Wie sich Palmer eine neue Wahlrechtsreform vorstellt
Werden die Interessen der Wählerinnen und Wähler aus dem Wahlkreis Tübingen-Hechingen in Zukunft im Bundestag hinten runterfallen? Zum ersten Mal hat der Wahlkreis 290 keinen politischen Vertreter in Berlin. Grund dafür ist die Wahlrechtsreform. Obwohl der CDU-Kandidat Christoph Naser die meisten Erststimmen (31,7 Prozent) bekommen hat, erhält er kein Direktmandat. Es fehlt ihm an Zweitstimmen (28,5 Prozent). Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (parteilos) und Landrat Joachim Walter (CDU) kritisieren das scharf.

Landrat Joachim Walter und OB Boris Palmer fordern, das Wahlrecht erneut zu reformieren. Walter schlägt vor, die Wahlkreise zu vergrößern. Palmer fordert, dass ein Wahlkreissieger auch einen Platz im Parlament bekommen muss. "Menschen müssen sich in der Demokratie vertreten fühlen", sagte er dem SWR. "Ohne Abgeordneten ist das besonders schwer."
Lokalpolitiker bezeichnen neues Wahlrecht als "Fehler"
Der Oberbürgermeister von Rottenburg am Neckar Stephan Neher (CDU) befürchtet, dass Themen, die die Region Tübingen betreffen, nicht mehr in Berlin platziert werden. Konkret nennt er Verkehrsthemen, wie die B27 oder die Regionalstadtbahn. Er hofft, dass die Abgeordneten der umliegenden Wahlkreise solche Themen auch für Tübingen mit übernehmen.
Zum Wahlkreis Tübingen-Hechingen gehört auch ein Teil des Zollernalbkreises. Landrat Günther-Martin Pauli (CDU) bezeichnet die aktuelle Auswirkung des neuen Wahlrechts als "völlig verunglückt". Es sei ein Fehler, der korrigiert werden müsse.
Ein Direktmandat sollte immer auch ein Direktmandat sein und kein Glücksspiel. Sonst hat die Wahlkreiseinteilung gar keinen Sinn mehr.
Landeszentrale für politische Bildung sieht kein Problem
Anja Meitner von der Landeszentrale für politische Bildung in Tübingen schätzt die Situation weniger dramatisch ein. Sie sagte dem SWR: "Die Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg sind nicht nur für ihren eigenen Wahlkreis, sondern alle Wählerinnen und Wähler zuständig. Die Interessen der Tübingerinnen und Tübinger werden genauso wie davor eingebracht."
Konkret könnten das zum Beispiel Michael Donth (CDU) oder Anne Zerr (Die Linke) sein, sagt Meitner. Beide sind über den Wahlkreis Reutlingen in den Bundestag gewählt worden und würden bestimmt nicht die Tübingerinnen und Tübinger ablehnen, so Meitner.
Ergebnisse Wahlkreis Tübingen
Die SPD hat stark verloren (-6,5 Prozentpunkte) und erzielt 13,9 Prozent der Stimmen. Die CDU erreicht 28,5 Prozent und gewinnt stark (+6,7 Prozentpunkte). Die Grünen erzielen 19,2 Prozent und verlieren deutlich (-4,2 Prozentpunkte). Die FDP verliert stark (-9,2 Prozentpunkte) und kommt auf 5,0 Prozent. Die AfD erreicht 16,1 Prozent und gewinnt stark (+8,3 Prozentpunkte). Die Linke erzielt 9,6 Prozent und gewinnt deutlich (+4,5 Prozentpunkte). Die Partei BSW bekommt 4,0 Prozent.
Wahlreform: Das Direktmandat entscheidet
Bei der letzten Bundestagswahl sind vier Abgeordnete aus dem Wahlkreis Tübingen eingezogen. Die langjährigen, etablierten Kandidaten von CDU, SPD und Grünen sind nicht mehr angetreten. Die neuen Kandidatinnen und Kandidaten waren eher unbekannt. Deswegen hatten sie schlechte Plätze auf den Landeslisten ihrer Parteien.
Grund für die Wahlreform ist, dass der Bundestag kleiner werden soll. Das dafür erarbeitete neue Wahlsystem führt dazu, dass die Person mit den meisten Stimmen nicht mehr automatisch über ein Direktmandat in den Bundestag einzieht.
Drei Wahlkreise in Baden-Württemberg gehen leer aus
Nicht nur Tübingen ist im Land von den Auswirkungen des neuen Systems betroffen: Auch die Wahlkreise Stuttgart II und Lörrach werden im neuen Bundestag nicht vertreten sein.