Dauerhafte Grenzkontrollen, Einreiseverbote für Menschen ohne gültige Einreisedokumente, Abschiebehaft - das sind unter anderem Inhalte des Fünf-Punkte-Plans der Union für mehr Zurückweisungen an der deutschen Grenze. Am Mittwoch hat der Bundestag dem Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik zugestimmt - auch mit Stimmen der AfD. Die in Teilen gesichert rechtsextreme Partei hatte das Ergebnis daraufhin im Bundestag gefeiert. Die Abstimmung über eine Verschärfung der Asylpolitik sorgt auch im baden-württembergischen Landtag für kontroverse Diskussionen.
Grüne in BW: Merz-Migrationspläne "absolutes No-Go"
Von einem "absoluten No-Go" sprach Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz habe sein Wort gebrochen und sich von rechten Mehrheiten verführen lassen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte Merz am Dienstag noch gewarnt, sich auf Glatteis zu begeben: "Auch wenn ich etwas billigend in Kauf nehme, kann es zu schweren Kollateralschäden führen." Der SPD-Abgeordnete Boris Weihrauch betonte, die demokratische Mitte in Deutschland dürfe nicht mit Verfassungsfeinden und Rechtsextremisten paktieren.
Der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU, Winfried Mack, sagte, die Menschen erwarteten, dass Probleme gelöst würden. Nachdem der Bundeskanzler seine Mehrheit verloren habe, werde mit wechselnden Mehrheiten abgestimmt. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke wüsste nicht, welches Tabu gebrochen sein sollte, wenn die Union einen vernünftigen und notwendigen Antrag stelle. Der AfD-Abgeordnete Bernd Gögel sprach von einer gewöhnlichen Abstimmung im Bundestag, die man respektieren müsse.
Ex-Bundeskanzlerin Merkel distanziert sich vom Verhalten ihrer Partei
Ex-Bundeskanzlerin und frühere Unionschefin Angela Merkel bezeichnet das Vorgehen des CDU-Vorsitzenden Merz als "falsch". In einer Erklärung erläutert sie, dass sie Merz’ Position aus dem November 2024 zwar für richtig halte, dass man Mehrheiten jedoch nur mit Parteien der Mitte suchen sollte. "Dieser Vorschlag und die mit ihm verbundene Haltung waren Ausdruck großer staatspolitischer Verantwortung, die ich vollumfänglich unterstütze", so Merkel. Für falsch halte es die Ex-Kanzlerin, "sich nicht mehr an diesen Vorschlag gebunden zu fühlen und dadurch am 29. Januar 2025 sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen."
Nach Unionsvotum mit der AfD Merkel geht auf Distanz zu Merz
Nach der Abstimmung mit der AfD hagelt es weiter Kritik an der Union. Ex-Kanzlerin Merkel nannte das Vorgehen von CDU-Chef Merz "falsch". Mehrere CDU-Länderchefs appellieren eindr…
Kommunikationsexperte hält Merkels Erklärung für ungewöhnlich
Frank Brettschneider, Lehrstuhlinhaber für Kommunikationswissenschaften an der Uni Hohenheim, hält die Stellungnahme von Angela Merkel aus mehreren Gründen für ungewöhnlich. Meinungsdifferenzen würden normalerweise so kurz vor der Wahl nicht öffentlich ausgetragen, schildert Brettschneider auf Anfrage des SWR. "Dass Frau Merkel Herrn Merz dennoch kritisiert, ist bemerkenswert", sagt der Kommunikationswissenschaftler, "und es lässt vermuten, dass sie das Verhalten von Herrn Merz so falsch findet, dass sie sich sogar über diese Gepflogenheit hinwegsetzt."
Auch die Form der Kritik hält Brettschneider für ungewöhnlich. In ihrer Erklärung spreche Merkel dem CDU-Chef staatspolitische Verantwortung ab, "damit ist Herr Merz jetzt vollends in der Defensive". CDU-Politikerinnen und Politiker würden in den kommenden Tagen vor die Frage gestellt, ob sie zu Merz halten oder Merkels Meinung teilen: "Das schafft eine Menge innerparteiliche Unruhen. Das weiß auch Frau Merkel."
Oettinger unterstützt die Forderung von Friedrich Merz
Der ehemalige BW-Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) geht nicht davon aus, dass die Erklärung Merkels dem Kanzlerkandidaten Merz schaden wird. Es sei normal, dass sich die Ex-Kanzlerin dazu geäußert habe: "Wenn sie nichts gesagt hätte, wäre sie dazu befragt worden." Wie Oettinger dem SWR mitteilte, unterstütze er den Migrationskurs von Friedrich Merz: "Ich halte das Vorgehen für richtig."
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) hätte sich hingegen gewünscht, dass die Altkanzlerin zu der Causa geschwiegen hätte. "Si tacuisses, philosopha mansisses", sagte Strobl dem SWR. Übersetzt aus dem Lateinischen heißt das: "Wenn du geschwiegen hättest, wärst du eine Philosophin geblieben." Strobl hatte erst vor wenigen Tagen die Flüchtlingspolitik der ehemaligen Kanzlerin kritisiert.
