Eine gemeinsame Datenrecherche der SWR-Story, SWR-Wissen und des SWR Data Lab hat ergeben, dass nicht alle Rettungsdienste in der Region Bodensee-Oberschwaben gleich schnell vor Ort sind. Allerdings zählt bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand jede Minute. Wird im Notfall eine Person nicht innerhalb von zehn Minuten reanimiert, sinkt die Wahrscheinlichkeit zu überleben gegen Null.
Woche der Wiederbelebung Warum mehr Menschen überleben würden, wenn die Rettungsdienste besser ausgestattet wären
In der Woche der Wiederbelebung rückt die Reanimation näher in den Fokus. SWR-Recherchen zeigen: Hunderte Menschen mehr könnten einen Herzstillstand überleben. Wenn die Bedingungen stimmten.
Laut SWR-Daten sind die Rettungsdienstbereiche Biberach (Kreis Biberach), Bodensee-Oberschwaben (Bodenseekreis, Kreis Ravensburg und Sigmaringen) und Konstanz (Kreis Konstanz) hier auf einem guten Weg. Auch etwa durch den Einsatz ehrenamtlicher Ersthelfer in der Rettungskette. Denn sie starten die Reanimation vor Ort, bis der Rettungsdienst eintrifft und übernimmt.
Eintreffzeit des Rettungsdienstes vor Ort
Medizinische Fachgesellschaften empfehlen, dass mindestens 80 Prozent der Reanimationsfälle innerhalb von 8 Minuten vor Ort professionell versorgt werden sollten. Die Rettungsdienstbereiche Biberach, Bodensee-Oberschwaben und Konstanz können diese Zeiten nicht einhalten. Nach einer Datenauswertung des SWR Data Lab schafft es Biberach in 44 Prozent der Reanimationseinsätze, Konstanz in 59 Prozent und Bodensee-Oberschwaben in 68 Prozent.
Zum Vergleich: Bundesweit schaffen es nur 24 Rettungsdienstbereiche, dass der erste Rettungswagen in 80 Prozent der Reanimationseinsätze in unter acht Minuten am Notfallort eintrifft. Mehr als 130 Rettungsdienstbereiche erreichen diesen Zielwert nach Berechnung des SWR Data Lab nicht. In den übrigen Bereichen liegen keine Angaben vor.
Neues Rettungsdienstgesetz in Baden-Württemberg verabschiedet
Allerdings gibt das baden-württembergische Rettungsdienstgesetz als Eintreffzeit bei Reanimationseinsätzen bisher vor, dass die Rettungskräfte in der Regel in 10 bis 15 Minuten nach Eingang des Notrufs eintreffen sollen. Dabei wird nicht nach Art des Notfalls unterschieden. Beim neuen Rettungsdienstgesetz soll die Frist nun auf 12 Minuten begrenzt werden. Die neue Hilfsfrist soll in 95 Prozent der Fälle eingehalten werden. Daneben ist eine stärkere Differenzierung geplant: Bei akuten Notfällen wie einem Herzinfarkt sollen die Rettungdienste schneller beim Patienten sein als bei einem Beinbruch.
Retter sollen schneller am Einsatzort sein Landtag beschließt neues Rettungsdienstgesetz für BW
Der baden-württembergische Landtag hat einem neuen Rettungsdienstgesetz zugestimmt. Es sieht vor, dass Einsatzkräfte schneller vor Ort sind und Ersthelfer per App informiert werden.
Erste Hilfe-Kurse: Jeder kann Leben retten
Weil die Rettungsdienste etwa wegen Wetter- und Verkehrslage oder anderen parallelen Notrufen nicht immer in der vorgeschriebenen Frist eintreffen, ist entscheidend, wie schnell andere Menschen vor Ort eine Herz-Druck-Massage zur Wiederbelebung durchführen. Da sei auch die Bevölkerung gefragt, sagt der Vorsitzende des Bereichausschusses im Rettungsdienstbereich Konstanz, José da Silva. Jeder könne dies in Erste-Hilfe-Kursen erlernen und so Menschenleben retten.
