Seit 2002 brauchte der Bundestag mit jeder Wahl mehr Stühle. Und auch nach der Wahl im kommenden Jahr müssen in Berlin erneut die Monteure ran. Dieses Mal allerdings für den Abbau. Denn das Parlament soll kleiner werden. Die 2023 von der Ampel-Regierung beschlossene Wahlrechtsreform sieht vor, dass das Parlament von 736 Sitzen auf 630 schrumpft.
Hier sind die wichtigsten Infos zur Wahlrechtsreform.
- Zweck der Wahlrechtsreform
- Wie wird der Bundestag verkleinert?
- Warum jetzt 630 Sitze?
- Streit um die Wahlrechtsreform
- Grundmandatsklausel bleibt
- Reform hätte 2021 CDU in BW getroffen
- Auswirkungen aufs Wahlverhalten
Welchen Zweck hat die Wahlrechtsreform?
Zum einen ist ein großes Parlament teurer. Unter anderem müssen mehr Abgeordnete und ihre Mitarbeitenden mit Steuergeld bezahlt werden. Dazu kommen Betriebs-, Instandhaltungs- und Verwaltungskosten. Dabei soll nun gespart werden. Der kleinere Bundestag soll jährlich deutlich mehr als 100 Millionen Euro günstiger sein als der alte. Zum anderen gilt ein kleiner Bundestag auch als effizienter.
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Im Bundestag ist am Freitag eine Wahlrechtsreform beschlossen worden. Nicht alle in Baden-Württemberg sind davon begeistert - vor allem die CDU nicht.
Wie wird der Bundestag geschrumpft?
Die Wahlrechtsreform sieht vor, dass Überhang- und Ausgleichsmandate wegfallen. Überhangmandate bedeuteten bisher, dass Kandidatinnen und Kandidaten, die einen Wahlkreis über die Erststimme direkt gewonnen haben, automatisch in den Bundestag einzogen - und zwar auch dann, wenn ihrer Partei gemäß der Anzahl an gewonnenen Zweitstimmen gar nicht so viele Plätze im Parlament zugestanden hätten.
Um das dadurch entstandene Ungleichgewicht im Bundestag wieder auszugleichen, wurde anderen Parteien anteilsmäßig wiederum mehr Sitze im Parlament zugestanden - die so genannten Ausgleichsmandate.
Und genau diese beiden Dinge gibt es ab sofort nicht mehr. Kommt es fortan dazu, dass mehr Kandidaten einer Partei einen Wahlkreis gewinnen als ihrer Partei in dem Bundesland gemäß Zweitstimmen-Anteil Sitze im Bundestag zustehen, können nicht alle Direktkandidaten der Partei nach Berlin. Es gehen diejenigen Wahlkreis-Sieger einer Partei leer aus, die in ihren Wahlkreisen die schlechtesten Direktwahl-Ergebnisse eingefahren haben.
Warum 630 und nicht 598 Sitze?
Gemessen an der Anzahl der Wahlkreise - 299 - wäre die Standardgröße für den Bundestag 598 Sitze. Um zu verhindern, dass viele Direktkandidaten den Sprung nach Berlin verpassen, wurde die Parlamentsgröße auf 630 hoch gesetzt. Die zusätzlichen 32 Plätze wurden ihrer Einwohnerzahl entsprechend auf die Bundesländer verteilt.
So hat nun zum Beispiel Baden-Württemberg 82 statt zuvor 76 feste Sitze im Bundestag, Rheinland-Pfalz 32 statt zuvor 30. Das Mehr an Sitzen steigere die Wahrscheinlichkeit für Wahlkreissieger ins Parlament zu kommen, sagt Professor Michael Wehner von der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg. Eine Einzug-Garantie für alle direkt gewählten Kandidaten sei das aber nicht.
Warum war die Wahlrechtsreform umstritten?
Die Reform kann dazu führen, dass einzelne Wahlkreise nach der Bundestagswahl 2025 nicht mehr durch Abgeordnete im Bundestag vertreten sind. Dadurch wird die Direktwahl künftig abgewertet. Daran gab es Kritik. 4.000 Privatpersonen sowie CSU und Linke - beide hatten bei der Bundestagswahl 2021 stark von Direktmandaten profitiert - klagten gegen die Reform vor dem Bundesverfassungsgericht. Dieses sah die Reform jedoch größtenteils als verfassungskonform an.