Flüchtlingspolitik und AfD-Aufstieg BW-Innenminister Strobl auf Distanz zu Merkel: Hätten Grenzen früher sichern müssen
Viele sehen Angela Merkels Flüchtlingspolitik als Auslöser für den Aufstieg der AfD. Die damalige CDU-Spitze um Merkel hielt sich mit Kritik eher zurück. Zumindest bisher.
DGB fordert CDU zur Wiederherstellung der Brandmauer auf
Wegen des angenommenen Antrags der Union warnte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Baden-Württemberg vor weiteren Tabubrüchen im Bund und im Land. "Die CDU hat ohne Wenn und Aber jetzt die historische Aufgabe, die Brandmauer gegen Rechts schleunigst und ein für alle Mal wieder herzustellen", sagte Kai Burmeister, der Vorsitzende der DGB Baden-Württemberg. Mit den Stimmen der AfD habe die CDU "bewusst einen Vertrauensbruch gegenüber den Wählern begangen".
CDU-Abgeordnete Widmann-Mauz stimmte wegen AfD nicht ab
Bei den Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg stimmten Mitglieder der CDU, der AfD sowie der FDP für den Unionsantrag zur Verschärfung der Migration - vier Stimmen wurden nicht abgegeben. Die Abgeordneten von Grüne, SPD stimmten einheitlich dagegen. Bei der Linken gab es eine Stimme dagegen, eine Stimme wurde nicht abgegeben. Die BSW-Abgeordnete Jessica Tatti enthielt sich.
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Annette Widmann-Mauz aus Tübingen hat sich nach eigenen Angaben bewusst nicht an der Abstimmung beteiligt. "Ein Zusammenwirken mit der AfD, einer bereits jetzt in Teilen gesichert rechtsextremen Partei, kam und kommt für mich auch in der letzten Sitzungswoche meiner Mandatszeit nicht in Frage - aus Verantwortung aus unserer Geschichte und für die Demokratie in unserem Land", sagte die ehemalige Migrationsbeauftragte. Für sie sei dennoch ein Politikwechsel in der Asyl- und Migrationspolitik nur mit der CDU möglich.
JU-Landeschef Hummel sieht die Verantwortung bei SPD und Grünen
Der Landeschef der Jungen Union (JU) Baden-Württemberg, Florian Hummel, sieht die Verantwortung für das Abstimmungsergebnis bei der SPD und den Grünen. "Die Parteien verweigern sich seit Jahren aktiv jeder Lösung in der Migrationsfrage - entgegen einer offensichtlichen Mehrheit in der Bevölkerung", schildert Hummel auf SWR-Anfrage. Auch unter SPD-Wählern sei eine Mehrheit für eine "wirksame Begrenzung der Migration".
Hummel fügt hinzu: "Die grün-rote Migrationspolitik wirkt wie ein Brandbeschleuniger für die Polarisierung unserer Gesellschaft und den Aufstieg der AfD. Der Union jetzt zum Vorwurf zu machen, das Problem aus der Mitte des Bundestages heraus lösen zu wollen, ist an Doppelmoral nicht zu überbieten."
Warken: "Die AfD ist der Feind der Demokratie und wir kämpfen gegen sie"
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Nina Warken, sagt, die SPD habe "nichts hinbekommen". "Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg - wir akzeptieren diese Anschläge nicht als Normalität. Wir schauen hier nicht ohnmächtig zu und zeigen wie Olaf Scholz mit dem Finger auf andere", erläutert Warken auf SWR-Anfrage.
Warken, die für den Wahlkreis Odenwald-Tauber im Bundestag sitzt, sagt, Merz packe das Problem an und zeige einen Lösungsweg. "Wer das Thema Migration den politischen Rändern überlässt, gibt Wasser auf die Mühlen der AfD." Trotzdem stehe die CDU Deutschlands zu ihren Überzeugungen: "Die AfD ist der Feind der Demokratie und wir kämpfen gegen sie." Sowohl Florian Hummel als auch Nina Warken äußerten sich nicht zur Erklärung der Ex-Kanzlerin Merkel.
SWR-Rechtsexperte: Asyl-Pläne der Union rechtlich schwierig
Kolja Schwartz aus der SWR Rechtsredaktion hat die Pläne von Merz rechtlich eingeordnet. Demnach gebe es zum Teil erhebliche Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit. Die meisten Europarechtler würden betonen, dass es nicht möglich sei, Grenzen komplett zu schließen und alle, die nach Deutschland kommen wollen, zurückzuweisen. Auch direkte Zurückweisungen an der Grenze sprächen gegen das Europarecht, so seine Einschätzung." Sollte sich Deutschland über das geltende Recht hinwegsetzen, müsse man damit rechnen, dass Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt werde, so Schwartz.
SWR-Rechtsexperte Kolja Schwartz sieht bei den Plänen von Merz Kollisionen mit dem EU-Recht. Im Gespräch mit SWR Aktuell konkretisierte er, an welchen Stellen dies der Fall sein könnte: