen: durch den Hebesatz. Ein Beispiel vom Reutlinger Stadtrand: Ein Reihenhaus mit 150 Quadratmetern Grundstück wird vom Finanzamt mit rund 60 Euro eingestuft. Setzt die Stadt, wie jetzt Reutlingen, den Hebesatz auf 320 Prozent fest, wird der Betrag des Finanzamtes mit 3,2 multipliziert. Das ergibt dann knapp 200 Euro Grundsteuer pro Jahr.
Grundsteuer macht knapp die Hälfte der Grundstücke teurer
Um weiterhin die nötigen 25 Millionen einzunehmen, hat die Stadt nun berechnet, bei welchem Hebesatz sie auf die Summe kommt. Das Ergebnis: 320 Prozent. Die CDU hatte gefordert, nur 290 Prozent anzusetzen. Es blieb aber offen, wie die dadurch entstehende Finanzlücke von 2,4 Millionen Euro geschlossen werden könnte. Der Antrag fiel durch.
Die Folgen für Grundstückseigentümer hat die Stadt in einer Statistik dargestellt. Etwas über die Hälfte der Grundstücke wird künftig gleichviel oder weniger kosten. Für den Rest wird man mehr zahlen müssen. Knapp ein Viertel der Grundstücke wird demnach mindestens doppelt so teuer. Bei zehn Prozent der Grundstücke kann die Grundsteuer um das Drei- oder Vierfache steigen.
Finanzbürgermeister Roland Wintzen hat in der Sitzung auch nochmal den Hintergrund an Beispielen erklärt. Einfamilienhäuser auf großen Grundstücken würden sich verteuern. Geschäftsflächen, aber auch Grundstücke mit Mehrfamilienhäusern würden profitieren. Eine Grundsteuer C, eine Art Sondersteuer auf baureife Grundstücke, die nicht bebaut werden, will Reutlingen nicht einführen.
Grundsteuer-Reform: Grundsteuer A auf dem Prüfstand
Obwohl in den Bereich der Grundsteuer A vergleichsweise wenige Grundstücke fallen, wurde auch der zum Gegenstand der Debatte. Denn mehrere Fraktionen haben leichte Zweifel an Sinn und Nutzen der Steuer. Die muss unter anderem bezahlt werden für landwirtschaftliche Nutzflächen, für Obstwiesen oder Gütle. Aber sie spült pro Jahr nur 60.000 Euro in die Stadtkasse. Um dieses Geld nach den neuen Regeln zu bekommen, musste der Hebesatz auf 500 Prozent angehoben werden.
Wie bei der Grundsteuer B wird es bei A Gewinner und Verlierer geben. Auch deshalb kam die Überlegung auf, ob es nicht sinnvoll und möglich wäre, überhaupt auf diese Steuer zu verzichten. Geprüft werden soll zudem, was von den 60.000 Steuer-Euro übrig bleibt, wenn die Verwaltungskosten abgezogen sind.
Trotz Grundsteuer: Reutlingen verhängt Haushaltssperre
Wie wichtig es ist, dass Reutlingen auf keinen Fall weniger Geld einnimmt, hat das anschließende Thema gezeigt. Der Gemeinderat hat zugestimmt, eine Haushaltssperre zu verhängen. Vorerst dürfen nur noch zwingend notwendige Dinge bezahlt werden. Für größere Aufträge brauchen die Ämter eine spezielle Genehmigung.
Der Grund: Reutlingen fürchtet, rund 13 Millionen Euro weniger einzunehmen als geplant, weniger Zuschüsse, Zuweisungen und Steuern. Bis zu einer grundsätzlichen Regelung durch einen Nachtragshaushalt, sollen durch die Haushaltssperre rund 5 Millionen Euro gespart werden.