Der Streit um die Schließung von 18 Notfallpraxen in Baden-Württemberg weitet sich aus. Der Städtetag forderte nun Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) per Brief auf, die Pläne der Kassenärztlichen Vereinigung BW vorerst zu stoppen.
Regine Rist ist aus allen Wolken gefallen. "Wir haben uns völlig überfahren gefühlt", erzählt die parteilose Bürgermeisterin der Hopfenstadt Tettnang, unweit des Bodensees. Dass in ganz Baden-Württemberg 18 Notfallpraxen geschlossen werden sollen, habe niemand mit ihr oder den Kolleginnen und Kollegen in den Rathäusern vorher besprochen. Im Gegenteil: Man sei vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Sie hat große Sorge, dass die Bereitschaftspraxis in ihrer Stadt zugesperrt werden soll, obwohl diese sehr gut funktioniere. Ihre Forderung: Die Reform müsse verschoben werden. "Ich finde, das ist ein sehr großer Schnellschuss", sagt die 54-jährige Kommunalpolitikerin dem SWR.
Bürgermeister wollen an Entscheidung beteiligt werden
Zunächst müsse jeder Standort einzeln betrachtet und die Folgen einer Schließung analysiert werden. Es sei gut, dass die betroffenen Rathauschefs am 19. Dezember zu einer Veranstaltung nach Stuttgart eingeladen würden. An die zuständige Kassenärztlichen Vereinigung BW und Landesgesundheitsminister Lucha hat Rist eine klare Botschaft: "Ich wünsche mir, dass wir nicht nur informiert werden, sondern dass es einen Austausch gibt und wir beteiligt werden."
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Protest in Luchas Wahlkreis
Klar sei für sie, dass eine Schließung der Notfallpraxis in Tettnang verhindert werden müsse, erklärt die Bürgermeisterin. Der Protest in der 20.000-Einwohner-Stadt ist für den Gesundheitsminister besonders unangenehm, weil Tettnang zu seinem Wahlkreis gehört. Lucha habe sich vor kurzem telefonisch bei ihr gemeldet, erzählt Rist. Sie habe nun immerhin Hoffnung, dass die Bürgermeister besser eingebunden werden.
Grund für Reformpläne: 1000 Hausarztsitze nicht besetzt
Die Kassenärztliche Vereinigung hatte angekündigt, wegen des grassierenden Ärztemangels 18 Standorte in Baden-Württemberg von April 2025 an schließen zu wollen. Davon sollen landesweit rund 90.000 Patientinnen und Patienten betroffen sein. Acht Praxen wurden bereits in diesem Jahr zugemacht. Der ärztliche Bereitschaftsdienst in den Notfallpraxen kommt dann ins Spiel, wenn der Hausarzt nicht geöffnet hat - etwa bei einer schweren Erkältung oder starken Bauchschmerzen.
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Die Kassenärztliche Vereinigung hatte als Erklärung darauf verwiesen, dass etwa 1000 Hausarztsitze nicht besetzt seien. Künftig soll im Land gelten, dass 95 Prozent der Patientinnen und Patienten innerhalb von 30 Fahrminuten eine Notfallpraxis erreichen sollen, alle anderen innerhalb von maximal 45 Minuten. Zudem sei vorgesehen, dass es nur noch Standorte in Verbindung mit einem Krankenhaus mit Notaufnahme gebe.
Städtetag macht Druck auf Gesundheitsminister
Der Städtetag BW will nicht bis zum 19. Dezember warten. Der Geschäftsführer des Kommunalverbands, Ralf Broß, forderte Lucha in einem Brief eindringlich auf, einzuschreiten und die Reform um ein Jahr zu verschieben. "Die medizinische Versorgung außerhalb von Praxisöffnungszeiten und für medizinische Notfälle steht vielerorts bereits unter Druck. Eine Umverlagerung der Patientenströme aus den Bereitschaftspraxen in die Notaufnahmen der Kliniken oder die ohnehin überlasteten Hausarztpraxen würde diese Belastung weiter verstärken", schreibt Broß in dem Brief, der dem SWR vorliegt. "Die rechtliche Überprüfung der geplanten Maßnahmen durch das Sozialministerium als Rechtsaufsichtsbehörde erscheint daher dringend geboten." Es sei zu klären, ob der Verband seine Kompetenzen überschreite und es durch die Reform zu regionalen Benachteiligungen komme.
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18 Notfallpraxen in Baden-Württemberg schließen. Das sorgt für Aufregung. Rund 90.000 Patienten könnten betroffen sein, so das Gesundheitsministerium auf SPD-Anfrage.
Lucha hält Reformkonzept für sinnvoll
Der Grünen-Politiker Lucha hatte mehrfach erklärt, die Kassenärztliche Vereinigung sei ein Organ der Selbstverwaltung, er habe hier keine Fachaufsicht. Als Rechtsaufsicht prüfe man "ausschließlich das Vorliegen von Rechtsverstößen und gegebenenfalls Überschreiten der Ermessensgrenzen", hieß es aus dem Ministerium. Man prüfe keine "Zweckmäßigkeitsüberlegungen, zum Beispiel bezogen auf einzelne Standortentscheidungen der KVBW".
Außerdem hält Lucha die Reform selbst für nötig. Schon vor Wochen hatte er deshalb angekündigt, dass es an dem Konzept der Kassenärztlichen Vereinigung keine Änderungen mehr geben werde. Stattdessen wolle er dafür sorgen, dass die Qualität der Versorgung durch telemedizinische Angebote sogar noch verbessert werde.
Städte warnen vor Vertrauensverlust in der Bevölkerung
Der Städtetag warnte Lucha, die politische Dimension dieser Entscheidungen nicht zu unterschätzen. "Gesundheit ist ein besonders sensibles Thema, das die Lebensqualität der Menschen direkt beeinflusst. Maßnahmen, die bestehende Strukturen ohne belastbare Alternativen auflösen, könnten nicht nur zu Versorgungslücken führen, sondern auch das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit staatlicher Institutionen weiter schwächen."