Islamistische Führung nach Assad-Sturz

Syrische Geflüchtete in BW in Sorge: Unsichere Zukunft für Minderheiten in Syrien

Stand
Autor/in
Susanne Babila
Onlinefassung
Matthias Breitinger
Matthias Breitinger

Religiöse und ethnische Minderheiten in Syrien freuen sich über den Sturz Assads. Doch wie geht es unter der neuen Führung weiter? Syrer in Deutschland, die Minderheiten angehören, machen sich Sorgen.

Jeden Abend zappt Elia Algaith durch die Nachrichten internationaler TV-Sender. Auch via Instagram und Facebook informiert er sich über die aktuelle Entwicklung in Syrien. Der studierte Informatiker floh vor elf Jahren mit seinen Eltern und Geschwistern von Damaskus über den Libanon nach Deutschland. Heute lebt er in Stuttgart.

Seine Familie sind Chaldäer, eine Glaubensgruppe katholischer Christen. Eine von vielen Minderheiten in Syrien. "Wir waren unter Assad immer Bürger zweiter Klasse", sagt Elia Alghaith. "Wir sind froh, dass Assad endlich gestürzt ist, aber wir machen uns große Sorgen, denn die Lage ist unklar und neu."

Elia Algaith: Der syrische Christ ist vor elf Jahren aus Syrien nach Deutschland geflohen.
Elia Algaith

Neun von zehn Syrern leben in Armut

Jahrzehntelange brutale Unterdrückung unter dem gestürzten Machthaber Baschar al-Assad und fast vierzehn Jahre Krieg haben Syrien in Chaos und Elend gestürzt. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung leben in Armut, zwei Drittel davon in extremer Armut. Die Preise für Lebensmittel wie Brot gehen durch die Decke. "Die letzten Jahre waren wirklich sehr schwierig, jetzt gibt es immerhin häufiger Strom, auch Gas", erzählt Elia Algaith. Die Menschen wollten jetzt Frieden, Stabilität und Sicherheit, sagt der IT-Spezialist.

Wenn man unter dem Assad-Regime 54 Jahre immer Angst hatte, kann man das nicht auf Knopfdruck ändern. Mir ist wichtig, dass die Leute in Sicherheit bleiben und mehr auf dem Teller haben.

Ikonen stehen im Wohnzimmer von Elia Alghaith auf einem Regal.
Ikonen stehen im Wohnzimmer von Elia Alghaith auf einem Regal.

Syrische Minderheiten zwischen Hoffnung und Angst

Doch unter die Hoffnung auf einen Neuanfang mischt sich Angst. Denn an der Spitze der neuen Führung sind vor allem radikale Islamisten. Die waren in der Vergangenheit dafür bekannt und berüchtigt, Andersgläubige und -denkende zu unterdrücken und zu verfolgen.

Noch lassen die islamistischen Milizen Christen in Syrien ihre Gottesdienste feiern, sagt Raid Gharib, Diakon der syrisch-orthodoxen Kirche in Heilbronn. Aber wie es weitergeht, ist ungewiss. Deshalb versuchten sich jetzt alle Christen in Syrien unauffällig zu verhalten, berichtet Gharib. So seien in allen Diözesen die Festivitäten in der Vorweihnachtszeit auf ein Minimum reduziert.

Vor allem wird die Vorbereitung in der Weihnachtszeit auf die Gebete in den Kirchen beschränkt. Es gibt keine Umzüge mehr, damit man nicht unnötig Aufmerksamkeit erregt.

Der neue Anführer in Syrien, Abu Mohammed al-Dscholani, ist der Chef von Hajat Tahrir al- Sham, kurz HTS - eines früheren Zweigs der islamistischen Terrorgruppe Al-Qaida. Er gibt sich moderat und hat eine Übergangsregierung eingesetzt. Aber welches Recht im neuen syrischen Staat gelten soll, ist noch unklar. Baut die neue Führung auf die Scharia? Was dann mit Minderheiten wie Christen, Drusen, Kurden, Aleviten und anderen passieren würde, ist mit viel Unsicherheit verbunden.

"Für die Jesiden kann die Lage noch viel gefährlicher werden"

Und was wird aus den Jesiden, die von Islamisten als Ungläubige diffamiert und zum Beispiel von islamistischen Milizen des IS im Nordirak verfolgt und getötet wurden? Das fragt ein deutsch-kurdischer Jeside aus Nordsyrien, der anonym bleiben möchte. Die Situation für Jesiden in Syrien war schon unter Assad sehr gefährlich. Viele haben sich nicht zu ihrem Glauben bekannt - aus Angst. Dazu kommen Angriffe aus der Türkei. Fast alle seine Verwandten seien vor sechs Jahren nach der türkischen Militäroffensive in den Libanon geflohen, erzählt er.

"Wir alle sind froh, dass Assad endlich weg ist", sagt er. "Doch für die Jesiden kann die Lage noch viel gefährlicher werden. Wenn Islamisten jetzt die Vorherrschaft haben und Religion im Staat verankert ist, es also kein laizistischer Staat mehr ist, dann wird die Situation schlimmer. Dann haben Jesiden dort keine Lebensgrundlage mehr."

Kritik am Einfluss der Türkei in Syrien

Der Deutsch-Kurde Kamal Sido ist Nahost-Referent der Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen. Er appelliert an die internationale Staatengemeinschaft, auf den Schutz und die Gleichberechtigung aller ethnischen und religiösen Minderheiten in Syrien zu achten. Wichtig sei aber auch Schutz für diejenigen syrischen Frauen, die den Kopftuchzwang ablehnen, oder Sunniten, die kein sunnitisch-islamistisches Regime wollen.

Sido kritisiert den Einfluss der türkischen Regierung: Diese versuche mit aller Macht, die Selbstverwaltung der Kurden im Nordosten Syriens zu zerstören, und vertreibe damit Hunderttausende Kurden und die letzten Christen und Jesiden aus der Region, so Sido. Der Menschenrechtsaktivist kommt aus der heftig umkämpften Region in Nordsyrien, in der sich die in Teilen islamistische Rebellen-Allianz, pro-türkische Kräfte und Kurden bekämpfen.

"Ich wünsche mir, dass ich die Gräber meiner Eltern in dem 2018 von der Türkei besetzten Afrin besuchen kann, ohne Angst haben zu müssen, dass Männer mit langen Bärten vorbeikommen, 'Allahu Akbar' rufen und mich verhaften, verschleppen oder gar töten", sagt Sido.

Aus Sicht des Deutsch-Kurden hängt die Zukunft der syrischen Bevölkerung davon ab, ob die Minderheiten unterstützt werden durch die demokratischen, säkularen Kräfte der internationalen Staatengemeinschaft. Dazu zählt er Länder wie die USA, aber auch die Nachbarstaaten Israel, Jordanien und den Irak.

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