- Ab wann sollen die 18 Notfallpraxen geschlossen werden?
- Können die Schließungen noch verhindert werden?
- Was sind die zentralen Kritikpunkte?
- Wo sollen sich Patientinnen und Patienten künftig hinwenden?
- Was machen Menschen, die kein Auto haben?
- Woher kommen die Ärztinnen und Ärzte künftig?
Im Streit um die Schließung von 18 Notfallpraxen in Baden-Württemberg bleiben die Fronten verhärtet: Im Sozialausschuss im Landtag hat die SPD am Mittwoch an der Rolle von Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) Zweifel angemeldet und Akteneinsicht beantragt. Die Sozialdemokraten wollen wissen, ob das Gesundheitsministerium das umstrittene Konzept der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) gründlich geprüft hat. Auch wenn dieser Antrag abgelehnt wurde: Die emotionalen Wellen schlagen weiter hoch.
Doch trotz aller Kritik: Eine Abkehr von den geplanten Schließungen wird immer unwahrscheinlicher.
Ab wann sollen die 18 Notfallpraxen geschlossen werden?
18 Notfallpraxen sollen ab dem 1. April 2025 schrittweise geschlossen werden. Davon geht das Sozialministerium aus.
Nach Angaben der KVBW hat es an den zu schließenden Standorten noch keine Kündigungen gegeben. Vor dem Sozialausschuss begründete die stellvertretende Vorstandsvorsitzende Doris Reinhart das damit, dass man die Medizinischen Fachangestellen zur Ertüchtigung der weiterhin vorhandenen Strukturen brauche.
Können die Schließungen noch verhindert werden?
Dazu stehen Forderungen nach Diskussionsformaten auf lokaler und auf Landesebene im Raum. Zuletzt hatte die Ärztegewerkschaft Marburger Bund von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Sozialminister Lucha einen Gipfel zum Thema Notfallpraxen gefordert. Doch der Minister will dieser Forderung nicht nachkommen. Lucha stärkt stattdessen der Kassenärztlichen Vereinigung beim eingeschlagenen Kurs den Rücken. Vor dem Sozialausschuss sagte Lucha am Dienstag, er stehe hinter diesem Konzept und halte es für "unablässig für die Zukunftsfähigkeit".
Anders sieht es der Oberbürgermeister von Nagold, Jürgen Großmann (CDU), der beim Wegfall seiner Notfallpraxis einen großen weißen Fleck auf der Landkarte befürchtet: Oberndorf (Kreis Rottweil), Herrenberg (Kreis Böblingen), Nagold, Horb, die Menschen in diesem Bereich hätten keine Anlaufstelle mehr, so Großmann. Im Gespräch mit dem SWR kritisiert er vor allem die bisherige Kommunikationsstrategie der KVBW und die fehlende Transparenz bei ihren bisherigen Entscheidungen. Die KVBW als Körperschaft des öffentlichen Rechts müsse ihr Handeln am Wohl der Bevölkerung ausrichten: "Deswegen haben wir einen Rechtsanspruch, dass das erläutert und transparent gemacht wird. Ein Geheimverfahren gibt es im Rechtsstaat nicht", so Großmann.
Ob die Schließungen noch verhindert können, ist fraglich. Der Vorsitzende des Sozialausschusses im Landtag, der SPD-Abgeordnete Florian Wahl, will dennoch "um jede Notfallpraxis im Land" kämpfen, wie er dem SWR mitteilte. Er verwies auf Unterschriftenaktionen und einen engen Austausch mit den betroffenen Bürgermeistern.
Was sind die zentralen Kritikpunkte?
