Woche der Wiederbelebung

Warum mehr Menschen überleben würden, wenn die Rettungsdienste besser ausgestattet wären

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Oliver Linsenmaier
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Michael Ströbel
SWR-Redakteur Michael Ströbel
Patrick Hünerfeld
SWR Data Lab
SWR Data Lab

In der Woche der Wiederbelebung rückt die Reanimation näher in den Fokus. SWR-Recherchen zeigen: Hunderte Menschen könnten einen Herzstillstand überleben. Wenn die Bedingungen stimmten.

Rund 350 Menschen, die in Baden-Württemberg jedes Jahr wegen eines Herz-Kreislauf-Stillstandes sterben, könnten bei entsprechenden Strukturen in der Notfallversorgung gerettet werden. Das zeigen Berechnungen des SWR Data Lab, welches Daten von 283 Rettungsdienstbereichen in ganz Deutschland ausgewertet hat. Bundesweit sind es hochgerechnet sogar 2.600 Menschen, die gerettet werden könnten.

Herzstillstand dritthäufigste Todesursache außerhalb der Krankenhäuser

So überleben in Deutschland hochgerechnet bei 55.000 Reanimationen gerade einmal 7.400 Patientinnen und Patienten, also gerade einmal 13 Prozent. In Baden-Württemberg entspricht das bei etwas mehr als 7.300 Reanimationen rund 1.000 Menschen. Laut Bundesgesundheitsministerium ist der Herz-Kreislauf-Stillstand die dritthäufigste Todesursache außerhalb der Krankenhäuser. Ob man überlebt, hängt dabei auch davon ab, in welcher Region man lebt. Wie die Lage in Ihrer Region ist, erfahren Sie hier.

"Es ist von Landkreis zu Landkreis, von Gebiet zu Gebiet völlig unterschiedlich, wie ihnen geholfen wird. Es gibt leider Gebiete von denen man weiß, dass es nicht ganz so toll ist", sagt Christof Chowjka, Geschäftsführer der Björn-Steiger-Stiftung, die sich für die Verbesserung der Notfallhilfe in Deutschland einsetzt. "Punktuell gibt es super Sachen, aber so dass ich sagen würde: 'Das ganze Bundesland hat ein in sich schlüssiges, tolles System' - davon sind wir weit entfernt."

Nur wenige Rettungsdienste in BW schaffen zeitliche Empfehlung

Entscheidend bei solchen Notfällen ist vor allem der Faktor Zeit, schon nach wenigen Minuten sterben beim Herz-Kreislauf-Stillstand Hirnzellen ab. Im Optimalfall sollte der Rettungsdienst ab dem Zeitpunkt der Alarmierung innerhalb von acht Minuten vor Ort sein. Das empfehlen medizinische Fachgesellschaften. Bei mehr als 70 Prozent der Einsätze schaffen das in Baden-Württemberg aber gerade einmal 2 von 35 Rettungsdienstbereiche. Am besten schneidet hier der Stadtkreis Mannheim mit knapp 78 Prozent ab, gefolgt vom Landkreis Schwäbisch Hall mit gut 73 Prozent.

Bei den übrigen 33 Rettungsdienstbereichen im Land sind die Werte teilweise deutlich niedriger. Am schlechtesten in Baden-Württemberg schneiden die Kreise Neckar-Odenwald (41 Prozent), Waldshut (42 Prozent) und Biberach (44 Prozent) ab. Die Landeshauptstadt Stuttgart liegt mit knapp 57 Prozent im Mittelfeld. Das ergab eine Auswertung von Daten, die die Rettungsdienstbereiche selbst dem SWR auf Anfrage zugesendet haben. Wichtig: Diese Daten beleuchten nur einen Teil einer sehr komplexen Rettungskette.

Wie maßgeblich der Wohn- beziehungsweise Aufenthaltsort für eine rasche Behandlung ist, zeigen auch exklusive Krankenkassendaten an anderer Stelle: So wurden in Baden-Württemberg zwischen 2020 und 2022 deutlich weniger reanimierte Patientinnen und Patienten lebend ins Krankenhaus eingeliefert als statistisch zu erwarten gewesen wäre. Besonders schlecht steht hier der Stadt- und im Landkreis Karlsruhe da.