Weiterer Faktor in der Rettungskette: First-Responder-App
Ob ein Mensch einen Herz-Kreislauf-Stillstand überlebt, hängt nicht nur von der Eintreffzeit des Rettungsdienstes ab, sondern auch von verschiedenen Faktoren in der gesamten Rettungskette. So hat der Rettungsdienstbereich Biberach als einer der ersten in Baden-Württemberg vor vier Jahren eine flächendeckende so genannte First-Responder-App eingeführt. In dieser Handy-App registrieren sich ehrenamtliche ausgebildete Ersthelfer. Gibt es einen Herz-Kreislauf-Stillstand, werden per App die Helfer kontaktiert, die sich am nächsten am Unfallort befinden. Durch diese georeferenzierte Kontaktierung per Smartphone können diese Ersthelfer vor dem Rettungsdienst vor Ort sein, mit Wiederbelebungsmassnahmen beginnen oder sie von Menschen vor Ort übernehmen und übergeben dann an den später eintreffenden Rettungsdienst. Aktuell sind im Bereich Biberach nach eigenen Angaben 288 Helfer registriert. Finanziert wird die App durch den DRK-Kreisverband mit Hilfe von zweckgebundenen Spenden.
Konstanz führt First-Responder-App ein
Im Rettungsdienstbereich Konstanz gibt es so eine App noch nicht. Grund dafür sei die fehlende Finanzierung gewesen, so der Vorsitzender des Bereichsausschusses José da Silva. Nun habe sich aber der Landkreis Konstanz bereit erklärt, die Kosten zu übernehmen. Darum wird die App im September an den Start gehen. Aktuell sei man dabei, bei den verschiedenen Hilfsorganisationen im Kreis Helferinnen und Helfer zu suchen, die sich in der App registrieren. Baden-Württemberg plant ein neues Rettungsdienstgesetz. Darin soll für eine solche Handy-basierte Lebensretter-App die Rechtsgrundlage geschaffen werden.
#Notfall Rettung Woche der Wiederbelebung: Wenn der Notruf zu lange dauert
Ob eine Wiederbelebung gelingt, entscheidet sich häufig schon in der Leitstelle. SWR-Recherchen zeigen, dass nicht alle Notrufzentralen mit den modernsten Mitteln arbeiten. Das kostet Leben.
Die Notrufabfrage in den Leitstellen erfolgt in der Region Bodensee-Oberschwaben standardisiert oder strukturiert
Auch positiv ist, dass in den Rettungsdienstbereichen Biberach, Bodensee-Oberschwaben und Konstanz die Notrufabfrage in den Leitstellen strukturiert oder standardisiert erfolgt. Das heißt, geht ein Notruf ein, wird am Telefon nach festen Vorgaben und nicht aus dem Bauch heraus gefragt. Dies führt laut Experten dazu, dass ein Herz-Kreislauf-Stillstand möglichst schnell erkannt wird. Laut der SWR-Recherche nutzen mindestens ein Fünftel der deutschen Rettungsdienstbereiche solche Systeme bislang nicht in ihren Leitstellen.
Telefonische Anleitung zur Reanimation
Erkennt eine Leitstelle einen Herzstillstand bei einem Notruf, ist eine wichtige Sofortmaßnahme zur Erhöhung der Überlebenschance die Anleitung zur Reanimation per Telefon. Zwei Drittel der Rettungsdienstbereiche in Deutschland gaben auf SWR-Anfrage die konkrete Anzahl der durchgeführten Telefonreanimationen in ihrer Leitstelle an. Dazu gehören auch Biberach und Konstanz. Der Rettungsdienstbereich Bodensee-Oberschwaben konnte laut dem SWR Data Lab keine Angaben zur Anzahl solcher Telefonate machen. Das bedeutet allerdings nicht, dass hier keine Telefonreanimation durchgeführt wird. Generell zeigt die Recherche, dass die Durchführung der lebensrettenden Maßnahme noch nicht in allen Leitstellen in Deutschland ausreichend dokumentiert und optimiert wird. In Baden-Württemberg ist die Dokumentation der Häufigkeit der Telefonanimation aber weitestgehend Standard.
Qualitätsmanagement der Leitstellen in ganz Baden-Württemberg Standard
Positiv in der Region Bodensee-Oberschwaben wie in ganz Baden-Württemberg ist, dass alle Rettungsdienstbereiche ein Qualitätsmanagement durchführen. Das bedeutet, dass sich die Leitstellen systematisch mit den eigenen Abläufen bei Reanimationen befassen und so ihre Qualität verbessern können. Deutschlandweit haben nach Anfrage und weiterer Recherche des SWR Data Lab nur gut die Hälfte aller Rettungsdienstbereiche ein Qualitätsmanagementsystem in der Leitstelle.
Mehr Geld für Rettungsdienste in der Fläche?
Gefragt ist beim Thema Rettungsdienste und deren Ausstattung auch die Politik. Sollen die Rettungsdienste bei Notfällen schneller vor Ort sein, braucht es unter anderem mehr Rettungswachen vor allem in den ländlichen Regionen. Doch sowas kostet Geld. Geld, über das die Landesregierungen und Kommunen entscheiden.