Eine Mehrheit der Mitglieder des Sozialausschusses im BW-Landtag lehnt eine solche Maßnahme ab. Der Ausschuss-Vorsitzende im Landtag, der SPD-Abgeordnete Florian Wahl, teilte dem SWR mit, es sei schockierend, dass Gesundheitsminister Lucha dem Gebaren der KVBW keinen Einhalt gebiete, sondern ihr noch den Rücken stärke. Die Skepsis gegenüber den angekündigten Schließungen bleibt auch bei der CDU hoch. "So geht es nicht", sagte der CDU-Abgeordnete Ulli Hockenberger gegenüber Lucha im öffentlichen Teil der Ausschusssitzung am Dienstag.
Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund befürchtet weiterhin eine Kettenreaktion. Vielerorts falle eine bekannte regionale Anlaufstelle weg. Deshalb drohe die Gefahr, dass viele Patientinnen und Patienten nicht weitere Wege auf sich nähmen, sondern stattdessen in die Ambulanz des nächsten Krankenhauses gehen. Dann drohe dort eine Überforderung.
Gesundheitspolitikerinnen und -politiker mehrere Fraktionen kritisieren, dass die Zahl der zu schließenden Notarztpraxen zu hoch gegriffen sei. Angesichts der bisherigen Schließungen und der 18 weiteren Standorte, die wegfallen sollen, sprechen manche in der Opposition von einem Kahlschlag im System der Versorgung.
Wo sollen sich Patientinnen und Patienten künftig hinwenden?
Künftig soll jeder Stadt- und Landkreis mindestens eine Notfallpraxis haben. Außerdem sollen die Praxen für alle Menschen in Baden-Württemberg innerhalb von 30 bis 40 Minuten Fahrzeit erreichbar sein.
Für einen Teil der Patientinnen und Patienten würde das weitere Wege als bisher bedeuten. Im Gegenzug soll ein funktionierendes Navigations- und Lotsensystem aufgebaut werden. Auch mehr telemedizinische Angebote - also eine medizinische Beratung per Video- oder Telefon - wurden angekündigt. Ein Anruf bei der Nummer 116117 soll den Patientinnen und Patienten zudem künftig schneller und besser aufzeigen, wo der richtige Behandlungsort ist.
Was machen Menschen, die kein Auto haben?
Das Angebot der Fahrdienste soll ausgebaut und verbessert werden. Ortungssysteme sollen die fahrenden Krankentransporte besser koordinieren. Außerdem soll es weiterhin Hausbesuche geben: "Ich will nicht, dass eine aufgeregte 85-Jährige ihren 85- jährigen Mann ins Auto zwingt und sagt, wir müssen da jetzt hinfahren", so Doris Reinhart von der KVBW. "Da bekommt sie natürlich einen Hausbesuch." Das gelte aber nicht für den 35-Jährigen, der wegen Rückenschmerzen eine Spritze wolle und deswegen nicht ins Auto sitzen möchte.
Woher kommen die Ärzte künftig?
Ärzte und medizinisches Personal, das an den bisherigen Standorten eingesetzt war, soll an den verbleibenden Standorten eingesetzt werden. Sozialminister Lucha sagte auf Nachfrage, die bisherigen Praxen sollten erst schließen, wenn die Strukturen gestärkt sind, die die bisherigen Patientinnen und Patienten aufnehmen sollen. "Für mich ist wichtig, dass in jedem Stadt- und Landkreis ein starkes Angebot da ist. Und die müssen leistungsfähig sein und die müssen belastbar sein. Und die müssen krisenfest sein, da dürfen wir nicht in zwei, drei Jahren wieder diskutieren."
Fakt ist: Baden-Württemberg steht vor einer tiefgreifenden Umstrukturierung seines ärztlichen Versorgungssystems. Dabei sind Positiv-Effekte möglich: Digitalisierung und eine bessere Koordinierung von Ressourcen. Die KVBW erhofft sich auch von neuen medizinischen Berufen einen positiven Effekt. Gleichzeitig wachsen in einer älter werdenden Gesellschaft auch die Bedürfnisse - und ausreichend Nachwuchs an Ärztinnen und Ärztinnen fehlt bereits jetzt.