Überlebenschancen in Pforzheim und Karlsruhe sehr unterschiedlich

Deutlich über dem statistisch erwarteten Durchschnitt liegen die Rettungsdienstbereiche Bodensee-Oberschwaben und Enzkreis/Stadt Pforzheim. Besonders auffällig hierbei: Während im Enzkreis und in Pforzheim deutlich mehr reanimierte Patienten lebend ins Krankenhaus gebracht wurden, schaffen es im benachbarten Kreis Karlsruhe deutlich weniger reanimierte Patienten lebend ins Krankenhaus.

Die Gründe für das Übertreffen oder Verfehlen der Erwartung sind vielfältig und meist nicht eindeutig. Zwar können abweichende Werte ein Hinweis auf systemische Missstände in der Rettungskette sein. Es kann beispielsweise aber auch an den Entfernungen im Rettungsdienstbereich, der Ausstattung des Rettungsdienstes oder der Anwesenheit von möglichen Ersthelfenden liegen. Der Rettungsdienstbereich ist also nur bedingt für diese Umstände verantwortlich.

Nicht überall in BW wird der Notruf standardisiert abgefragt

Helfen könnten in Notfällen strukturierte oder standardisierte Notrufabfragen (SSNA) in den Leitstellen. Dabei handelt es sich um festgelegte Abfragesysteme mit Hilfe einer Software. Studien zeigen, dass der Einsatz einer SSNA dazu beiträgt, lebensbedrohliche Notfälle zuverlässiger und schneller zu erkennen. Allerdings gibt es in Baden-Württemberg keine gesetzliche Pflicht, die SSNA einzusetzen.

Nur 23 der 34 Leitstellen (Heidenheim und der Ostalbkreis teilen sich eine gemeinsame Leitstelle) im Land nutzen eine SSNA. Nicht mit dabei sind die Kreise Göppingen, Reutlingen, Tübingen, Böblingen, Calw sowie der Ortenaukreis, der Schwarzwald-Baar-Kreis, der Neckar-Odenwald-Kreis und der Main-Tauber-Kreis. Auch der Stadtkreis Heidelberg/Rhein-Neckar-Kreis und der Enzkreis/Stadtkreis Pforzheim verzichten darauf.

Chefarzt aus Göppingen fordert Politik zum Handeln auf

Hier sieht auch Matthias Fischer, Chefarzt für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie des Alb-Fils-Klinikums in Göppingen, dringenden Handlungsbedarf. Mit Blick auf die flächendeckende Standardisierung müsse der Gesetzgebung reagieren, so Fischer: "Der Süden scheint mir insgesamt etwas löchriger unterwegs zu sein als der Norden und der Osten der Republik."

Darüber hinaus kann ein Qualitätsmanagementsystem bei der Verbesserung der Strukturen helfen. Hier steht Baden-Württemberg sehr gut da. Alle 35 Rettungsdienstbereiche im Land haben angegeben, solch ein System in ihrer Leitstelle zu nutzen. Im Bund verfügen nur die Hälfte aller Rettungsdienstbereiche über ein Qualitätsmanagementsystem. Ebenfalls sehr gut in Baden-Württemberg ist der jährlich erscheinende Qualitätsbericht der SQR-BW. Da es ihn in dieser Form in Deutschland aber kein zweites Mal gibt, ist dieser leider nicht mit anderen Bundesländern vergleichbar.

Mehr Ersthelfer: First-Responder-Apps können Leben retten

Verbesserungspotenzial hat Baden-Württemberg auch bei den Ersthelfern. Über sogenannte First-Responder-Apps können professionelle Ersthelfer zeitgleich mit dem Notruf alarmiert werden. Personen, die sich in den Apps registriert haben und sich nah am Einsatzort befinden, könnten so möglicherweise schneller mit der Wiederbelebung beginnen als die Einsatzkräfte.

Jedoch nutzen in Baden-Württemberg nur 20 der 35 Rettungsdienstbereiche solche Apps. Bei acht sind sie zumindest in Planung, bei sieben überhaupt nicht vorhanden. Hier fallen der Main-Tauber-Kreis, der Hohenlohekreis, der Zollernalbkreis, der Kreis Tuttlingen und Bodensee-Oberschwaben ab. Auch der Stadt- und Landkreis Karlsruhe sowie der Stadtkreis Heidelberg/Rhein-Neckar-Kreis verwenden keine First-Responder-Apps und planen dies auch nicht.

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