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CDU-Landeschef Strobl kritisierte die Wahlrechtsreform im Bund als "Schwächung des Südens". Für den Fraktionschef schreit die Reform gar nach Verfassungsgericht - das Land solle eine Klage erwägen.
Die Ausnahme: Grundmandatsklausel bleibt
In einem wesentlichen Punkt hat das Gericht die Reform allerdings gekippt. Die sogenannte Grundmandatsklausel sollte ursprünglich mit abgeschafft werden. Nach dem Urteil im Sommer 2024 bleibt sie aber bestehen.
Die Grundmandatsklausel sieht Folgendes vor: Werden von einer Partei bundesweit mindestens drei Abgeordnete per Erststimme direkt gewählt, gilt für die Partei die Fünf-Prozent-Hürde nicht. 2021 hatte davon Die Linke profitiert.
Mit 4,9 Prozent der Zweitstimmen wäre sie eigentlich aus dem Bundestag geflogen. Weil sie aber drei Direktmandate holte, konnte Die Linke 39 Abgeordnete in den Bundestag schicken. Bei der Wahl im Februar ist ein solches Szenario erneut möglich. Die Linke baut für die Direktmandate auf drei prominente Gesichter in ihren Wahlkreisen: Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch.
Welche Folgen hätte die Reform auf den letzten Bundestag gehabt?
Hätte die Reform bei der Bundestagswahl 2021 schon gegriffen, säßen sehr wahrscheinlich einige CDU-Abgeordnete aus Baden-Württemberg nicht im Bundestag. Eine Musterberechnung der Bundeswahlleiterin von 2023 (die allerdings die Grundmandatsklausel nicht einbezogen hatte) ergab, dass es 10 der damals 33 direkt gewählten Christdemokraten aus Baden-Württemberg nicht nach Berlin geschafft hätten.
Ebenso stark von der Reform betroffen gewesen wäre Bayern: Laut Musterberechnung wären 7 der insgesamt 45 direkt gewählten CSU-Kandidaten leer ausgegangen. Von der SPD hätten es - verteilt auf Wahlkreise in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und im Saarland - deutschlandweit sechs Abgeordnete nicht nach Berlin geschafft. Außerdem wäre ein Abgeordneter der AfD in Sachsen leer ausgegangen. Bei den Grünen wären alle 16 direkt gewählten Abgeordneten der Grünen trotz der Reform Teil des Bundestags gewesen. Die Zweitstimmenanteile ihrer Partei hätten überall ausgereicht. Die FDP hatte 2021 keinen Wahlkreis-Sieger.
Die Rechnung der Bundeswahlleiterin von Sommer 2023 ist allerdings aus einem weiteren Grund mit Vorsicht zu betrachten: Denn in ihr wurde nicht berücksichtigt, dass die Reform Auswirkungen auf das Wahlverhalten haben kann.
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Und davon abgesehen könnten die Karten bei der kommenden Wahl ganz anders liegen als 2021. Beispiel Rheinland-Pfalz: Bei der letzten Bundestagswahl hätte die Reform hier keinen der 15 direkt gewählten Abgeordneten (acht von der SPD, sieben von der CDU) getroffen. Aber: Schwächelt zum beispielsweise die SPD in Rheinland-Pfalz bei der Neuwahl tatsächlich so stark wie in aktuellen Umfragen, könnte es für den ein oder anderen ihrer Direktkandidaten eng mit dem Einzug in den Bundestag werden.
Verändert die Wahlreform das Wahlverhalten?
Politikexperte Michael Wehner ist sogar überzeugt davon: Die Reform wird das Wahlverhalten einiger Menschen beeinflussen. Der Grund: Er geht davon aus, dass bei der kommenden Bundestagswahl weniger Wählerinnen und Wähler ihre Stimmen splitten. Rund ein Viertel der Menschen in Deutschland wählte bei der letzten Bundestagswahl mit der Erststimme eine andere Partei als mit der Zweitstimme.
Dem Splitting zugrunde lag eine Annahme: Egal, wen ich per Zweitstimme wähle - der Sieger meines Wahlkreises kommt - im Zweifel per Überhangmandat - in jedem Fall nach Berlin. Diese Gewissheit gibt es durch die Reform jetzt nicht mehr. Sie könnte deshalb die Karten neu mischen. "Bei der Bundestagswahl im Februar werden wahrscheinlich mehr Menschen mit beiden Stimmen dieselbe Partei wählen", sagt Politologe Wehner, "um ihren bevorzugten Direktkandidaten den Einzug zu sichern."