Medizinische Versorgung in der ländlichen Region

Was passiert, wenn die Notfallpraxis in Münsingen schließt? Das Beispiel Bad Urach

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Theresa Krampfl
Theresa Krampfl

Weite Wege, lange Wartezeiten. Das waren die Befürchtungen der Menschen aus Bad Urach, als ihre Notfallpraxis schließen musste. Wurden die Ängste wahr? Was kommt auf Münsingen zu?

Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) will einige ihrer Notfallpraxen auch in der Region Neckar-Alb schließen. Das ist letzte Woche bekannt geworden. Auf der Streichliste stehen auch die Notfallpraxen in Münsingen (Kreis Reutlingen), Albstadt (Zollernalbkreis), Bad Saulgau (Kreis Sigmaringen) oder Calw. Der Unmut vieler Bürgerinnen und Bürger und auch in der Politik ist groß. Die Einschränkungen in der medizinischen Versorgung, gerade im ländlichen Raum, seien fatal. Da sind sich alle einig: Verbände, Politik und die betroffenen Menschen vor Ort. In Bad Urach (Kreis Reutlingen) wurde eine solche Praxis vor eineinhalb Jahren geschlossen. Und tatsächlich bewahrheiteten sich die Befürchtungen.

Klinikum am Steinenberg: Notaufnahme läuft voll

Seit der Schließung der Klinik und der Notfallpraxis in Bad Urach haben sich die Patientinnen und Patienten in der Notaufnahme deutlich erhöht, sagt der Pressesprecher der Kreiskliniken Reutlingen, Christian Hirtz. Eine Folge davon: Lange Wartezeiten in der Notaufnahme. Und das, obwohl es am Reutlinger Klinikum ja auch eine Notfallpraxis mit Bereitschaftsdienst abends, am Wochenende und am Feiertag gibt. Doch das sei vielen nicht bewusst. Sie würden dann gleich in die Notaufnahme kommen, in der sie niemand abweisen würden.

In Bad Urach gibt es seit eineinhalb Jahren keine Notfallpraxis mehr. Die Menschen fühlen sich medizinisch nach und nach nicht mehr gut versorgt. Auch in Münsingen soll nun die Notfallpraxis geschlossen werden.
Viele Bad Uracher finden es ein Problem, dass die ländliche Versorgung immer weniger wird.

Auf Nachfrage in den Straßen von Bad Urach äußern viele die generelle Sorge, ihr Ort werde medizinisch abgehängt. Ob fehlende Bereitschaftsdienste, zu lange Wartezeiten auf Arzttermine oder längere Fahrtzeiten in die Klinik nach Reutlingen oder Münsingen: Sie finden das nicht gut.

Die Befürchtung des Reutlinger Kliniksprechers: Wenn nun auch die Notfallpraxis in Münsingen geschlossen wird, kommen noch mehr Menschen in die Klinik nach Reutlingen. Er findet, die KVBW werde ihrem Versorgungsauftrag nicht gerecht.

Bürgermeister von Münsingen befürchtet ebenfalls volle Notaufnahme

Der Bürgermeister von Münsingen Mike Münzing (SPD) bewertet die Entwicklungen als fatal. Wenn jetzt auch noch die Notfallpraxis in Münsingen schließe, müssten die Menschen, die im Einzugsbereich der Albklinik Münsingen leben, in die Notfallpraxis nach Reutlingen fahren. Das bedeute für einige eine Fahrtzeit mit dem Auto von bis zu 45 Minuten. Er teilt die Befürchtung des Reutlinger Kliniksprechers:

Viele würden dann doch die 110 wählen, was zur Folge hätte, dass unsere Notaufnahmen in den Kreiskliniken noch mehr überlastet werden.

Auch der Ärzte-Verband Marburger Bund Baden-Württemberg schließt sich nach einer Umfrage unter Mitgliedern dieser Auffassung an: "Rund 70 Prozent gaben an, dass sich das Patientenaufkommen seit der Einschränkung des kassenärztlichen Notfalldienstes durch die KVBW in der Notaufnahme ihrer Klinik erhöht habe."

Briefe von Bürgermeistern und Landräten an Gesundheitsminister

Seit dem Bekanntwerden der Pläne der KVBW regt sich sehr viel Widerstand in den Kommunen. 18 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und 20 Landrätinnen und Landräte aus Baden-Württemberg fordern Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) zum Handeln auf.

Wir bitten Sie, eindringlich zu überprüfen, ob die KVBW diesem gesetzlichen Auftrag heute und in Zukunft überhaupt noch hinreichend nachkommt.

Der Calwer Oberbürgermeister Florian Kling will sogar klagen. Doch Lucha reagiert, ihm seien die Hände gebunden. Er sehe rechtlich keine Möglichkeit einzuschreiten und würde gerne mit der ganzen Diskussion warten, bis die Pläne der KVBW offiziell feststehen. Gegen die geplante Schließung der Notfallpraxen wollen die betroffenen Städte und Gemeinden am Montag in Stuttgart demonstrieren. Denn am Montag will die KVBW ihr Vorhaben veröffentlichen.

Landrat von Reutlingen spricht von möglicher Lösung

Reutlingens Landrat Ulrich Fiedler (parteilos) spricht in einer Pressemitteilung von einem Lösungsvorschlag, den der Landkreis gemeinsam mit den Kreiskliniken Reutlingen auf den Weg bringen will. Mit dieser Idee sei die ambulante Notfallversorgung im ländlichen Raum sichergestellt.

Diese Lösung wolle man schon im nächsten Jahr in Münsingen erproben, so Fiedler, und könne sie dann auf das ganze Land ausweiten. Er stehe dazu im Austausch mit der KVBW und dem Sozialministerium. Worum es dabei genau geht, möchte das Landratsamt noch nicht öffentlich machen.

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