Schon vorher hatte der SWR über Details der Missstände berichtet, jetzt machen es mehr als 20 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte von suchtkranken Straftätern im Maßregelvollzug im früheren Gefängnis "Fauler Pelz" in Heidelberg offiziell: In einem Brandbrief listen sie eine Vielzahl von Missständen auf.
Das Schreiben ging an alle Fraktionen außer die AfD. Im Sozialausschuss am Mittwoch muss sich Minister Manfred Lucha (Grüne) den Fragen der Ausschussmitglieder stellen. Das 13 Seiten lange Schriftstück listet eine Vielzahl von gravierenden Missständen auf.
Zu wenig Pflege, zu wenig Therapie
Es gebe zu wenig Pflegekräfte und zeitweise kaum Therapiestunden. Es seien weniger Pflegekräfte als vereinbart im Dienst, viele hätten gekündigt. Viele neu eingestellte Pflegekräfte seien fachfremd im suchtmedizinischen Bereich, so die Anwälte. Für fünf Stationen gebe es meist nur zwei bis drei Pflegekräfte. Das Sozialministerium hatte dagegen bekräftigt, die therapeutische und pflegerische Versorgung sei gut.
Die Sicherheitsdienste, die in Heidelberg erstmals in dieser Form in einem Maßregelvollzug eingesetzt werden, seien für Drogen-Screenings, Leibesvisitationen und Kontrollen der Hafträume zuständig. Diese Machtposition werde ausgenutzt. Manche Sicherheitskräfte würden gegen Gegenleistung anbieten, Urinproben zu fälschen oder Drogen zu besorgen.
Sie seien entgegen den Vorschriften häufig mit ihren privaten Mobiltelefonen beschäftigt und würden die Patienten schikanieren. Es bestehe der Verdacht, dass Personen ohne Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis eingesetzt würden. Es würden Drogen von Sicherheitsleuten oder Pflegekräften eingeschmuggelt.
Vor kurzem war im Faulen Pelz ein 27-Jähriger gestorben, nach SWR-Informationen nach Drogenkonsum. Viele der eingesetzten Sicherheitskräfte würden nur wenig Deutsch sprechen.
Stellungnahme des Sozialministeriums
Das Sozialministerium hatte auf SWR-Anfrage zu einigen der bereits vorher durchgesickerten Missstände Stellung bezogen und sie größtenteils zurückgewiesen. Es würden regelmäßig Drogenscreenings durchgeführt, jeder Patient werde mindestens ein Mal pro Woche und bei einem Verdacht auch außerplanmäßig getestet. Das Ministerium räumt allerdings ein, dass Drogen gefunden worden seien.
Der Ärztliche Leiter des Maßregelvollzugs in Heidelberg, Matthias Wagner, hatte im SWR-Interview zu den Sicherheitskräften eingeräumt, dass es mangelnde Sprachkenntnisse bei den Sicherheitskräften gebe. Ansonsten sei von den Vorwürfen nichts bekannt.
Beim Essen wurde nachgebessert
Das Essen sei zeitweise ungenießbar gewesen, so die Anwälte. Das Sozialministerium hatte darauf geantwortet, es sei mit einem Wechsel des Caterers reagiert worden.
Die 26 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte nennen zudem eine Vielzahl baulicher Mängel. Die Heizung sei im Winter im Bauheizungs-Modus gewesen, es seien deshalb mitunter nur neun Grad in Hafträumen und manchen Büros erreicht worden. Außerdem komme nur kaltes Wasser in den Sanitärräumen aus den Leitungen, das teilweise braun verfärbt sei.
In den Duschen sei das Wasser dagegen so heiß, dass sie nicht benutzbar seien. Die Fenster in den Sanitärräumen seien zugeschraubt, die Lüftung erfolge durch gebohrte Löcher im Milchglas, was zu unerträglicher Luft führe.
Schimmel und Schädlinge
Es gebe Schimmelbefall und es habe Probleme mit Kakerlaken und Nagern gegeben. Es fehle an Geschirr, Mobiliar, Besteck, Mülleimern. Es gebe nur zwei Waschmaschinen für rund 60 Patienten. Es sei häufiger zu Stromausfällen gekommen. Insgesamt mache das Gebäude den Eindruck, nicht wirklich bezugsfertig und vollständig eingerichtet zu sein.
Vorwürfe sind am Mittwoch Thema im Sozialausschuss des Landtags
Die Anwälte wenden sich in dem Schreiben nach eigenen Angaben an Mitglieder des Landtages, weil sie mit den üblichen Mitteln weder Gehör finden würden noch eine spürbare Abhilfe bewirken könnten. Am Mittwoch will der Sozialausschuss des Landtages auf Antrag von SPD und FDP Sozialminister Lucha von den Grünen zu den Zuständen befragen.
Der FDP-Abgeordnete Jung teilte mit, dass - wenn auch nur die Hälfte der Vorwürfe stimme - der Minister ein äußerst großes Problem habe. Von Seiten der SPD hieß es, Minister Lucha bekomme den Maßregelvollzug nicht in den Griff. Der gesundheitspolitische Sprecher Florian Wahl (SPD) kritisiert, dass die Hinweise und Beschwerden aus dem Personal, der Patienten wie auch die Kündigung der leitenden Ärztin Alarmzeichen für den Minister hätten sein müssen.